Die neue französische Regierung unter Premierminister Gabriel Attal

Der Fehlstart

Die neue französische Regierung unter Premierminister Gabriel Attal ist bereits mit Streikdrohungen gegen die neue Bildungsministerin konfrontiert.

»Macron, Premierminister, und Sarkozy, Präsident!« Las man vorige Woche manche Überschriften und Kommentare in sozialen Medien in Frankreich, konnte man sich wie in einer Zeitmaschine fühlen. War doch Nicolas Sarkozy, einstmals aufstrebender Star der französischen Konservativen, bereits in den Jahren von 2007 bis 2012 Staatspräsident. Seine Wiederwahl scheiterte. Noch immer ist er Mitglied der konservativen Oppositionspartei Les Républicains (LR), hat sich jedoch von der Mehrheit seiner Parteifreunde deutlich entfernt – er unterstützt nun eher seinen Amtsnachfolger seit 2017, den Wirtschaftsliberalen Emmanuel Macron, als die eigene ­Partei.

Macron wiederum war noch nie Premierminister, vor seinem Einzug ins Prä­sidentenamt war er allerdings von 2014 bis 2016 Wirtschaftsminister unter dem sozialdemokratischen Präsidenten François Hollande. Dass viele Kommentare, auch in Fernsehtalkshows und Zeitungen, jetzt »Macron in Matignon« – also im Amtssitz des dem Staatspräsidenten untergeordneten Premierministers, dem Hôtel Matignon – verorten, ist eine Anspielung darauf, dass Macron einen ausgesprochen jungen Premierminister ernannt hat, wodurch er sich das Hineinregieren vorbehalte. Gabriel Attal, der am Dienstag voriger Woche ernannt wurde und dessen neue Minister überwiegend am Freitag in ihre Ämter eingesetzt wurden, ist erst 34.

Eine Reihe von X-Nutzern bezeichnete Attal wegen seiner jüdischen Abstammung als »Scheißzionisten«.

Nicht nur Attals Alter wurde vielfach kommentiert, auch andere Aspekte seiner Persönlichkeit wurden vor allem in sozialen Medien wie X (früher Twitter) zum Gegenstand von Sensationsheischerei, mitunter auch Häme und Hetze. Attal, dessen Familienname tunesisch-sephardische Wurzeln hat, ist keineswegs der erste französische Premierminister mit bekannter jüdischer Herkunft – Léon Blum 1936, Laurent Fabius 1984 und auch Attals direkte Amtsvorgängerin seit 2022, Elisabeth Borne, gingen ihm in dieser Hinsicht voraus –, was eine Reihe von X-Nutzern nicht daran hindert, ihn aufgrund seiner Abstammung beispielsweise als »Scheiß­zionisten« zu bezeichnen.

Attal ist aber der erste offen homosexuelle Premierminister; sein früherer Lebenspartner Stéphane Séjourné wurde vorige Woche Außenminister. Hashtags wie »La Cage aux folles« (sinngemäß: Tuntenterror) tauchten bei X im Zusammenhang mit Attals Ernennung auf. Die Union jüdische Studenten in Frankreich (UEJF) fordert die Strafverfolgung der Urheber solch ­explizit hetzerischer Botschaften.

Sarkozy wiederum kommt ins Spiel, weil mehrere der frisch ernannten Ministerinnen und Minister aus seiner früheren Umgebung kommen. Acht von 14 Mitgliedern Kabinetts – das verkleinert wurde, was als Sparmaßnahme verkauft wird – kommen aus der konservativen Rechten. Dies spiegelt auch einen politischen Schwenk Macrons ­wider. Als Präsidentschaftskandidat war er 2017 unter anderem mit Unterstützung von Daniel Cohn-Bendit angetreten, hatte modernistische, teilweise multikulturelle Positionen sowie den freien Markt verteidigt und sich eher ähnlich den Grünen und der FDP zu Beginn der deutschen Ampelkoalition positioniert. Heutzutage, vor allem nach der Verabschiedung des umstrittenen Ausländergesetzes im Dezember, lässt Macron sich politisch eher mit Friedrich Merz vergleichen.

Die wichtigste neue Ministerin aus dem Umfeld Sarkozys, unter dessen Präsidentschaft sie stellvertretende Parlamentspräsidentin war, ist die partei­lose Catherine Vautrin. Die 63jährige aus Reims gehörte in den Jahren um 2013 der rechts dominierten Bewegung gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare (mariage pour tous) an, auch wenn sie wie viele konservative Spitzenpolitiker später ihre diesbezügliche Position revidierte. 2017 unterstützte sie auch eine juristische Initiative von Abtreibungsgegnern und ihnen nahestehenden Teilen der Konservativen, die damals das Verfassungsgericht anriefen. Nunmehr steht sie einem »Superministerium« vor, das aus der Fusion des Arbeits- und Sozialministeriums mit dem Gesundheitsministerium hervorging. Nicht nur in Anbetracht der mittlerweile katastrophalen Lage in den öffentlichen Krankenhäusern, in deren Notaufnahmen es im vergangenen Jahr zu 20 Todesfällen wegen zu langer Wartezeiten vor jeglicher medizinischer Behandlung kam, wird dies kritisiert.

Ähnliches gilt für das Bildungsministerium. Dieses geht nun mit dem bisherigen Sportministerium zusammen, die bisherige Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra soll nun auch für das Bildungswesen zuständig sein. Da die 45jährige, die der von Macron gegründeten Partei Renaissance angehört, unter anderem der Vorbereitung der herannahenden Olympischen Sommerspiele in Frankreich viel Aufmerksamkeit widmen dürfte, bringt dieses »Verschlucken« des Bildungsministeriums die Gewerkschaften der Lehrkräfte auf die Palme.

Die neue Bildungsministerin Oudéa-Castéra wurde gefragt, warum sie ihre drei Kinder alle in eine elitäre katholische Privatschule schickte. Oudéa-Castéra reagierte auf die Frage mit Kritik an der angeblichen Unzuverlässigkeit der öffentlichen Schulen in ihrem großbürgerlichen Wohnbezirk.

Mehr noch erzürnt diese aber die erste Debatte, die Oudéa-Castéra auslöste: Sie wurde gefragt, warum sie ihre drei Kinder alle in eine elitäre katholische Privatschule schickte, und zwar in das Collège Stanislas im sechsten Pariser Bezirk – gegen das zudem derzeit ein Untersuchungsverfahren der Verwaltung wegen explizit homophober und anderer reaktionärer Lehrinhalte läuft. In Frankreich besuchen 82 Prozent der Schüler öffentliche Schulen, die übrigen 18 Prozent meist privilegierte, oft konfessionell gebundene Privatschulen.

Unter bestimmten Bedingungen können Letztere auch in den Genuss öffentlicher Subventionen kommen. Oudéa-Castéra reagierte auf die Frage unwirsch mit Kritik an der angeblichen Unzuverlässigkeit der öffentlichen Schulen in diesem großbürgerlichen Wohnbezirk. Ihr erstes Kind habe dort eine öffentliche Schule besucht, doch ständig seien Stunden ausgefallen und fehlende Lehrkräfte nicht ersetzt worden.

Solchen Stundenausfall und Unterrichtszeitverlust gibt es tatsächlich in Frankreich, beispielsweise im seit Jahrzehnten vom Zentralstaat benachteiligten Bezirk Seine-Saint-Denis, der die nördlichen und östlichen Pariser Ban­lieues umfasst. In einer Schullaufbahn geht Kindern und Jugendlichen dort durchschnittlich ein vollständiges Schuljahr an Unterricht verloren, da Mittel für die Vertretung kranker Lehrkräfte fehlen. Aber nicht im Pariser Zentrum, zu dem der privilegierte sechste Bezirk gehört. Der Fernsehjournalist Nicolas Poincaré sagte am Montag, seine Kinder seien acht Jahre lang auf der öffentlichen Schule in der rue Littré gewesen, zu deren Schulbezirk Oudéa-Castéras Wohnsitz gehört, und es habe keinen einzigen Unterrichtsausfall ohne Ersatzlehrer gegeben.

Aufgrund der mittlerweile auch in bürgerlichen Medien wie dem Privatsender BFM TV als Lüge bezeichneten Behauptungen der Ministerin erschallten zu Wochenanfang bereits Rücktrittsforderungen. Unterdessen besuchte Oudéa-Castéra am Dienstag die Littré-Schule, um zu versuchen, dort die ­Wogen zu glätten. Die Bildungsgewerkschaften rufen gegen ihre neue Ressortministerin bereits zum Streik am 1. Februar auf.