Sexismus und die Liebe zu Autokraten: Gérard Depardieu demontiert sich selbst

Unter aller Sau

An Gérard Depardieu scheiden sich die Geister. Eine TV-Dokumentation über das in die Jahre gekommene »enfant terrible« lässt nun auch eingefleischte Fans von dem Schauspielstar abrücken. Staatspräsident Emmanuel Macron verteidigte ihn indessen.

Gérard Depardieu sind Sympathien für autoritäre Anführer wahrlich nicht fremd. 2013 besorgte er sich einen russischen Pass – und entkam damit der 2013 in Frankreich eingeführten »Reichensteuer«. Den rus­sischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnete Depardieu gerne als seinen Freund. Im Hinblick auf den Ukraine-Krieg warf er seinem Gönner dann aber »verrückte und inakzeptable Exzesse« vor, woraufhin Putin ankündigte, den Schauspieler besser über das militärische Vorgehen aufklären zu wollen. Bei der Ankündigung blieb es wohl. Die russische Staatsbürgerschaft hat Depardieu behalten, die Freundschaft der beiden Männer scheint aber deutlich abgekühlt.

Auch die Liebe der Franzosen für ihren Starschauspieler schwächt sich mit jedem Skandal weiter ab, die Liste seiner Verfehlungen ist beachtlich. Nach einer im Dezember 2023 aus­gestrahlten Fernsehdokumentation steht für viele aber fest: Depardieu ist noch widerwärtiger als bisher ohnehin bekannt war. Erneut wird ­Depardieu sehr übel genommen, mit anrüchigen Regimes zu kokettieren. Bei einer Reise durchs heitere Nordkorea im Jahr 2018, die er zusammen mit dem Regisseur und Schriftsteller Yann Moix auf Einladung des Regimes in Pjöngjang unternahm, ließ er sich auf Schritt und Tritt von seinem Begleiter filmen. Einen Teil des Filmmaterials verwendete Moix zu eigenen Zwecken. Doch ein anderer, bislang unveröffentlichter Teil gelangte nun auf verschlungeneren Wegen an die Öffentlichkeit.

Vor nordkoreanischen Reitschülerinnen im Kindes- und Jugendalter brabbelt der füllige Schauspieler eifrig vor sich hin: »Die Frauen sind große Schweine« ist da zu hören und »Ja, sie reiten gerne, weil ihnen der Sattel die Klitoris reibt«.

Am 7. Dezember des zurückliegenden Jahres strahlte der öffentlich-rechtliche Fernsehsender France 2 in seinem investigativen Magazin »Complément d’enquête« zu nächtlicher Stunde eine Reihe von Szenen des Besuchs aus. Unter dem vielleicht nicht ganz so schmeichelhaften Titel »La chute de l’ogre« (»Der Sturz des Menschenfressers«) – wohl auch eine Anspielung auf die Körperfülle und den sprichwörtlichen Appetit des bekannten Obelix-Darstellers – konnte man ihn 70 Minuten lang sehen und vor allem hören.

Grob sexistisch im ostasia­tischen Arbeiter- und Bauernparadies

Vor laufender Kamera äußerte sich der 75jährige derart grob sexistisch und schien derart besessen, dass selbst bekennende Fans und Freunde des Schauspielers befremdet rea­gier­ten. Die fließend Französisch sprechende und offensichtlich auch sprachliche Feinheiten beherrschende koreanische Übersetzerin, die Depardieu für die Dauer seines Besuchs im ostasia­tischen Arbeiter- und Bauernparadies zur Seite gestellt worden war, konnte sich vor seinen permanenten verbalen Übergriffen und schlüpfrigen Bemerkungen kaum retten. An einer Stelle fordert Depardieu sie dazu auf, an ihn zu denken, wenn sie später unter der Dusche stünde; dazu macht er obszöne Bewegungen.

Besonders übel stieß den Zuschauern und Zuschauerinnen jedoch eine Episode auf, bei der Depardieu einen Pferdestall besucht. Vor nordkoreanischen Reitschülerinnen im Kindes- und Jugendalter brabbelt der füllige Schauspieler eifrig vor sich hin: »Die Frauen sind große Schweine« ist da zu hören und »Ja, sie reiten gerne, weil ihnen der Sattel die Klitoris reibt«.

Mit fettem, hämischem Grinsen ruft er einer minderjährigen Nordkoreanerin zu: »Ja, Reiten macht dir Spaß, was? Nur zu, nur zu, hähä!« Es besteht die Hoffnung, dass dem Mädchen die nähere Bedeutung der Aussage des französisch-russischen Gastes nicht übersetzt worden ist.

Der durch die Reportage ausgelöste Skandal sorgt nun auch für politische Reaktionen. Die im Rahmen der Kabinettsumbildung Anfang Januar entlassene Kulturministerin Rima Abdul-Malak hatte in Erwägung ge­zogen, Depardieu die Verdienstauszeichnung Légion d’honneur zu entziehen.

Immerhin: Viele Franzosen sind nicht mehr bereit, Depardieus übergriffiges Verhalten zu entschuldigen, zumal seit Ende 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen ihn läuft. Die 1995 geborene Schauspielerin Charlotte Arnould beschuldigt den Künstler, sie 2018 in seiner Pariser Wohnung zweimal vergewaltigt zu haben.

Auch die Schauspielerin Hélène Darras hat Depardieu Ende vergangenen Jahres wegen sexueller Übergriffe angezeigt, bei Dreharbeiten 2007 soll es zu missbräuchlichem Verhalten gekommen sein. Depardieu weist alle Vorwürfe zurück und betont, es seien einvernehmliche Handlungen gewesen. Weitere Frauen beschuldigen ihn darüber hinaus, bei Dreharbeiten für insgesamt elf Filme zwischen 2004 und 2022 sexuelle Gewalt ausgeübt zu haben.

Kampagne »Verpfeife dein Schwein«

Die Me-too-Bewegung hat Frauen weltweit dazu ermutigt, nicht länger über den Missbrauch durch prominente und einflussreiche Männer in der Filmbranche zu schweigen und diese auch anzuzeigen. Aber es gab und gibt auch Kritik an der Kampagne »Balance ton porc« (Verpfeife dein Schwein). Catherine Deneuve warf den Akivistinnen der Me-Too-Bewegung Denunziantentum vor.

Deneuve war es nun auch, die einige Mitstreiterinnen um sich scharte, um Depardieu zu Hilfe zu eilen. Die Frauen bezeugten, niemals hätten sie etwas von Depardieu zu befürchten gehabt. Was vermutlich auch ­zutrifft, freilich sind seine mutmaßlichen Opfer bei weitem nicht so prominent, es handelt sich um angehende Schauspielerinnen, die auf Fürsprecher in der Branche angewiesen waren, um Technikerinnen oder Praktikantinnen.

Der durch die Reportage ausgelöste Skandal sorgt nun auch für politische Reaktionen. Die im Rahmen der Kabinettsumbildung Anfang Januar entlassene Kulturministerin Rima Abdul-Malak hatte in Erwägung ge­zogen, Depardieu die 1996 vom damaligen Staatspräsidenten Jacques Chirac verliehene Verdienstauszeichnung Légion d’honneur zu entziehen.

Macron sieht die »Unschuldsvermutung« gefährdet

Staatspräsident Emmanuel Mac­ron verteidigte den Schauspieler in seiner Rede am Abend des 20. Dezember. In einem zweistündigen Monolog auf einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, in dem es hauptsächlich um das verschärfte Ausländergesetz ging, ließ Macron sich auch über die Depardieu-Affäre aus, sah die »Unschuldsvermutung« gefährdet und verurteilte die »Hatz« gegen einen »gigantischen Schauspieler«.

Dies kam nicht überall gut an. Sogar Regierungssprecher Olivier Véran erklärte einige Tage darauf, er sei über die Aussprüche Depardieus »schockiert«, und Macrons wichtigster Partner in der Regierungskoali­tion – François Bayrou, Vorsitzender der christdemokratisch-liberalen Kleinpartei MoDem – äußerte sich später ähnlich. Anfang Januar ergab eine Umfrage des demoskopischen Instituts Elabe, dass die Hälfte der Befragten Macrons Aussagen zu ­Depardieu für verfehlt hält, ein Viertel sie richtig findet und ein weiteres Viertel noch keine feste Meinung dazu hat.

Viele Franzosen sind nicht mehr bereit, Depardieus übergriffiges Verhalten zu entschuldigen.

Daraufhin gab es Petitionen und Gegenpetitionen. Eine davon verteidigte Depardieu. Mehrere ihrer Unterzeichner zogen ihre Unterschrift allerdings in der ersten Januarwoche zurück, der Schauspieler Jean-Claude Dreyfus bezeichnete die seine als Fehler, der Regisseur Jacques Weber die seine nachträglich gar als »eine weitere Vergewaltigung« von Depardieus mutmaßlichen Opfern.

Das ­Lager der Unterstützer schrumpfte schlagartig, als viele Unterzeichner nach der Veröffentlichung der Petition entdeckt hatten, dass der ihnen bis dato unbekannte Initiator der Liste, Yannis Ezziadi, Mitarbeiter des von Elisabeth Lévy herausgegebenen und zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus angesiedelten Magazins Causeur ist und sich abwertend über die von sexueller Gewalt betroffenen Frauen geäußert hat.

Auch die prominente Schauspie­lerin Carole Bouquet, eine ehemalige Lebensgefährtin Depardieus, die ­Regisseurin Nadine Trintignant – ihre Tochter wurde 2003 bei einem Femizid getötet – sowie Depardieus früherer Filmpartner Pierre Richard zogen ihre Unterschrift zurück. Mehrere Gegenpetitionen, die die Anzeigen gegen Depardieu unterstützen, erschienen bei Mediapart und Libération.

Am 11. Januar demonstrierten ein Bündnis von feministischen Orga­nisationen wie Osez le féminisme sowie die Liga für Menschenrechte (LDH) in Paris, Lyon, Marseille und 30 weiteren französischen Städten gegen »Straflosigkeit« bei Übergriffen von Prominenten und für einen ­besseren Opferschutz. Die Reportage über die Reise Depardieus durchs Reich von Kim Jong-un hat jedenfalls einiges bewirkt.