T.C. Boyles »Blue Skies« und Ärger beim CTM-Festival

Weh, au Weh

Popkolumne. Ein Klimakatastrophenroman, ein bestreiktes Festival und ein schwermütiger Austropopsong.
Die Summens Von

»Der Planet stirbt, siehst du das nicht?« herrscht »Bug Boy« Cooper seine Mutter im neusten Roman von T. C. Boyle an. Der Insektenforscher, der im Verlaufe des Romans seinen Unterarm infolge eines Zeckenbisses verliert, sieht die Zukunft ausgesprochen düster.

»Blue Skies« ist der unterhaltsamste Klimakatastrophenroman der letzten Zeit, auch wenn das zugegeben recht zynisch klingt. Geschickt verknüpft Boyle das apokalyptische Zukunftsszenario mit einer packenden Familiengeschichte: Coopers Schwester Cat ist eine aufstrebende Influencerin und legt sich für mehr Likes eine Königspython zu. Eines ihrer neugeborenen Zwillingsmädchen wird dafür büßen.

Ihr empathieloser Mann Todd geht im von sintflutartigen Regenfällen heimgesuchten Florida gepflegt realitätsfern seinem Job als Bacardi-Markenbotschafter nach. Coopers Mutter Ottilie versucht unterdessen, im von gnadenloser Hitze heimgesuchten Kalifornien ihren bescheidenen Beitrag zur Rettung des Planeten zu leisten, obwohl es längst zu spät ist.

Die Krone der Schöpfung ist schlichtweg nicht mehr Herrin der Lage. Der Roman ist fast so mitreißend wie Boyles »Ein Freund der Erde«, in dem der 75jährige schon vor knapp 25 Jahren vor globaler Klima­erwärmung und Verlust der Biodiversität gewarnt hatte.

Die CTM-Ver­an­stal­ter:innen mussten bereits vor Beginn des Festivals die Absage einiger Künstler:innen aushalten, die sich der »Strike Germany«-Kampagne angeschlossen haben.

Zum seelischen Ausgleich empfiehlt sich ein Besuch des CTM-Festivals, das noch bis Sonntag in Berlin stattfindet. Bei der Veranstaltungsreihe, die längst mehr als nur eine Nebenbaustelle der Transmediale geworden ist, gibt es über die Stadt verteilt vom Silent Green bis zum Berghain avantgardistische, elektronische Acts zu erleben.

»Sustain« (so lautet der Titel des Festivals dieses Mal) – also aushalten – mussten die CTM-Ver­an­stal­ter:innen bereits vor Beginn des Festivals allerdings die Absage einiger Künstler:innen, die sich auch der »Strike Germany«-Kampagne angeschlossen haben. Auch die Berlinale ist bereits betroffen. Wer wissen will, was das alles mit der aus juristischen Bedenken wieder frisch zurückgezogenen Antidiskriminierungsklausel des neuen Berliner Kultursenators Joe Chialo zu tun haben könnte, möge bitte die Ravers For Palestine fragen.

Gegen all das wirken die Probleme des von Voodoo Jürgens gespielten »Rickerl«, einem Wiener Straßen- und Beislmusiker, der pausenlos raucht – wie in den Filmen der Nouvelle Vague – vergleichsweise harmlos. Eingenebelt im blauen Dunst schreibt er seit Jahren an seinem ersten Album. In Adrian Goigingers Tragikomödie gibt er auch den schwermütigen Austropopsong »Weh, au Weh« zum Besten, der unsere gegenwärtige Gemütslage hervorragend zum Ausdruck bringt.

 

T.C. Boyle, »Blue Skies«, Roman, Hanser Verlag, München 2023