In Bayern soll eine yezidische Familie in den Irak abgeschoben werden

Warten auf die Polizei

Im bayerischen Gersthofen soll eine siebenköpfige yezidische Familie in den Irak abgeschoben werden. Bis heute können Yeziden dort nicht sicher leben.

Den Bruder haben sie zuerst abgeholt. Am 7. Dezember des vergangenen Jahres nahm die Polizei den 22jährigen Fath im bayerischen Gersthofen fest und verbrachte ihn nach München in Abschiebehaft. 35 Tage blieb der yezidische Iraker im Gefängnis. Seine Abschiebung wurde auf den 18. Januar festgelegt.

»Die Abschiebung wäre nach Bagdad erfolgt. Wir sprechen aber gar kein Arabisch«, erzählt Faths Bruder Serwan P. (voller Name der Redaktion bekannt) der Jungle World. »Deshalb haben wir selbst ein Flugticket nach Erbil gebucht« – die Stadt liegt in der Autonomen Region Kurdistan im Irak, wo kurdisch gesprochen wird – »und Fath ist am 16. Januar freiwillig ausgereist.« Serwan ist der älteste Sohn der insgesamt achtköpfigen Familie, doch er floh bereits vor 18 Jahren nach Deutschland, wo sein Asylantrag anerkannt wurde.

Die Bedingungen im Irak waren unerträglich geworden, erzählt Serwan P. Immer wieder sei die yezidische Familie als »haram« beschimpft und manchmal auf offener Straße bespuckt worden.

Die restliche Familie blieb in der Nähe von Shekhan, rund 40 Kilometer nördlich von Mossul im Irak. Dort verbrachte die Familie die schrecklichen Jahre des ­Genozids, den der sogenannte Islamische Staat (IS) ab 2014 an den Yeziden verübte. Die Bedingungen im Irak wurden unerträglich; immer wieder sei die yezidische Familie als »haram« beschimpft und manchmal auf offener Straße bespuckt worden. 2020 entschloss sie sich zur Flucht nach Deutschland. »Zuerst flohen meine Eltern mit meinen fünf Geschwistern in die Türkei. Von dort ging es dann – in einer sehr langen Reise – nach Deutschland«, erzählt Serwan.

Asylanträge abgelehnt

In Deutschland war die Familie zwei  Wochen in Bochum in einem Flüchtlingsheim, danach ging es für wenige Wochen nach Essen. Im November 2020 kam dann der erste Schock: Der Asylantrag von Fath wurde abgelehnt. Da er bei der Einreise bereits 18 Jahre alt war, war sein Verfahren von des Rests der Familie abgetrennt worden.

Im Februar 2021 wurde die Familie dann endgültig in die Kleinstadt Gersthofen im bayerischen Landkreis Augsburg verlegt. Zwei Monate später kam der nächste Schock: Auch die Asylanträge der übrigen Familie wurden abgelehnt. Seitdem kann sie jederzeit abgeschoben werden. Schon mehrmals stand die Polizei vor der Tür, um die Familie mitzunehmen. Nur weil jedes Mal eines der Geschwisterkinder nicht zu Hause war, zog sie jeweils unverrichteter Dinge ab.

Bis heute lebt die siebenköpfige Familie in einer Flüchtlingsunterkunft in der Gemeinde. Zwei kleine Zimmer teilt sie sich. Immerhin kann sie ihr eigenes Essen kochen – keine Selbstverständlichkeit in deutschen Flüchtlingsunterkünften.

Im Irak obdachlos

Die Kinder gehen schon seit 2020 allesamt zur Schule: die beiden 14 und 16 Jahre alten Söhne in die Mittelschule und die 19 und 21jährigen Töchter in die Berufsschule. Sie haben – das betont Serwan immer wieder – gute Noten und haben die Sprache gut gelernt. »Sie sprechen besser Deutsch als ich«, sagt der 34jährige, der im Schichtdienst bei einer Security-Firma in Nordrhein-Westfalen arbeitet. Bald wollen seine Schwestern eine Ausbildung beginnen.

Der damals 18jährige Fath konnte keine deutsche Schule mehr besuchen, er war schon zu alt. Als er in Gewahrsam genommen wurde, arbeitete er bereits seit einem Jahr in Vollzeit bei einer Gebäudereinigungsfirma im Ort. Sein Chef war fassungslos und reichte beim bayerischen Landtag eine Petition gegen die Abschiebung seines Angestellten ein. Ohne Erfolg.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bestärkte vergangene Woche im ZDF seine Forderung nach einer noch viel härteren deutschen Flüchtlingspolitik.

Seit seiner Ausreise lebt Fath im Norden des Iraks und ist mehr oder weniger obdachlos. Die Familie hat ihr Haus bei der Flucht aufgegeben. Fath schlafe mal bei Freunden, mal bei »guten Menschen«, die ihn für wenige Tage aufnähmen, erzählt Serwan. Wenn es nach dem deutschen Staat geht, soll der Rest der Familie bald folgen. Beinahe täglich erwartet die Familie ihre Abschiebung.

Serwan telefoniert sich derzeit die Finger wund auf der Suche nach einem Kirchenasyl irgendwo in Deutschland. »Ich bekomme aber nur Absagen. Viele Kirchen haben keinen Platz mehr«, ­erzählt er. Der Anwalt hat ihm gesagt, dass es dringend gilt, Zeit zu gewinnen. Alle Petitionen und Appelle an Politiker sind bislang jedoch verhallt.

Jederzeit kann die Polizei vor der Tür stehen

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bestärkte vergangene Woche im ZDF seine Forderung nach einer noch viel härteren deutschen Flüchtlingspolitik: Das individuelle Grundrecht auf Asyl müsse abgeschafft werden; auch der subsidiäre Schutz, der Flüchtlinge vor Abschiebung bewahrt, wenn ihnen im Herkunftsland Gefahr droht, müsse eingeschränkt werden. Zum Beispiel müsse man »prüfen, ob in bestimmte Teile von Syrien abgeschoben werden kann«.

Das passiert bisher noch nicht, doch in den Irak wird abgeschoben, seit vergangenem Jahr auch verstärkt Yeziden. Dagegen haben diese in Deutschland immer wieder protestiert, unter anderem mit einem zweiwöchigen Hungerstreik vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Yeziden sind im Irak immer noch Verfolgung ausgesetzt. Die IS-Völkermörder sind zum Teil noch in der Region präsent, immer wieder kommt es zu Hetze gegen die ethnisch-religiöse Minderheit. Nordrhein-Westfalen hat im Dezember mitgeteilt, für zunächst drei Monate keine Yeziden mehr in den Irak abzuschieben, weil die Gefahr für die Gruppe dort zu groß sei.

Er verstehe nicht, warum Bayern so unnachgiebig ist, sagt Serwan P. »Der Flüchtlingsrat München, die Caritas und Anwälte setzen sich für meine Familie ein. Das macht Hoffnung.« Doch die Ungewissheit zehre an den Nerven. Jederzeit kann die Polizei wieder vor der Tür stehen. Abends beginne die Angst, sagt Serwan. Da kann der regelmäßige Schulbesuch nicht helfen.