Ja, Panik und ihr neues Album »Don’t Play with the Rick Kids«

Verfremdet und neu besetzt

Ja, Panik, die wohl wienerischste Band Berlins, sind zurück. Nach ihrem experimentellen Comeback-Album »Die Gruppe« von vor drei Jahren folgt jetzt mit »Don’t Play with the Rich Kids« die Rückkehr zum Indie-Rock – ohne dabei jedoch in die Authentizitätsfalle zu tappen.

Vom spanischen Maler Pablo Picasso ist der Satz überliefert, die Kunst sei eine Lüge, die uns erlaube, die Wahrheit zu begreifen. Soll heißen: Der Gehalt einer Geschichte bemisst sich nicht am Grad seiner Authentizität, sondern an der Qualität der Erzählung. Gegenwärtig scheint dieser Gedanke jedoch keine Hochkonjunktur zu haben: Sich als nahbar gerierende Singer-Songwriter stürmen die Charts und belästigen die Allgemeinheit mit realen Reels und intimen Erzählungen aus ihrem Privatleben.

Andreas Spechtl, so darf man annehmen, graut es bei diesem Gedanken. Dabei bedient sich der aus dem Burgenland stammende Sänger und Gitarrist mit seiner Band Ja, Panik seit nun fast 20 Jahren musikalischer Mittel, die traditionell mit subjektivistischen Erzählformen und Geschichten aus dem sogenannten echten Leben verknüpft werden. Die ersten vier Alben der anfangs in Wien, später in Berlin beheimateten Band boten vorwiegend das, was man landläufig »handgemachte Musik« nennt: ein Sänger, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und Klavier.

»Mich interessiert ein anderer Zugang zu Kunst: Wenn sie in die Irre führt, Abzweigungen nimmt oder Dinge verfremdet.« Andreas Spechtl

Musikalisch grundlegend unterwandert hat die Band diesen Ansatz erstmals auf »Libertatia«, einem durchproduzierten Hochglanz-Funk-Pop-Diamanten, der im Januar 2014 erschien und bis heute Maßstäbe setzt hinsichtlich der Verbindung von Subversion und Ästhetik, Intellekt und Sexyness. Das Album läutete auch eine längere Pause von Ja, Panik ein. Spechtl begann sein Soloprojekt und produzierte im Laufe der Jahre drei Alben, die musikalisch geprägt waren von elektronisch-maschineller Ästhetik, schwebenden Soundlandschaften und Verfremdungseffekten. Mit dem Gitarrenpopsound früherer Alben seiner Band hatte er, so schien es, längst abgeschlossen.

Dass es 2021 dann doch zu einem Comeback seiner alten Band kam, überraschte auch engere Weggefährten. Doch war auch der neue Ja-Panik-Sound zunächst bestimmt von elektronischen Klängen wie auf seinen Soloalben, nur dazwischen tauchten eingängigere Stücke wie »On Livestream« oder »Backup« auf.

»Rückkehr als Indie-Rock-Band«

Davon ist auf dem neuen Album »Don’t Play with the Rich Kids« kaum noch etwas zu spüren: In der Pressemitteilung ist unverhohlen euphorisch von der »Rückkehr als Indie-Rock-Band« die Rede. Und tatsächlich brettern die Gitarren – begleitet von scheppernden Drums – bereits auf den ersten vier Stücken in einer Brachialität drauf los wie zuletzt auf dem zweiten Album »The Taste and the Money« aus dem Jahr 2007, das die Spex seinerzeit nicht zu Unrecht als »wichtigste deutschsprachige Platte« seit Blumfelds »L’Etat et Moi« (1994) bezeichnete.

Beispielhaft zu nennen wäre die fabelhafte Vorabsingle »Kung Fu Fighter«. Da singt Spechtl: »Immer wieder glaube ich, I found myself /Und dann bin ich’s wieder nicht«. Und im Eröffnungstitel »Lost« heißt es: »In meinen Schritten / Waren alle Zuhaus / Nur ich nicht / Schau ich war da / Wo’s alles gab / Nur mich nicht«. Dabei begleiten ihn zunächst sanfte Akustikgitarren, die dann abgelöst werden von einem unheilvoll hereinbrechenden lauten Gitarreninferno.

Doch als selbstbezogene Nachaußenkehrung von Innerlichkeit will Spechtl diese Texte selbstredend nicht verstanden wissen: »Der Blick nach innen interessiert mich nur, insofern ich dadurch auch etwas über das Außen erfahren kann«, erklärt er im Gespräch mit der Jungle World. »Was mich zunehmend interessiert, wenn ich unterwegs bin, sind Geschichten, die nur halb stimmen. Wenn man einen großen Teil Fiktion und Lüge mit einbaut, dann verwischen die Grenzen, so dass man nicht am Ende vor einem Bild steht und glaubt, wahnsinnig viel über die schreibende Person zu erfahren. Davor habe und hatte ich immer große Angst. Mich interessiert ein anderer Zugang zu Kunst: wenn sie in die Irre führt, Abzweigungen nimmt oder Dinge verfremdet.«

Ja, Panik

Sie sind wieder da: Andreas Spechtl, Stefan Pabst, Laura Landergott und Sebastian Janata (v. l. n. r.)

Bild:
Max Zerrahn

So lässt sich auch der abschließende Song »Ushuaia« besser verstehen, in dem die gleichnamige Stadt in Argentinien besungen wird, die als südlichste der Welt gilt. Dort ist Spechtl, der seit einem Jahr mit seiner Partnerin in Córdoba lebt, bis heute nicht gewesen. Neu ist solch ein Spiel indes nicht: Schon auf »Libertatia« gab es mit »Antananarivo« ein Stück über die Hauptstadt Madagaskars – auch sie hat niemand von Ja, Panik je besucht.

Was dabei auffällt: Beide Stücke klingen, ganz anders als für die Band üblich, milde und zugewandt, geradezu warmherzig. Stellt man sie den zahlreichen von unverhohlenem Gram geprägten Wien- und Berlin-Anspielungen in den Texten der frühen Jahre der Band gegenüber, liegt der Verdacht nahe, dass für Ja, Panik unbekannte Orte eine deutlich geeignetere Projektionsfläche für utopische Gegenentwürfe darstellen als jene, an denen man einen Großteil der eigenen Lebenszeit verbracht hat.

Konkrete Bezugspunkte auf »Don’t Play with the Rich Kids« werden immer wieder verfremdet und neu besetzt. Ähnlich verfährt die Band dabei auch mit dem Sound der Platte, der auf den ersten Blick überaus rockig und direkt daherkommt, ohne aber in die vieldiskutierte Rockismus-Falle zu tappen.

Darauf angesprochen, stimmt Spechtl umgehend zu und fährt fort: »Vielleicht liebe ich solche Orte auch, weil ich selbst in einem 300-Einwohner-Dorf in Österreich aufgewachsen bin, von wo aus man fußläufig sowohl die Slowakei als auch Ungarn erreichen kann. In den achtziger Jahren war also der Eiserne Vorhang praktisch direkt vor unserer Haustür. Was diese Orte so interessant macht, ist, dass Kategorien wie Sprache, Landschaft oder Kultur gar keinen Sinn mehr ergeben, da sie sich teils auflösen und Mischverhältnisse eingehen. Bei Ushu­aia ist es ähnlich: In der Literatur gilt es als Feuerland, als Ende der Welt, dahinter gibt es nur noch die Antarktis, das ewige Eis. Aber ich war eben noch nie dort.«

Filigranes, dezentes Gitarrenspiel von Laura Landergott

So werden konkrete Bezugspunkte auf »Don’t Play with the Rich Kids« immer wieder verfremdet und neu besetzt. Ähnlich verfährt die Band dabei auch mit dem Sound der Platte, der auf den ersten Blick überaus rockig und direkt daherkommt, ohne aber in die vieldiskutierte Rockismus-Falle zu tappen. So sind zwar in »Ushuaia« oder »Dream 12059« Gitarrensoli von Spechtl zu hören, aber mit so vielen Effekten verfremdet und zugleich in einer so ungewöhnlich weit heruntergeregelten Bitrate, dass Synthesizer mutmaßlich echter klängen als diese Gitarren, wie er kürzlich der Taz erzählte.

Auch die wie schon auf dem Vorgänger präsenten, an den No Wave erinnernden Saxophon-Elemente von Rabea Erradi – der früheren Bassistin der beiden Gruppen Die Heiterkeit und Gewalt – führen zu einem begrüßenswerten Bruch mit der überlieferten und unliebsamen Indie-Rock-Tradition. Dazu kommt das filigrane, dezente Gitarrenspiel von Laura Landergott, die 2013 zur Band stieß und den kurz zuvor ausgestiegenen Thomas Schleicher ersetzte. Dass die ehemals ausschließlich männlich besetzte Band weiblicher geworden ist, begrüßt Spechtl ausdrücklich.

Und so schreiben Ja, Panik mit »Don’t Play with the Rich Kids« die Geschichte des Indie-Rock fort; nur eben gebrochen, verfremdet, erlogen, neu erfunden und provisorisch zusammengesetzt. Mit Superlativen soll man bekanntermaßen sparsam sein – aber dieses Album setzt Maßstäbe und wird in diesem Jahr schwer zu übertreffen sein.

Ja, Panik: Don’t Play with the Rich Kids (Bureau B/Indigo)