Milej, Gruppe Postój, im Gespräch über Antizionismus in der polnischen Linken

»Es gibt schlicht keinen Raum für Debatten und andere Meinungen«

Die Gruppe OCSK Postój (Halteplatz) betreibt ein soziokulturelles Basiszentrum im polnischen Wrocław (Breslau) für Kunst-, Kultur- und soziale Projekte. Regelmäßig muss sie sich rechten Angriffen entgegenstellen. Nun wird sie auch in der linken Szene angefeindet: wegen ihrer dezidierten Absage an Antisemitismus. Die »Jungle World« sprach mit Milej von der Gruppe OCSK Postój.
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Seit einiger Zeit ist eure Gruppe mit szeneinterner Kritik und sogar Boykottaufrufen konfrontiert. Wie ist es dazu gekommen?
Wir werden als Zionisten und Antideutsche bezeichnet, als Apologeten des Völkermords. Das Ganze fing schon bald nach dem 7. Oktober an. Eine im Umfeld des Hausprojekts Rozbrat in Poznań agierende Gruppe rief dazu auf, uns zu boykottieren. Anlass war eine Textveröffentlichung, in der wir uns mit den Kibbuzim solidarisierten, die von der Hamas angegriffen worden waren. Eine Person aus unserer Gruppe hatte zudem einen Blog mit Texten zu Antideutschen angelegt sowie darüber, wie es möglich ist, Israel auf nicht antisemitische Weise zu kritisieren.

Was unterscheidet eure Reaktion nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 in Israel von den Reaktionen anderer linksradikaler Gruppen in Polen?
Als einzige Gruppe haben wir uns öffentlich mit den Opfern dieses Massakers solidarisiert. Wir sind keine Zionisten und stehen auch nicht bedingungslos mit Israel. Unsere Solidarität mit den Opfern und unsere Absage daran, den 7. Oktober als Akt des Widerstands zu verstehen, sind jedoch Anlass genug für die Attacken gegen uns. Die Mehrheit linker Gruppen leugnet das Massaker und die Vergewaltigungen durch die Hamas, Gegenstimmen sind die Ausnahme. Man bezeichnet den Krieg in Gaza als Holocaust, Israel als Nazi-Staat, Zionismus als Faschismus und es wird der Tod der Zionisten herbeigesehnt.

»Zu jüdischen Themen und zum Antisemitismus wird in der Linken meist geschwiegen.«

Wie wurde das Thema in den vergangenen Monaten in der polnischen Linken verhandelt?
Es gibt schlicht keinen Raum für Debatten und andere Meinungen. Es gibt vereinzelt kritische Postionen in der Diskussion, so etwa die des schlesischen Schriftstellers Szczepan Twardoch, der öffentlich eine progressive linke Partei unterstützt, diese jedoch auch scharf für ihre einseitige antiisraelische Haltung im Nahostkonflikt kritisiert. Doch das ändert wenig am Gesamtbild.

Die offizielle Politik der sozialistische Volksrepublik Polen war seit dem Sechstagekrieg 1967 von antizionistischer Agitation geprägt. Nach einer antisemitischen Kampagne 1968 wurden Tausende polnische Juden zur Emigration genötigt. Setzt sich die polnische radikale Linke mit diesem Teil polnischer Geschichte auseinander?
Antisemitische Agitation begann schon früher, gleich nach dem Zweiten Weltkrieg. 1968 war der Höhepunkt dieser Entwicklung. Wir kennen keine eingehende Auseinandersetzung der Linken dazu, außer von Personen, die selbst einen jüdischen Hintergrund haben, wie etwa der Philosoph Jan Hartman. Diese Stimmen finden jedoch kaum Gehör. Zu jüdischen Themen und zum Antisemitismus wird in der Linken meist geschwiegen, eine Ausnahme bildet das Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 während der deutschen Besatzung Polens.

Ihr positioniert euch in eurer Arbeit klar gegen Antisemitismus. Welche anderen Probleme in der polnischen radikalen Linken sollten in Zukunft angegangen werden?
Gewalt, die Unfähigkeit zu Konfliktlösungen, Heteropatriarchat, Selbstausbeutung und Vorurteile. Viele Leute wenden sich von der linken Szene ab, weil sie Verletzungen und Traumata erfahren haben. Wir gehen diese Themen an und wollen eine bessere Gesellschaft. Dabei brauchen wir aber Unterstützung.