Rechte vermissen in der deutschen Nationalelf die völkische Reinheit

Die Nationalelf verrät das deutsche Volk

Der Rassismus im deutschen Fußball äußert sich wieder offener. Seit den achtziger Jahren hat sich jedoch einiges geändert. Mittlerweile ist vor allem das Nationalteam den Rechten ein Dorn im Auge.

In deutschen Stadien wird der Rassismus wieder lauter. Doch es gibt einen erheblichen Unterschied zu den siebziger Jahren: Damals war die Bundesliga noch weiß. Spieler mit einer türkischen Migrationsgeschichte waren ex­trem selten. Trotzdem grassierten Rassismus und Antisemitismus.

Anders als heute allerdings blieben beide unwidersprochen. Intervenierte man schüchtern, hieß es: »Unser Oberschüler! Jetzt aber mal nicht politisieren!« Rassismus und Antisemitismus wurden nicht als Pro­blem betrachtet, gefährdeten aber auch kein Geschäftsmodell. Entsprechend gab es keine offiziellen Kampagnen von den Vereinen gegen dieses Übel. Von der stockkonservativen DFB-Spitze war hierbei ohnehin nichts zu erwarten.

Nachdem Deutschland bei der WM 1990 in Italien zum dritten Mal den Weltmeistertitel gewonnen hatte, tobte Rassismus durch die Gesellschaft und die Stadien, doch gab es darauf erstmals eine lautstarke Antwort.

Erste Ansätze einer kritische Fanbewegung, die nicht nur Fehlentwicklungen im Fußballbusiness thematisierte, sondern auch über dessen Tellerrand hinausschaute, gab es schon Ende der achtziger Jahre. Namentlich beim FC St. Pauli, der diesbezüglich eine wichtige Vorreiterrolle einnahm. Nachdem Deutschland bei der WM 1990 in Italien zum dritten Mal den Weltmeistertitel gewonnen hatte, tobte Rassismus durch die Gesellschaft und die Stadien, doch gab es darauf erstmals eine lautstarke Antwort.

Dies war auch eine Folge der zweiten sozialen und kulturellen Ausbreitung des Fußballs. Dessen erste soziale Ausbreitung war nach dem Ersten Weltkrieg erfolgt, als sich das Spiel von einem Sport der Akademiker, Kaufleute und Angestellten zu einem der Arbeiterschaft entwickelte und nun auch große Zuschauermassen mobilisierte. Das Turnier in Italien hatte die Sichtweise vieler Menschen auf den Fußball erneut verändert und für das Spiel neue Milieus erschlossen. In diesem Kontext entstand ein Raum für eine kritische Fanbewegung.

Als im Februar 2020 beim Drittliga­spiel zwischen Preußen Münster und den Würzburger Kickers der Würzburger Spieler Leroy Kwadwo rassistisch beleidigt wurde, reagierte das Stadion mit »Nazis raus«-Rufen. In den siebziger und achtziger Jahren wäre das undenkbar gewesen. Die rassistische Attacke wäre locker durchgegangen.

Viele Dekaden war die Nationalmannschaft eher ein Hobby von Konservativen und Rechten. Große Teile der Linken standen ihr skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dies gilt insbesondere für die achtziger Jahre, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Mannschaft penetrant umarmte. Die vom »Dicken« propagierte »geistig-moralische Wende« machte auch vor der Nationalelf nicht halt. Auf seine Initiative hin musste seit der Wiedervereinigung jeder der elf aufgestellten Spieler vor dem Anpfiff die Nationalhymne schmettern.

Zum hauptsächlichen Kampffeld in Sachen Rassismus versus Antirassismus wurde in den vergangenen Jahren ausgerechnet die Nationalmannschaft, obwohl sich die vereinsgebundene kritische Fanszene für diese nur mäßig bis überhaupt nicht interessiert. Die Rechte hat hier also nicht wirklich ­einen Gegner auf den Rängen – wohl aber auf dem Spielfeld.

Seit der WM 2010 verliert die DFB-Elf bei den Rechten an Sympathien.

Für Rechte hat die Nationalmannschaft in einer globalisierten Fußballwelt »traditionelle Werte« zu verteidigen. Dabei geht es nicht nur um Kommerzkritik, sondern auch um »Rasse«. Die Nationalelf hat weiß beziehungsweise eine Bastion »echten Deutschtums« zu bleiben. Aber Einwanderung hat auch diese Bastion geschleift.

Seit der WM 2010 verliert die DFB-Elf bei den Rechten an Sympathien. Vor der WM 2018 versuchte sich Björn Höcke (AfD) an einer Fundamentalkritik der neoliberalen Entwicklungen im Fußball. Dieser sei »neoliberalisiert« worden, »auch weil er jenseits der ökonomischen Aspekte als Botschafter der One-World-Ideologen missbraucht wird«. Besonders augenfällig sei dies mit Blick auf die »ehemalige deutsche Fußballnationalmannschaft«. Hier seien zwei Spieler dabei, »die Türken sind und Türken bleiben wollen«. Gemeint waren Mesut Özil und İlkay Gündoğan. Jogi Löws Mannschaft sei mittlerweile genauso »bunt« wie alle erst- und zweitklassigen europäischen Vereinsmannschaften. Dies sei eine »bewusst herbeigeführte Veränderung«.

Die deutsche Nationalmannschaft sei von »jeder nationalen Symbolik gereinigt« worden. Damit sei es nicht mehr die Nationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland, sondern »die Mannschaft von Buntland«. Bis der Fußball und der DFB »wieder in patriotischer Hand« seien, erfreue er sich »an den Restbeständen meiner alten Fußballwelt, die immer noch die Heimat von Millionen Fußballanhängern in aller Welt ist«. Höckes Sympathien galten den Isländern, vermutlich wegen ihres »arischen« und »reinrassigen« Erscheinungsbilds. Die WM gewann dann allerdings Frankreich, ein Team, das auf dem Rasen die Schwächen völkischen Denkens schonungslos offenlegte.

Bei der WM in Russland 2018 wurde Mesut Özil dann mit rassistischen Schmähungen überschüttet – im Sta­dion wie in den sozialen Medien. Im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden verzichtete Löw auf den Einsatz von Özil. Möglicherweise wollte der Bundestrainer sowohl von sich wie von Özil etwas Druck nehmen. Der Fußball-Volksgerichtshof hatte Özil als Hauptschuldigen für die Auftaktniederlage gegen Mexiko identifiziert, und Löw musste befürchten, dass ein Teil der Medien und der Fans im Stadion auf die Barrikaden gehen würde, sollte er dieses ­Urteil ignorieren.

Ohne Özil gewann die DFB-Elf mit 2:1, und Alice Weidel postete: »AfD wirkt!« Natürlich glaubte auch Weidel nicht, dass Löw eingesehen habe, dass dieser »Türke« Mesut Özil nicht in eine deutsche Nationalmannschaft gehört. Was Weidel meinte, war, dass rassistisches Mobbing funktioniert.

Im Juni 2023 wurden die beiden U21-Nationalspieler Jessic Ngankam und Youssoufa Moukoko Opfer rassistischer Postings, nachdem sie bei der EM gegen Israel jeweils einen Elfmeter verschossen hatten. Ebenfalls im Juni 2023 wurde die U17 des DFB erstmals seit 2009 wieder Europameister. Doch auch Erfolge schützen nicht vor rassistischen Angriffen. »Neben dem Platz – oder vielmehr im Internet – gab es leider unschöne Begleitumstände. Unter einzelnen Postings auf unseren Social-Media-Kanälen kam es zu einer starken Häufung rassistischer Kommentare«, beklagte Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, anschließend. »Diese haben auch unsere Jungs gesehen, das hat sie sehr beschäftigt.« Betroffen waren die Spieler Charles Herrmann, Almugera Kabar, Paris Brunner (alle Borussia Dortmund) und Fayssal Harchaoui (1. FC Köln).

Ähnlich war es schon zuvor Innenverteidiger Yann Aurel Bisseck nach seiner Berufung zum Kapitän der deutschen U21 ergangen. »Es ist leider ein Trend, der vor allem im Internet aus meiner Sicht nicht mehr aufzuhalten ist«, kommentierte Christian Wück, der Trainer der U17-Nationalmannschaft, die Situation. »Wir müssen uns da Gedanken um unser Land machen, um Deutschland und um die Gesellschaft.«

Rassistische Postings sollen Unruhe ins Team bringen und schwarze Spieler verunsichern. Scheitert dann das »bunte« Team, gilt dies als Beweis dafür, dass »Multikulti« nicht funktioniert und dem Erfolg im Wege steht. Bei der U17-EM bestand die größte Leistung der betroffenen jungen Spieler dar­in, dass sie sich nicht irritieren ließen. Das gesamte Team rückte noch enger zusammen.

Als Rudi Völler im vergangenen Jahr zum Direktor der Nationalmannschaft ernannt wurde, jubelte die Rechte und träumte von einem politischen und kulturellen Rollback. Auch dank einiger populistischer Sprüche des Ex-Weltmeisters, der sich zum Einstand robust und ohne Not zu Themen wie Gendern und den Klimaklebern äußerte.

Mitt­lerweile ist die anfängliche Begeisterung einer gewissen Ernüchterung gewichen. Die Regenbogenbinde ist zwar weg, aber dafür gibt es jetzt ein Auswärtstrikot in Pink und Lila. Rudi findet es gut, die Rechten nicht  Und dass sich Völler bestens mit Bundestrainer Julian Nagelsmann versteht, einem vermeintlichen »Laptop-Trainer«, war ebenso wenig vor­gesehen. »Laptop-Trainer« ist zu einem inhaltsarmen Kampfbegriff geworden, der vor allem von Menschen strapaziert wird, die sich von den taktischen Finessen des modernen Fußballs und fundierten Spielanalysen überfordert fühlen.

Auch die Personalie Andreas Rettig ist den Rechten ein Dorn im Auge. Als Rettig zum DFB-Geschäftsführer Sport berufen wurde, drehte das rechtspopulistische Online-Magazin Tichys Einblick vollends durch: »Beim DFB können sie auf den Fluren nun den linken Marsch des sowjetischen Revolutionsdichters Wladimir Majakowski anstimmen: ›He, wer schreitet dort rechts aus? Links, links, links!‹« Mit Rettigs Amtsantritt sah man den DFB weiter nach »links« rutschen, weil dieser von 2015 bis 2019 Geschäftsführer beim als links verschrienen FC St. Pauli gewesen war.

Wer an Verschwörungstheorien glaubt, könnte hier ein abgekartetes Spiel ausmachen: Völler als Mann für den Stammtisch, der sich in den vergangenen Jahren abgekoppelt fühlte. Nagelsmann für taktisch modernen Fußball, der sich nicht mit den sogenannten deutschen Tugenden begnügt. Und Rettig für die Fans, die der Hyperkommerzialisierung der Bundesliga kritisch gegenüberstehen.

Vor der EM 2024 hofft die Rechte nun auf eine Wiederholung des Özil-Gün­do­ğan-Dramas von 2018 – mit ­ähnlichen Folgen für die sportliche Schlagkraft der Nationalelf wie damals. Dieses Mal ist es kein Foto mit einem türkischen Autokraten (mit Putin wäre ein solches völlig in Ordnung gewesen), sondern eine Botschaft des schwarzen Innenverteidigers Antonio Rüdiger auf Instagram. Rüdiger wünschte seinen Followern einen frohen Ramadan. Der ehemalige Bild-Chefredakteur ­Julian Reichelt entdeckte auf dem Foto eine islamistische Geste. Vom Rechts­populisten Julian Reichelt bis zu den Rechtsextremisten um Björn Höcke und Jürgen Elsässer – auch bei der EM 2024 hofft die Rechte auf ein Scheitern der Nationalelf.