Autorinnen und Autoren erinnern sich an ihre Schreibmaschinen

Fünf Geschichten von getippten Typen und typischen Tippern

Maschinen können nicht sterben? Von wegen! Keine 300 Jahre währte das Zeitalter der Schreibmaschinen. Nun werden sie zerlegt und zu Schmuck verarbeitet oder aus Angst vor dem ultimativen Stromausfall irgendwo, nur keiner weiß mehr wo, aufbewahrt. Autorinnen und Autoren ­erinnern sich.

Tippfräuleins im Herbst
Für ein Mädchen aus rechtschaffenem Elternhause, das etwas im Köpfchen hatte und sogar einmal Urlaub im Ausland machen wollte, gab es nur einen Traumberuf: Fremdsprachensekretärin. So belegte es bereits im zarten jugendlichen Alter, weil es gar nicht erwarten konnte, die Tasten fröhlich klappern zu lassen, neben der Schule einen Kurs im Maschineschreiben. Auch die fremdsprachigen Vokabeln wurden brav gelernt und so hätte alles seinen Lauf nehmen können. Doch, ach, die junge Dame kam auf Gedanken, wollte studieren und etwas erleben. Nur um sich allerhand Mätzchen leisten zu können, erinnerte sie sich der eingeübten Fingerfertigkeit und besuchte für zwei Monate die Welt der Tippfräuleins.
Das einzige andere Tippfräulein hieß Susi, trug eine dauergewellte Löwenmähne, war sonnenstudiogebräunt, Ende 20 und frisch geschieden. Sie feilte täglich ihre weiß lackierten, schreibmaschinentastenlangen Fingernägel, blätterte in Frauenfachzeitschriften, löste Rätsel und plauderte aus dem Leben. »Ehe, dit is die Hölle«, sagte sie. »Aber nüscht jeht über eene Hochzeit in Weiß.« Briefe wurden kaum mehr diktiert. Die Schreibmaschinen waren so eben noch funktionstüchtig, die Ersatzfarbbänder rar. Auf den Schreibtischen der Mahnabteilung der Barmer Ersatzkasse an der Berliner Gedächtniskirche erhoben sich bereits Ungetüme von sogenannten Computern, die den Krankenkassenfachangestellten die Zahlungsrückstände der Kunden in Nullkommanichts anzeigten und sie in die Lage versetzten, diesen im Kasernenton mit unverzüglichen Zwangsvollstreckungen zu drohen. Derweil drangen unentwegt schaurig-depressive Akkordeonweisen vom Kurfürstendamm herauf. Die Zweigstelle der Barmer verschwand bald nach diesem Sommer. Mit ihr Susi und die Schreibmaschinen.
Regina Stötzel

DIN 32755
Meine erste Schreibmaschine erbte ich im Alter von 14 Jahren von meinem Stiefgroßvater, außerdem das dazugehörige Heft »Maschinenschreiben in 30 Tagen«. Ich wollte eigentlich einen Kriminalroman darauf schreiben, kam aber über die ersten Sätze nicht hinaus, deshalb nahm ich lieber das Heft und lernte in 30 Tagen Maschinenschreiben, also mit zehn Fingern und blind. Vorbild und Ansporn dabei war mir meine Mutter, die in den fünfziger Jahren sogar einmal die deutsche Meisterschaft im Maschinenschreiben gewonnen haben soll. Immer, wenn sie mir eine Entschuldigung für die Schule schrieb, tat sie das auf der Schreibmaschine, und zwar so rasend schnell und mit einem so tollen Sound dabei, dass ich das auch können wollte, ist ja klar, und ich übte und übte, bis sich auch bei höherer Tippgeschwindigkeit die Typenhebel nicht mehr verhakten. Die Lektionen, die die Zahlentasten betrafen, ließ ich aus. Blind Zahlen zu tippen fand ich heikel, da hatte ein Fehler schlimme Folgen. Deshalb reicht meine Blindschreibkompetenz noch heute bei der obersten Zeile nur für das ß, das Ausrufe-, das Frage- und das Anführungszeichen. So schleppen sich Entscheidungen aus der Kindheit durch das ganze Leben. Woran man eine richtige Schreibmaschine erkennt? Sie hat ein Farbband nach DIN 32755, ihre Typen kann man mit einer Zahnbürste reinigen und sie riecht wie alte Spielkarten. Auch wahr: Als sich die elektrischen Schreibmaschinen durchsetzten, klagten viele Sekretärinnen und Stenotypistinnen über Gewichtsprobleme.
Sven Regener

Brother, Where Art Thou?
Wann hast Du zum letzten Mal auf einer Schreibmaschine geschrieben?
Auf einer vollmechanischen? Am 23. Mai 1987 – einen Drohbrief an mich selbst. Der kurze Text lautete: »Hör endlich auf zu schreiben und ergreife einen anständigen Beruf. Ansonsten drohen Dir soziales Elend und psychische Komplikationen.« Hätte ich nur auf mich gehört, ich Doofmann.
Was ist aus Deiner letzten Schreibmaschine geworden?
Ich habe »Gabriele« begraben. Mehrmals. Nachts im Garten unter einer Blutbuche. An jedem nächsten Morgen stand sie wieder auf dem Schreibtisch. Als sei nichts passiert. Das war schon sehr unheimlich. Jetzt verrottet sie in Berlin auf einem Dachboden. Hoffentlich. Freunde berichten mir, sie hörten da manchmal jemanden tippen. Mitten in der Nacht. Ich weiß, da ist natürlich keiner. Da ist nur sie. Aber keiner traut sich nachzusehen.
Dein schlimmstes Erlebnis mit einer Schreibmaschine?
Noch viel schlimmer als die mechanischen Schreibmaschinen waren die elektronischen, die irgendwann in den Achtzigern aufkamen. Die hatten schon einen kleinen Arbeitsspeicher, in dem man die letzten 100 Zeichen oder so speichern, und ein winziges LED-Display, auf dem man den letzten halben Satz nachlesen konnte. Der Satz war noch nicht auf Papier getippt, sondern eben nur gespeichert. Das heißt, man hatte jetzt die Möglichkeit, Tippfehler sofort zu korrigieren. Das war ganz furchtbar. Dauernd war man am Verbessern. Man kam gar nicht mehr zum Schreiben. Bei mir führte das dazu, dass ich es irgendwann aufgab, meine Texte gegenzulesen, um überhaupt noch irgendwas zu Papier zu bringen. Einmal schrieb ich auf einer dieser Elektronischen – es war eine geliehene »Brother«; leisten konnte ich mir die teuren Dinger nicht – einen Brief an eine Frau, von der ich irgendwas wollte. Ich hatte vor, ihr die üblichen Komplimente zu machen. Ich war aber nicht richtig bei der Sache und schrieb: »Sieht man genauer hin, bist Du doch eine recht dumme Pute.« Ich habe den Brief dann eingetütet und abgeschickt, ohne ihn noch einmal durchzulesen. Die Frau ist später nach Pute ausgewandert. Äh, Peru. Das hatte aber mit dem Brief nichts zu tun.
Würdest Du Deine Texte lieber einsprechen?
Eintätowieren. In die Haut von 2 000 Schweinen. Die würde ich dann in alle Welt schicken, wo sie nicht nur gelesen, sondern auch verzehrt werden könnten (vgl. so ähnlich auch Markus 5, Vers 9/Lukas 8, Vers 30/Matthäus 8, Vers 30).
Christian Y. Schmidt

Die letzte Reise
Die Schreibmaschine ist eine Büromaschine. Erst in den siebziger Jahren wird die Schreibmaschine zu einem Gerät, das auch im Privatleben genutzt wird. Der Mensch ist nun so sehr in die verwaltete Welt eingespannt, dass es angemessen erscheint, zum Beispiel die Korrespondenz mit Behörden mit der Schreibmaschine zu erledigen. Bittbriefe werden nicht mehr mit krakeliger Handschrift verfasst, sondern ordentlich auf einem entsprechenden Formular ausgefüllt mit Blockbuchstaben oder eben Schreibmaschine.
Die Apparate, die dafür angeboten werden, kommen indes mit einem anderen Image auf den Markt: als Reiseschreibmaschine, transportabel, platzsparend, leichtgewichtig. Meine Oma mütterlicherseits, Oma Lucie, hatte sich eine solche Reiseschreibmaschine gewünscht. Irgendwie hatte sie wohl die Idee, ihre Rentenzeit ein wenig professionell zu gestalten. Der Krebs kam dazwischen und wir, die ihr die Reiseschreibmaschine geschenkt hatten, bekamen das Gerät wieder zurück, als Erbstück.
Benutzt wurde die Reiseschreibmaschine kaum bis nie, geschweige denn, dass wir sie auf Reisen mitgenommen hätten. Der eigentliche Vorteil war, dass sie gut weggestellt und verstaut werden konnte. Sie stand dann jahrelang in einem Schrank, später kam sie in den Keller.
Gleichzeitig kam der PC auf den Markt, der komfortable Kleinrechner, der Computer, der mehr war als ein Telespielgerät: eine Schreibmaschine als Satzgerät. Ich hatte einen der frühen Apple Macintosh-Computer, 1 MB Arbeitsspeicher, 20 MB Festplatte, ein kleiner Würfelklotz, zum Schreiben. Dann kam Amerika, 1991/1992. In meinem Gepäck: nicht der Macintosh SE, sondern Oma Lucies Reiseschreibmaschine, blaues Durchschlagpapier, ein Farbband (schwarz und rot). Auf dem Campus der University of California at Berkeley saßen bereits die ersten jungen Leute mit den frühesten Laptops.
Eine Zwischenwelt der Technik: Briefe und kleinere Texte tippte ich mit Oma Lucies Reiseschreibmaschine. Speichern und Archivieren war kein Thema. Das Durchschlagpapier schien damals noch zuverlässiger als die Disketten zu sein. Gelöscht wurde mit X-ungen: XXX etc. Die Maschinenschrift war die bessere, nämlich leserliche Variante der Handschrift. Und sie war auch Handschrift: die verdreckten, mitunter verbogenen Buchstaben, die Strichstärke abhängig vom Tastendruck, die eigenwillige Flattersatzgestaltung mit unmöglichen Trennungen machten die Schrift zum Schriftbild.
Mit einem Computer ist solche Textgestaltung nicht möglich. Gleichzeitig änderte sich die Idee von Textgestaltung. Das Prinzip »what you see is what you get« hatte für die Rechenapparate eine gänzlich andere Bedeutung als für meine Schreibmaschinen-Texte, die ich als Kohlepapierkopien noch immer habe. Oma Lucies Reiseschreibmaschine indes ist in der Zwischenwelt der Technik irgendwo hängen geblieben, ich weiß nicht wo. Vielleicht blieb sie in Amerika.
Roger Behrens

Fingerspiele
In meinem Elternhaus gab es keine Schreibmaschine, Briefe wurden mit der Hand geschrieben, Hausaufgaben und Deutsch-Aufsätze ebenso, die Schreibmaschine war in meiner Kindheit so etwas wie der Taschenrechner, also immer mit dem Verdacht der Faulheit des Benutzers behaftet. Tinnef. Auch bei den Nachbarn kann ich mich nicht erinnern, dass jemand ein solches Gerät besessen und vor allem genutzt hätte. In der Jugend änderte sich das natürlich, elektrische Schreibmaschinen wurden gebräuchlicher, aber ich fand immer, sie machen zu viel Aufsehen und Krach um die paar geschriebenen Worte.
Irgendwann wurde ich gezwungen, mich für einen Beruf zu entscheiden. Los jetzt! Was willst du werden? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Die Zwangsberatung beim Kinderarbeitsamt schlug mir nach einer Testauswertung völlig abwegige Berufe vor. Also nahm ich es doch lieber selbst in die Hand. Puh. Irgendetwas mit Sprachen fände ich gut, sagte ich, und wurde einige Monate später in einer Schule für Fremdsprachenkorrespondenten untergebracht. Vorgestellt hatte ich mir ein Leben als Übersetzerin in New York, Barcelona oder Mailand, wiedergefunden habe ich mich in einer besseren Sekretärinnenausbildung. Wir lernten Stenographie, Kaffeekochen – falls »der Chef« noch in einer Besprechung, der nächste Besuch aber schon im Büro wäre – und natürlich Schreibmaschine schreiben.
AESDEEFJOTKAELÖ, ASDEEFJOTKAELÖ, AESDEEFJOTKAELÖ … Ich hatte es mir wesentlich interessanter vorgestellt, das Leben. Gelernt haben das Maschinenschreiben dann auch nur die Anderen, ich hatte sehr schnell sehr andere Pläne. Eine eigene Schreibmaschine besaß ich nie.
Sarah Schmidt