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Ein umtriebiger Neonazi ersteigerte im brandenburgischen Lindenau eine Gaststätte und integrierte sich mustergültig im Dorf. Dessen Kirchenrat mobbte die kritische Pastorin aus dem Amt.
Das kleine Dörfchen Lindenau in der Oberlausitz kann sich glücklich schätzen. Die Einwohnerzahl ist seit 1989 zwar gesunken, derzeit wohnen 739 Menschen dort. Aber der Ort verfügt nicht nur über ein prächtiges Barockschloss und eine historische Kirche, sondern offenbar auch über eine ernstzunehmende gastronomische Institution: die »Pizza 18« in der Hauptstraße 18. Von 68 Kunden, die auf Facebook eine Bewertung hinterließen, gaben 67 der Pizzeria die Höchstbewertung von fünf Sternen. »Sehr netter und freundlicher Betreiber«, »preiswert und pünktlich«, »megalecker« – die Feinschmecker auf dem brandenburgischen Land sind begeistert.
Dieselbe Adresse wie »Pizza 18«, führt allerdings auch das rechtsextreme Online-Versandunternehmen Opos-Records im Impressum. Opos steht für »One People, One Struggle« (ein Volk, ein Kampf) und gehört zu den wichtigsten Firmen dieser Art im rechtsextremen Milieu in Deutschland. Dass der Betreiber der Pizzeria, Sebastian Raack, zugleich ein bekannter Rechtsextremer ist, scheint in Lindenau nur wenige zu stören. In dem kleinen Dorf hat Raack etwas gefunden, das antifaschistische Gruppen immer wieder anprangern: ruhiges Hinterland.
Der umtriebige Unternehmer Raack bedient mehrere rechtsextreme Subkulturen. Sein Label vertreibt Bands aus dem Bereich des Hatecore, in dem Nazis die szenetypische Musik und die zugehörigen Codes der traditionell linken Hardcore-Szene übernehmen und umdeuten. Raack selbst spielt in der Hatecore-Band Hope for the Weak. Mit seiner Bekleidungsmarke »Greifvogel Wear« ist er zudem ein wichtiger Ausstatter im rechtsextremen Kampfsportbereich. Die Marke ist beispielsweise ein Hauptsponsor der Turnierserie »Kampf der Nibelungen«. Recherchen der antifaschistischen Kampagne »Runter von der Matte« zufolge traten als »Team Greifvogel« in der Vergangenheit Neonazis wie Lucien Schönbach und Stefan Baer in den Ring.
Nach Recherchen von Antifaschisten war Raack darüber hinaus der Inhaber des Postfachs der Sektion Südbrandenburg der neonazistischen Organisation Blood and Honour, die im Jahr 2000 verboten wurde. Die Durchsetzung des Verbots läuft allerdings eher schleppend. So gab es erst in der vergangenen Woche bundesweit Razzien gegen Personen, denen vorgeworfen wird, gegen das Vereinigungsverbot verstoßen zu haben. T-Shirts mit dem Logo der Organisation werden regelmäßig auf Rechtsrockkonzerten im ganzen Land getragen. Zahlreiche Mitglieder von Blood and Honour hatten das NSU-Trio im Untergrund unterstützt. Ein Beispiel für die anhaltenden Aktivitäten der Vereinigung war das in diesem Jahr zweimal abgehaltene Festival »Schild und Schwert« im sächsischen Ostritz, 130 Kilometer entfernt von Lindenau.
In dem brandenburgischen Ort scheint sich kaum jemand an Raacks politischer Betätigung zu stören. Bei einer Zwangsversteigerung hat er 2016 das Gebäude erworben, in dem zurzeit die »Pizza 18« zu finden ist, und baute es zu einem Veranstaltungszentrum aus. Die Vorgehensweise ist bekannt, ähnlich ging der ehemalige NPD-Politiker Tommy Frenck im thüringischen Dorf Kloster Veßra vor, einem Dorf mit 340 Einwohnern, wo er die Gaststätte »Goldener Löwe« betreibt.
Medienberichten zufolge warnte der brandenburgische Verfassungsschutz die Gemeinde Lindenau vor dem rechtsextremen Kaufinteressenten, was jedoch den Verkauf der Immobilie nicht verhinderte. In der Gemeindevertretung des Orts gibt es zwei Parteien: die CDU und die Freie Wählervereinigung. Das Dorf gehört zum Wahlkreis 65. Bei der jüngsten Bundestagswahl holten dort die AfD und die CDU jeweils knapp 30 Prozent der Stimmen, alle anderen Parteien lagen deutlich dahinter. Die Grünen erhielten nur 1,8 Prozent, lediglich 0,5 Prozentpunkte mehr als die NPD.
Mittlerweile veranstaltet der rechtsextreme Pizzabäcker und Versandhändler Partys mit dem örtlichen Jugendclub, sponsert das Parkfest und spielt in der Herrenmannschaft von Blau-Weiß Lindenau. Im August fiel dem Studio Cottbus des RBB auf, dass bei dem Verein seltsame Dinge geschehen: »Auf der Facebook-Seite des Vereins ist Torjubel im rechtsextremen T-Shirt zu sehen. ›One Family‹ steht darauf – eine Gemeinschaft von Neonazibands und ihren Fans. Ein weiteres Bild ist ein Teamfoto mit Werbung für die NS-Hardcore-Bewegung ›Suizhyde‹. Beim Siegesjubel in der Kabine trägt eine Person einen ›Blutzeugen‹-Pullover. Bei der Spielerfeier ist die bei Hools und Neonazis beliebte Bekleidungsmarke ›Label 23‹ zu sehen, T-Shirts mit Neonazi-HipHopper Enessess und die Rechtsrocker Frontalkraft aus Cottbus. Der Kampfspruch der Lindenauer Fußballer lautet: ›Parkelf erwache.‹«
Eine der wenigen Lindenauerinnen, die in der Öffentlichkeit kritisch über Raack sprach, war die Pastorin Angelika Scholte-Reh. »Leute um Raack übernehmen hier die Zivilgesellschaft«, warnte sie im Oktober in einem Gespräch mit der Lausitzer Rundschau. Nur einen Monat später meldete die Zeitung, dass der Gemeindekirchenrat Lindenau die weitere Zusammenarbeit mit Scholte-Reh ablehne – ohne Angabe von Gründen. Ein Gemeindekirchenrat ist eine Art ehrenamtlich betriebenes Laienparlament, demokratisch gewählt von den Mitgliedern der Gemeinde. Das Kirchenvolk hatte also seine Pastorin abgewählt. Das ist kirchenrechtlich in dieser Weise zwar gar nicht vorgesehen. »Um des Friedens willen« habe sie sich trotzdem aus der Funktion verabschiedet, schrieb die Pastorin in einer Pressemitteilung.
Mit dem Wirt geht das Dorf anders um. »Eine ordentliche Gaststätte, die gehört einfach zum Ort dazu. Und es gibt nicht irgendwie groß die Auswahl, dass man als Gemeinde sagen kann: Wir haben hier zehn Bewerber und suchen uns den Genehmsten aus«, verteidigte sich der von der CDU aufgestellte parteilose Bürgermeister Jürgen Bruntsch im Interview mit dem Deutschlandfunk. »Es gab mit dem Verfassungsschutz Gespräche, mit der Polizei. Dort wurde uns zugesichert, dass es keinerlei rechtliche Bedenken gibt.« Raack habe dem Gemeinderat sogar zugesagt, dass er bereit sei, zu investieren und einen wesentlichen Beitrag für das Dorfleben zu leisten. Das tut er tatsächlich.