Zwischen Party und Politik: Berlin hat einen neuen Feiertag

An einem 8. März in Berlin

In Berlin ist der 8. März künftig – anders als in den anderen Bundesländern – ein gesetzlicher Feiertag. Sollte man sich über so viel Feminismus freuen?

Ausschlafen gegen das Patriarchat

Dieser Frauentag ist mehr als ein Gedenktag. Er ist ein freier Tag. Und das ist gut so.

 

Symbole und Signale sind die Ausreden für all jene, die sich an konkreten Maßnahmen stören. »Ein starkes Signal«, diese unerträgliche Floskel ist heutzutage leider oft genau das Gegenteil: ein Ausbleiben, ein Einknicken, eine Angst vor der praktischen Veränderung. Stattdessen müssen Zeichen in einer Welt herhalten, die die Möglichkeit realer Kämpfe in der Spätmoderne aufgegeben hat.
Nun ließe sich die Einführung des Frauentags als Feiertag als ein solches Zeichen betrachten. Einmal im Jahr erschlafen sich die Berliner das gute Gewissen, für den Feminismus irgend­etwas getan zu haben, während sich am Zustand der realen Ungleichberechtigung herzlich wenig ändert. Ganz so leicht ist es nicht.

Zunächst ist der Frauentag schon als Symbol ein größerer Gewinn als so manch anderer Gedenktag. Es dauerte nicht lang, bis nach dem entsprechenden Beschluss erzürnte Maskulinisten mit Schaum vorm Mund über die vermeintliche Benachteiligung der Männer heulten und einen entsprechenden Tag für Penisträger forderten. Ähnlich sauer waren einige Kirchenverbände, weil nicht der Reformationstag den Zuschlag bekommen hatte und Berlin keinen weiteren Irgendwas-mit-Jesus-Tag feiern darf. Allein dafür hat sich’s schon gelohnt.

Wenn nun Feministinnen klagen, dass sie am 8. März lieber wirksam streiken wollten, als verordnet frei zu haben, ist das nur bedingt nachvollziehbar. Niemand hält einen davon ab, sich am 8. März für den 9. März oder ­irgendeinen anderen Tag zu organisieren. So bekommt der symbolische Frauentag Substanz.

Damit nicht genug. Dieser Frauentag ist mehr als ein Gedenktag. Er ist tatsächlich frei. Das ist immer gut, vor allem angesichts des hyperdeutschen ­Arbeitsfetischismus, dem man kaum genug Krankheits-, Urlaubs- und Feiertage abringen kann. Das ist besonders gut in einer Stadt wie Berlin, wo über zweieinhalb Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr geleistet werden, die zu einem nicht unerheblichen Teil aus prekären und Bullshit-Jobs stammen dürften, die nur existieren, damit sich trotz der immer effizienter werdenden Gesellschaft möglichst jeder noch irgendwie zur Plackerei zwingen lässt.

Davon haben die Frauen nun zugegebenermaßen noch nicht allzu viel. Neben der regulären Arbeit verrichten sie häufig noch solche, die volkswirtschaftlich unsichtbar gemacht wurde – auch an Feiertagen. Nur allzu verständlich ist es also, dass Feministinnen der alten Schule sich am Frauentag stören. Schon 2010 forderte Alice Schwarzer: »Schaffen wir ihn also endlich ab, diesen gönnerhaften 8. März! Machen wir aus dem einen ­Frauentag im Jahr 365 Tage für Menschen, Frauen wie Männer.« Das ist nun selbst ein reichlich gönnerhaftes Statement, aber verständlich. Statt die reale Ungleichheit der Frau für einen Tag hübsch zu dekorieren, braucht es Maßnahmen, die sie unerträglich sichtbar machen. Täglich. Aber ließe sich der Feiertag nicht genau dafür nutzen?

In Leipzig gab es bis vor kurzem eine nette Tradition. Weil zum Feiertag am 1. Mai regelmäßig in Ruhe Nazis aufmarschieren konnten, veranstaltete man einen Tag zuvor, am 30. April, ein Festival, das in besseren Zeiten »Rock gegen rechts« und später kuschelig »Leipzig. Courage zeigen.« hieß. Weil am nächsten Tag frei war, wurde es oft voll. Der freie Tag begünstigte Organisation und Protest. Gut, zugegeben, er begünstigte auch ein zuweilen recht unpolitisches Saufgelage, was später kräftig eingeschränkt werden musste – die Möglichkeit zu Besserem war aber durchaus gegeben. Ein freier Tag, klug genutzt, kann fruchtbar sein.

Wenn nun Feministinnen klagen, dass sie am 8. März lieber wirksam streiken wollten, als verordnet frei zu haben, ist das nur bedingt nachvollziehbar. Niemand hält einen davon ab, sich am 8. März für den 9. März oder ­irgendeinen anderen Tag zu organisieren. So bekommt der symbolische Frauentag Substanz. Er schafft Raum für Bewusstwerdung, für Demonstra­tionen, Vorträge, Konferenzen und, auch das möge erlaubt sein, Partys. Er ist frei wegen der Frauen und für die Frauen. Niemand sollte ihnen an diesem Tag sagen, was sie tun sollen.

Selbst, wenn sie lieber schlafen möchten. Würden Frauen an diesem Tag einfach im Bett bleiben, wäre womöglich schon viel ­gewonnen. Die unbezahlte und ungesehene Haus- und Care-Arbeit, die sie auch an Feiertagen leider noch viel zu oft leisten müssen, bliebe dann nämlich ungetan. Und einige Männer würden reichlich hilflos aus der dreckigen Wäsche schauen und weinen. Das wäre in der Tat »ein starkes Signal«.

Konstantin Nowotny

 

Willkommen zum Ladies’ Day

Der neue Feiertag in Berlin könnte ein prima Spektakel werden. In Kreuzberg, wo sonst?

 

Berlin, 8. März 2019, Mariannenplatz, Kreuzberg. Alle, wirklich alle Parteien, von Linkspartei bis AfD, inklusive der spannenden kleinen Splitterparteien, sowie städtische Initiativen haben zum »Ladies’ Day« aufgerufen, um der weiblichen Bevölkerung Berlins an ihrem neuen Feiertag die Schönheit des Frauseins näherzubringen.

Die SPD verkauft das beliebte Damengetränk Aperol Spritz für 3 Euro, um ein bisschen darüber hinwegzutrösten, dass der Bundestag sich schon wieder geweigert hat, den Paragraphen 219a StGB abzuschaffen. Die AfD bietet Workshops für traditionelle deutsche Flechtfrisuren, während derer über die Stärke und Schönheit der deutschen Frau aufklärt wird. »Es gibt nichts Mu­tigeres, als dem deutschen Staat Kinder zu schenken. Der männliche Körper würde diese Schmerzen nie aushalten, für die Frau jedoch sind sie ein Geschenk. Ich meine, wir haben unsere weibliche Kraft, und die wollen wir heute feiern. Da braucht es sowas Lächerliches wie Gleichstellung doch nicht«, sagt eine Frau im Dirndl mit Tränen der Rührung in den Augen.
Ja, okay.

Ich stürze meinen dritten Aperol Spritz herunter und schlendere weiter auf den Platz, auf dem jedes Jahr am 1. Mai das berühmte und bei Anwohnerinnen und Anwohnern beliebte »MyFest« stattfindet. Offenbar hat durch den neuen Feiertag ganz Berlin den Feminismus für sich entdeckt. Die Betreiber der Stände auf dem Platz scheinen auch zu wissen, wie man Frauen für sich gewinnen kann: mit Blumen, zuckersüßen Cocktails, handgestrickten Stramplern für die Kleinen, selbstgemachten Hautpflegeprodukten. Die Ditib-Moschee veranstaltet einen Seidenmal-Workshop für Kopftücher, um junge Mädchen zu empowern.

Das Kultur­programm liefern Vor­­kämpferinnen der Frauen­bewegung wie Nina Hagen, Helene Fischer und K.I.Z., die in Frauenkleidung auftreten und betonen, dass ihr ungebrochenes Kokettieren mit Männlichkeit eigentlich total ironisch sei.

Ein von drei Typen betriebenes Modelabel verkauft Kleidungsstücke mit Slogans wie »Grrrl Power« und »Feminist for life« für 80 Euro das Stück, sie wollten ihr Sortiment aus lustigen Motto-Shirts erweitern, um sich auch ein weibliches Zielpublikum zu sichern – nur die richtigen Maße muss es haben: Die größte Größe ist 38.
Aber es gibt auch ein intellektuelles Programm, wie ich dem Flyer zum »Ladies’ Day« entnehmen kann.

Mal sehen. Den von NYX Cosmetics und dem Missy Magazine veranstalteten Workshop »Nägel gegen das Patriarchat« um 14.30 Uhr könnte ich noch erwischen, falls ich mich beeile und nach meinem vierten Aperol den Nagellackpinsel noch gerade führen kann. Danach gibt es den Vortrag »#Girlboss – warum auch du einer der reichsten Menschen Deutschlands werden solltest«.
Das Kulturprogramm liefern Vorkämpferinnen der Frauenbewegung wie Nina Hagen, Helene Fischer und K.I.Z., die in Frauenkleidung auftreten und betonen, dass ihr ungebrochenes Kokettieren mit Männlichkeit eigentlich total ironisch sei.

Aber es wird selbstverständlich auch an kritische Männlichkeitsarbeit gedacht, denn was wäre ein Frauentag ohne Männer? Anfangs hatte man sich überlegt, den neuen Feiertag ausschließlich für FLTIs zu ­gestalten, aber sich dann doch dagegen entschieden, aus ökonomischen Gründen.

Am Stand eines veganen Low-Carb-Restaurants – denn Frauen essen ja bekanntlich gerne wenig – wird gerade einem jungen Mann erklärt, dass er einen wichtigen Beitrag zur Frauenfrage leisten würde, wenn er seine Freundin nur heute einmal bekoche; und auch abspülen solle er, ohne danach direkt einen Blowjob zu verlangen. Ab dem neunten März, so wird ihm augenzwinkernd versichert, werde dann ja auch alles wieder seinen geregelten Gang gehen.

500 Meter entfernt finde ich dann endlich die linksradikale feministische Demonstration, zu der ich mich eigentlich verabredet habe, bevor die inzwischen fünf Aperol Spritz meinen Weg kreuzten. Und scheiße, eigentlich muss ich ja einen Redebeitrag halten, in dem ich darlege, dass der Kapitalismus und das Patriarchat eben untrennbar miteinander verwoben sind und hipper, leicht konsumierbarer Lifestyle-Feminismus niemals zur revolutionären Befreiung der Frau führen kann – die ja eigentlich das Anliegen des Frauenkampftages ist. Hoffentlich bin ich dazu nicht zu betrunken!

Während Feminismus seiner Radikalität beraubt wird, gibt es eine Handvoll Feministinnen, die an der Radikalität festhalten. Nun gibt es einen weiteren Feiertag, dessen Einführung einen Haufen gekränkter und unsicherer Männer auf die Palme gebracht hat – und dagegen ist nun wirklich nichts einzuwenden. Wir sollten nur dafür kämpfen, dass seine politische Botschaft nicht so verwässert wird wie mein Aperol Spritz.

Veronika Kracher