Der Streit über die Sterbehilfe ist noch längst nicht beendet

Der Streit geht weiter

Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuchs gestrichen und das »Recht auf selbstbestimmtes Sterben« betont hat, stellt sich die Frage, wie dieses Recht gewährleistet werden kann und soll.

Den Wirkstoff Natrium-Pentobarbital, der zu einem schmerzfreien und schnellen Tod führen soll, kann man in Deutschland nicht legal erwerben. Eine entsprechende Internetsuche führt zwar zu Treffern, man gelangt aber auf sehr unseriös wirkende Seiten. Auf einer soll man für etwa 400 Euro 50 Milligramm des Wirkstoffs bekommen – plus 60 Euro Versandkosten, gegen Vorkasse, zahlbar in Bitcoins oder über Western Union oder Money Gram. Die Herkunft der Pillen? Unklar. Der Shop verweist darauf, dass das Mittel »in speziellen Dosen für die Euthanasie von kranken Personen« verwendet werden könne. Doch um einen Menschen damit umzubringen, reichen Dosierungen im Milligrammbereich nicht. Man benötigt einige Gramm des Stoffs – je nach Körpergewicht.

Natrium-Pentobarbital ist der Stoff, von dem viele Suizidwillige träumen. Er verspricht einen schmerzfreien, schnellen Tod. In der Schweiz und den Niederlanden ist er das Mittel der Wahl im Bereich der Sterbehilfe. Man trinkt einen kleinen Becher, so stellt es der Schweizer Verein Dignitas immer wieder dar, und schläft sanft im Beisein seiner Lieben ein.

In Deutschland ist Natrium-Pentobarbital ausschließlich zur Anwendung bei Tieren zugelassen. »Das Betäubungsmittelgesetz schließt die Erteilung einer Erwerbserlaubnis für Natrium-Pentobarbital zur Durchführung des Suizides ausnahmslos aus. Gesetzlich ausgeschlossen ist ebenso die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital zu Suizidzwecken«, sagte Maik Pommer, Pressesprecher des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der Jungle World. Es ist also strikt verboten – noch. Denn seit einigen Jahren ist Bewegung in diesen Bereich gekommen. Den Anfang machte 2017 ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Es besagt, dass es schwerkranken Menschen »in extremen Ausnahmesituationen« nicht verwehrt werden dürfe, an Medikamente für einen schmerzfreien Suizid zu gelangen. Daraufhin beantragten etwa 100 Menschen beim BfArM die Zuteilung einer tödlichen Dosis. Alle Anträge wurden – auf explizite Weisung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – abgelehnt.

Alle Anträge auf Zuteilung einer tödlichen Dosis Medikamente wurden – auf explizite Weisung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – abgelehnt.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht Ende Februar urteilte, dass Paragraph 217 des Strafgesetzbuchs ersatzlos gestrichen werden muss, und damit das »Recht auf selbstbestimmtes Sterben« gestärkt hat (Jungle World 10/2020), steht auch das strikte Erwerbsverbot von Wirkstoffen wie Natrium-Pentobarbital wieder zur Disposition. Unterstützung bekommen die Befürworter einer Freigabe durch eine Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts. Dieses setzte im November 2019 die Befassung mit dem Antrag eines Klägers, »eine Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erteilen«, aus und überwiesen das Verfahren an das Bundesverfassungsgericht. Dort liegt es nun zur Klärung.

Interessant an dem Kölner Verfahren ist die Begründung der Richter: »Die Kammer ist der Überzeugung, dass ein generelles Verbot des Erwerbs auch für schwerkranke Menschen in einer existentiellen Notlage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.« Die staatliche Schutzpflicht für das Leben könne in begründeten Einzelfällen hinter das Recht des Einzelnen auf einen frei verantworteten Suizid zurücktreten. »Das in Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst bei zutreffender und europarechtskonformer Auslegung auch ein Recht, über Zeitpunkt und Art des eigenen Todes zu bestimmen«, so das Gericht einer Pressemitteilung zufolge.

Damit stoßen die Richter das Tor in Richtung Sterbehilfe weit auf. »Das ist sicherlich ein Problem, aber wir haben nur die Aufgabe, die Klage juristisch zu prüfen. Dann ist der Gesetzgeber gefragt, konkrete Regelungen zu treffen«, sagte Michael Ott, Pressesprecher und Richter am Kölner Verwaltungsgericht, der Jungle World. Sollte das Bundesverfassungsgericht den Kölner Richtern folgen, muss der Bundestag klären, was genau »schwerkrank«, »existentielle Notlage« und »schwere und unheilbare Erkrankung mit gravierenden körperlichen Leiden« bedeutet.