Der Anschlag auf den ­extrem nationalistischen Blogger Maksim Fomin in Sankt Petersburg

Russischer Militärblogger weggebombt

Die Hintergründe des Mords an einem Blogger in einem Café des Wagner-Gründers Jewgenij Prigoschin bleiben rätselhaft. Russland nutzt die Tat, um noch schärfere Gesetze zu erlassen.

Maksim Fomins Beisetzung am Samstag glich einem Staatsbegräbnis. Tausende hatten sich trotz verschärfter Sicherheitskontrollen auf einem Moskauer Friedhof eingefunden, um dem unter seinem Pseudonym Wladlen ­Tatarskij bekannten Kriegsblogger die letzte Ehre zu erweisen und mit Gleichgesinnten Betroffenheit zu zelebrieren, weil einer der Ihren nicht im Schützengraben, sondern an der Heimatfront den Heldentod gestorben war.

Am Abend des 2. April war ein Sprengsatz während eines Vortragsabends in Sankt Petersburg detoniert, zu dem Fomin geladen hatte. Er kam bei dem Anschlag ums Leben, über 40 Personen trugen nach offiziellen Angaben Verletzungen davon. Die Veranstaltung fand im Café Street Food Bar No. 1 statt, das dem Gründer der Söldnergruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, gehört. Eine junge Frau mit langen blonden Haaren, die sich als Nastja vorstellte, überreichte Fomin einen Geschenkkarton.

Zunächst hatte die Security ihr den Zutritt verwehrt, aber Fomin winkte sie durch. Der Karton enthielt eine ihm nachempfundene Büste, die kurz nach der Übergabe explodierte. Videoaufnahmen zeigen Nastja im Saal und später auf der Straße vor dem Eingang. Sie schien es nicht eilig zu haben, den Ort des Geschehens zu verlassen – und war dann plötzlich verschwunden.

Zitate von Maksim Fomin auf seinem Blog stehen für sich: »Wir besiegen alle und töten alle.« Und: »Die russische Idee ist Krieg.«

Am folgenden Morgen wurde sie in der Wohnung eines Bekannten festgenommen. Ihre Identität stand schnell fest: Darja Trepowa, 26 Jahre alt, aus Sankt Petersburg. Angaben über ihren Lebenswandel ergeben ein komplexes Bild. Sie ist künstlerisch veranlagt mit feministischem Hintergrund. Trepowa nahm im Frühjahr 2022 an Antikriegsprotesten teil und unterstützt die verbotene NGO Antikorruptionsfonds (FBK) des zu einer langen Haftstrafe verurteilten Oppositionspolitikers Aleksej Nawalnyj. Suizidale Gedanken sollen ihr nicht fremd sein. Eine Zeitlang verlegte sie ihren Wohnsitz nach Moskau, meldete sich als Kleinunternehmerin an und plante, Russland zu verlassen.

Das Petersburger Nachrichtenportal Fontanka veröffentlichte eine Zusammenfassung von Trepowas erster Vernehmung. Ihr sei ein Arbeitsplatz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew angeboten worden, dafür sollte sie eine Art Eignungstest durchlaufen. Zunächst galt es demnach, sich als Sympathisantin kriegspatriotischer Kreise zu inszenieren und die Nähe zu Fomin zu suchen, was ihr überzeugend gelang.

Mit dem rechten Moskauer Buchladen Listwa habe sie dessen Telegram-Kanal nach vereinbart, Postkarten aus eigener Herstellung für Projekte zur Unterstützung der russischen Armee in der Ukraine zu verkaufen. Dann habe sie per Telegram einen weiteren Auftrag erhalten – eine Büste zu überreichen, angeblich von einem Moskauer Taxifahrer ausgehändigt. Trepowa habe nach Angaben ihres in Georgien lebenden Ehemanns vermutet, sie enthalte lediglich eine Wanze, um Fomin abzuhören. Sie sei schlichtweg hintergangen worden.

Aus dem behördenübergreifenden russischen Nationalen Antiterrorkomitee hieß es, hinter der Tat stünden ­ukrainische Geheimdienste und Nawalnyjs FBK. Dessen Leitung wiederum distanzierte sich von diesen Vorwürfen. Fomins Anhängerschaft zieht Parallelen zu dem Mord an der Kriegspropagandistin Darja Dugina durch eine Autobombe im vergangenen August, nachdem die vermeintliche Täterin problemlos über die Grenze nach Estland ausgereist war. Ihnen gilt Trepowa als blutrünstige Agentin, obwohl ihre Biographie und auch ihr Verhalten nach dem Vorfall nicht darauf hindeuten.

Auch dieses Mal bekannte sich der Novaya Gazeta Europe zufolge die angebliche Untergrundpartisanengruppe Nationale Republikanische Armee zu der Tat, deren Existenz allerdings nicht bewiesen ist. Veröffentlicht wurde die Erklärung im Telegram-Kanal von Roman Popkow, einem in Kiew lebenden ehemaligen Kader der russischen Nationalbolschewistischen Partei. Popkow stritt aber seine eigene Beteiligung an dem Anschlag auf Fomin auf seinem Kanal ab.

Fomins Anhängerschaft zieht Parallelen zu dem Mord an der Kriegspropagandistin Darja Dugina durch eine Autobombe im vergangenen August.

Verschwörungstheoretiker halten es für möglich, dass der russische Staatsschutz verantwortlich war, wobei womöglich auch Trepowas Tod einkalkuliert war. Denkbar sind alle diese Versionen. Strafverschärfungen für Terrorismus und Landesverrat sind bereits in Arbeit. Der Abgeordnete Oleg Matwejtschew von der Regierungs­partei Einiges Russland kündigte Anfang April einen Gesetzentwurf an, der den Feminismus als »extremistische Ideologie« einordnen würde.

Anlass für Spekulationen bietet auch der Tote, der post mortem mit dem Tapferkeitsorden ausgezeichnet wurde. Der 40jährige Fomin, der im ostukra­inischen Makijiwka in eine Bergarbeiterfamilie geboren wurde, wird als self-made man beschrieben, der zu einem fanatischen Gegner der Ukraine wurde. Nach einem missglücktem Bankraub wurde er 2011 zu zwölf Jahren Haft verurteilt, nutzte die Unruhen 2014 im Donbass zur Flucht, kämpfte in Freiwilligenverbänden in dem von Russland geschürten Separatistenaufstand gegen die Ukraine, wurde wieder verhaftet, aber von der Führung der sogenannten Volksrepublik Donezk schließlich begnadigt.

Zitate von ihm auf seinem Blog stehen für sich: »Wir besiegen alle und töten alle.« Und: »Die russische Idee ist Krieg.« Mit über einer halben Million Followern gehörte Fomin zu den populären Kriegsbloggern, der gerne nach allen Seiten austeilte und auch die Kriegsführung des russischen Verteidigungsministeriums kritisierte. Dass jetzt ausgerechnet jemand, der Prigoschins Söldnertruppe nahestand, ausgeschaltet wurde, erinnert an die Zeit, als gegen die Ukraine kämpfende, allzu eigenwillige Warlords im Donbass einer nach dem anderen bei Anschlägen ums Leben kamen.