Die Festnahmen bei der Krönung Charles III. sorgen für Empörung

Präventiv in Handschellen

Bei der Prozession anlässlich der Krönung von Charles III. nahm die Po­­lizei mehr als 50 Menschen fest, um Protesten vorzubeugen. Recht­li­­­che Grundlage des Vorgehens ist der umstrittene Public Order Act 2023.

London. Alice Chambers hatte sich darauf gefreut, die Prozession anzuschauen, die anlässlich der Krönung von Charles III., dem neuen Monarchen des Vereinigten Königreichs, am 6. Mai in London ab­gehalten wurde. Doch dann kam alles etwas anders als erwartet. Chambers wurde festgenommen und verbrachte den Tag in Polizeigewahrsam. Sie stand zufällig neben Aktivisten der Klimaschutzgruppe Just Stop Oil und wurde mitgenommen, als die Polizei die Gruppe in Gewahrsam nahm. Erst nach 13 Stunden bekam Chambers Gelegenheit, sich zu erklären. Zu Chambers versehentlicher Festnahme kam es nicht zuletzt, weil die Aktivisten von Just Stop Oil zum Zeitpunkt ihrer Festnahme noch gar nicht begonnen hatten zu protestieren und somit von Zuschauern schwer zu unterscheiden waren. Sie wurden vorbeugend festgenommen, um Störungen der Prozession zu verhindern.

So erging es auch sechs Mitgliedern der Gruppe Republic, einer Organisation, die sich für die Abschaffung der Monarchie einsetzt. Republic hatte für den Tag der Krönung zu einem Protest am Trafalgar Square aufgerufen, diesen angemeldet und über Monate mit der Polizei besprochen. Doch am Morgen des geplanten Protests, als die Organi­satoren Plakate und Transparente für die Demonstration entladen wollten, wurden sie festgenommen. Die Polizisten hatten es auf die Spannbänder ­abgesehen, mit denen die Plakate und Transparente gebündelt wurden – die Bänder seien Materialien, die auch zu einer Blockade der Straße benutzt werden könnten. 16 Stunden blieben die Mitglieder von Republik hinter Gittern.

Nach Angaben der Polizei gab es 64 Festnahmen, 52 davon wegen befürchteter Störungen (disruptions) der Prozession. Betroffen waren auch drei Frauen, die in der Innenstadt Londons in der Nacht zuvor rape alarms verteilt hatten, schrill heulende Sirenen, die im Fall von Attacken Aufmerksamkeit erregen sollen. Die Frauen engagieren sich in Initiative Night Stars für den Schutz von Frauen vor sexuellen Übergriffen; das Bezirksamt der City of Westminster, die den westlichen Teil des Londoner Stadtzentrums umfasst, unterstützt diese Initiative. Die Polizisten erklärten, die Warngeräte könnten benutzt werden, um die Pferde bei der Parade zu erschrecken, doch die Frauen waren nicht mal in der Nähe des Umzugs, der erst Stunden später begann. Die Festnahmen erregten besondere Aufmerksamkeit, weil erst vor wenigen Woche der Londoner Polizei (Metropo­litan Police) offiziell bescheinigt worden war, institutionell frauenfeindlich zu sein.

Graham Smith, der Vorsitzende von Republic, der selbst festgenommen worden war, erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei und die Regierung. Es könne keine Rede davon mehr sein, dass es noch ein Demonstrationsrecht gebe, so Smith nach seiner Entlassung auf Twitter. Bereits vor den Festnahmen hatten Republic und andere Gruppen Briefe vom Innenministerium erhalten, in denen sie gewarnt wurden, dass »störender Protest« nicht toleriert werde. Die Polizei bekundete vorige Woche »Bedauern« über die Verhaftung von Republic-Anhängern, verwies aber auch auf die komplexe ­Sicherheitslage.

Es könne keine Rede davon mehr sein, dass es noch ein Demonstrationsrecht gebe, so Graham Smith, der Vorsitzende der antimonarchischen Gruppe Republic, nach seiner Freilassung.

Für ihre umstrittenen Festnahmen beruft sich die Polizei auf ein neues Polizei- und Versammlungsgesetz, den Public Order Act 2023. Drei Tage vor der Krönung traten jene Passagen in Kraft, die vorbeugende Eingriffe der Polizei bei befürchteten Störungen gestatten. Die konservative Regierung hatte das Gesetz vor allem eingeführt, um unliebsame Klimaproteste, allen voran Blockaden von Straßen, Autobahnen und Flughäfen, zu verhindern. Zuvor war die Polizei kritisiert worden, weil sie nach Ansicht vieler Konservativer nicht hart genug gegen solche Aktionen vorgehe. Die Polizei hatte ihrerseits auf die Rechtslage verwiesen und mehr Klarheit gefordert, wie mit solchem Protest umzugehen sei.

Das neue Gesetz untersagt es, sich an Objekte anzukleben, anzuketten oder Tunnel zu bauen, um damit eine Störung (disruption) der »nationalen Infrastruktur« zu verursachen, zum Beispiel durch die Blockade einer Autobahn. Es drohen Haftstrafen bis zu drei Jahren. Besonders umstritten ist der präven­tive Charakter des Gesetzes. Die Polizei erhält umfangreichere Befugnisse zu verdachtsunabhängigen Durchsuchungen, zur Beschlagnahmung von Objekten, die für Protestaktionen benutzt werden könnten, sowie zu Festnahmen, um bevorstehende Störungen zu verhindern.

Das neue Gesetz war bereits vor den Vorfällen bei der Krönung gerügt worden. Neben Menschenrechtsorganisationen äußerte sich sogar der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk: Der Pu­blic Order Act sei »sehr besorgniserregend« und »unvereinbar« mit den internationalen Verpflichtungen Großbritanniens, da das Gesetz die Grundrechte der Bevölkerung schwäche. Die Opposition stimmte gegen das Gesetz und im Oberhaus, wo die Konservativen keine Mehrheit haben, gab es eine Mehrheit für Einschränkungen des Gesetzes, auf die die Oberhausmehrheit schließlich doch verzichtete; die einzige Veränderung an dem Gesetz, die das Oberhaus durchsetzte, war, Proteste innerhalb eines Umkreises von 150 Metern um Abtreibungskliniken zu verbieten.

Die Kritik am Gesetz ist wegen der Festnahmen während der Krönung lauter geworden. Abgeordnete aller Parteien, einschließlich der Konservativen, äußerten sich besorgt. Der Innenausschuss des britischen Unterhauses soll nun die Aktionen der Polizei unter­suchen, auch im Hinblick auf etwaige Probleme mit dem neuen Gesetz. Die Vorsitzende des Innenausschusses, Diana Johnson (Labour), sagte, es gebe »tatsächlich Fragen« hinsichtlich der Anwendung des neuen Gesetzes.