Ein Bericht bescheinigt der Londoner Polizei, rassistisch und sexistisch zu sein

Cops in der Krise

Ein Untersuchungsbericht bescheinigt dem Londoner Metropolitan Police Service Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei der Hauptstadt ist geringer denn je.

Der Londoner Metropolitan Police Service, kurz Met, macht mit einer Reihe von Skandalen seit Wochen Schlagzeilen. Bei vielen Delikten wie Einbrüchen oder Raubüberfällen sind die Aufklärungsraten der größten britischen Polizeieinheit inzwischen unter fünf Prozent gesunken. 2017 waren noch über 68 Prozent der befragten Londoner mit der Met zufrieden, im März ­ergab eine repräsentative Umfrage für die BBC, das nur noch 29 Prozent der Londoner Vertrauen in die städtische Polizei haben. Doch Ineffektivität ist nicht das einzige Problem der Met.

Ein kürzlich veröffentlichter Untersuchungsbericht bezeichnete sie als ­institutionell rassistisch, misogyn und homophob. Die Autorin des Berichts, die Oberhausabgeordnete Louise Casey, sagte, die Londoner Polizei habe systematisch versagt beim Schutz der Bevölkerung, insbesondere von Frauen und Kindern. Caseys Untersuchung war eingeleitet worden, nachdem 2021 der Met-Beamte Wayne Couzens die Londonerin Sarah Everard entführt, vergewaltigt und ermordet hatte. Nach der Tat und der Festnahme Couzens’ wurde klar, dass der Beamte internen Polizeiberichten zufolge seit Jahren für Übergriffe auf Frauen bekannt war und dennoch seine Karriere als Polizist fortsetzen konnte.

Als es infolge des Mords zu Protesten kam, löste die Met eine Gedenkveranstaltung für Everard mit Zwangsmitteln auf, angeblich weil Covid-19-Regeln gebrochen worden waren. Mehrere Frauen wurden bei der Polizeiaktion festgenommen oder verletzt. Die Met gab zudem in einer offiziellen Pressemitteilung Frauen den Ratschlag, sich immer die Dienstausweise zeigen zu lassen, wenn sie von der Polizei an­gehalten werden. Diese Mitteilung kam heraus, nachdem bereits bekannt ­geworden war, dass Couzens seinen Dienstausweis benutzt hatte, als er sich an sein Opfer Everard heranmachte.

Dem Bericht zufolge sei es möglicherweise zu spät für Reformen. Für einen Neuanfang könne es nötig sein, die Met in ihrer bisherigen Form abzuschaffen.

Couzens ist kein Einzelfall. Im Winter wurde bekannt, dass der Polizist David Carrick seit 2003 mindestens zwölf Frauen vergewaltigt und weitere sexuell missbraucht hatte. Carrick hatte seinen Opfern wiederholt gesagt, die Polizei würde ihn schützen, sie sollten gar nicht erst versuchen, ihn anzuzeigen. Vorwürfe gegen Carrick wurden 2002 tatsächlich nicht weiterverfolgt. Erst im Zuge der öffentlichen Debatte über Couzens wagte es eines von Carricks Opfern, Anzeige zu erstatten. Auch Couzens war bereits 2020 und 2021 unter anderem wegen Exhibi­tionismus angezeigt worden, doch die mit dem Fall betrauten Polizisten hatten nicht weiter ermittelt.

Caseys Untersuchung deckte eine Reihe von weiteren Problemen in der Met auf. Systematisch sind dort in den vergangenen Jahren Vergewaltigungen und Sexualverbrechen ent­priorisiert worden, sogenannten Kapitalverbrechen wie Mord und Terror­anschlägen wurde Vorrang eingeräumt. Wird eine Frau vergewaltigt und ermordet, so sagte Casey in einem Interview, setze die Met 20 ihrer besten Kommissare auf den Täter an. Aber wenn die Frau die Vergewaltigung überlebe, komme der Fall in eine andere Kategorie, und plötzlich sei kaum noch Personal da, um den Fall zu bearbeiten.

Casey deckte auch auf, dass Met-Mitarbeiter Kühlschränke, in denen nach Sexualverbrechen Beweismittel aufbewahrt werden, für ihre Lunchboxen benutzt hatten; hoch­sensibles genetisches Beweismaterial sei so zerstört worden. Teilweise sind diese Probleme auf die Jahre der Austerität unter Premierminister David ­Cameron zurückzuführen, in denen die Zahl der Polizisten in Großbritan­nien stark sank. Später gab es wiederholt Einstellungen in großer Zahl, bei denen die Eignung der Bewerber kaum geprüft wurde.

Caseys Bericht erbrachte auch neue Belege für den Rassismus der Met, unter anderem im Verhalten und den Einstellungen der Polizisten, unter ­denen weiße Briten deutlich überrepräsentiert sind. Zahlen der Bürgerrechtsorganisation Liberty von 2021 zeigen, dass schwarze Briten mit mehr als neunmal höherer Wahrscheinlichkeit als weiße verdachtsunabhängige Polizeikontrolle über sich ergehen lassen müssen. Probleme mit rassistischen Ansichten in der Met sind seit Jahrzehnten bekannt. Besonders die Ermordung des Teenagers Stephen Lawrence in den neunziger Jahren offenbarte sie. Damals ignorierten die ermittelnden Polizisten Zeugenaussagen über die Täter, eine Gruppe von weißen Jugendlichen. Infolge der Tat stellte schon 1999 eine öffentliche Unter­suchung der Met strukturellen Rassismus fest.

Die Voreingenommenheit der Ermittler im Mordfall Lawrence geriet erneut in die Schlagzeilen, als 2010 bekannt wurde, dass die Met in Reaktion auf Proteste von dessen Familienangehörigen wegen polizeilicher Untätigkeit verdeckte Ermittler eingesetzt hatte, um die Familie und deren Freunde auszuspionieren. Die Spezialeinheit Special Demons­tration Squad (SDS) hatte jahrzehntelang im Geheimen operiert und es auf linke und progressive Gruppen abgesehen. Die Arbeitsweise der SDS wurde erst 2010 infolge der Enttarnung des Polizisten Mark Kennedy in Nottingham durch Umweltaktivisten öffentlich bekannt.

Eine Serie von Enthüllungen zeigte, dass die meist männlichen Under­cover-Beamten mehrere Jahre in verschiedenen Gruppen mitgewirkt hatten. Mit Billigung ihrer Vorgesetzten gingen viele der SDS-Beamten intime Beziehungen mit Aktivisten ein, in einigen Fällen zeugten sie Kinder. 2015 musste die Met mehrere Millionen Pfund Schmerzensgeld an betroffene Frauen zahlen.

Der neue Polizeipräsident der Met, Mark Rowley, will die Behörde re­formieren. Er forderte zuletzt, Polizisten schneller entlassen zu können, und kündigte Disziplinarverfahren gegen korrupte Polizisten an. Casey ­sagte in ihrem Bericht, es sei möglicherweise zu spät für Reformen, für ­einen Neuanfang könne es nötig sein, die Met in ihrer bisherigen Form ab­zuschaffen. Innenministerin Suella Braverman hat indes angedeutet, dass eine Abschaffung der Met trotz aller Skandale von dieser Regierung nicht zu erwarten sei.