Im Kreisverkehr

Offener und institutioneller Rassismus in London: Der Fall Stephen Lawrence.

In der Nacht des 22. April 1993 wurde der junge schwarze Brite Stephen Lawrence in einem Vorort im Londoner Südosten von einem Mob Weißer erstochen. Die polizeilichen Ermittlungen waren geprägt von skandalöser Schlamperei und von rassistischen Vorurteilen gegenüber dem Hauptzeugen, Lawrences Freund Duwayne Brooks, und Stephens Eltern, Doreen und Neville Lawrence.

Die Verfahren gegen die fünf Verdächtigen wurden frühzeitig eingestellt; niemand wurde für das Verbrechen verurteilt. Lawrences Eltern initiierten 1997 mit Hilfe der Labour Party die historisch einmalige Einrichtung einer öffentlichen Untersuchungskommission zur Erhellung der Vorfälle. Die Kommission unter Vorsitz von Sir William Macpherson formulierte einen Abschluss-Bericht, in dem der institutionelle Rassismus bei der Polizei und im Rechtssystem eindeutig benannt wird. Der Bericht enthält 70 Empfehlungen für eine Reform der Polizeikräfte. Die Arbeit der Kommission entfachte in Großbritannien eine kontroverse Diskussion um rassistische Gewalt und institutionellen Rassismus. Trotzdem blieb die Bereitschaft der weißen Mehrheit, ihre Positionen zu hinterfragen, gering. In Gesprächen mit Leuten in Cafés, Pubs, an Zeitungsständen sowie mit Polizisten bei inoffiziellen Gelegenheiten wird nach wie vor eine rassistische Stimme hörbar, die nicht Teil der offiziellen Geschichte ist. Der Unwillen, sich wirklich mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Rassismus auseinander zu setzen, wird auch in offiziellen Verlautbarungen nur zu deutlich.

Beispielsweise sagte Tony Blair auf einer Konferenz der Labour Party im Jahre 1998: »Wenn ein junger und talentierter schwarzer Student von rassistischen Schlägern ermordet wird und der Name Stephen Lawrence jedem ein Begriff ist - nicht etwa, weil es ein Gerichtsverfahren zur Verurteilung seiner Mörder gibt, sondern stattdessen eine Untersuchung darüber, warum diese Mörder auf freiem Fuß sind -, dann ist das nicht einfach falsch. Vielmehr schwächt es den grundlegenden Konsens von Anständigkeit und Respekt, ohne den die Stärke unseres Landes in Frage gestellt ist. Wir müssen stärker zusammenstehen!« (1) Der Tod von Stephen Lawrence wird instrumentalisiert für eine Beschwörung von nationaler Gemeinschaft, und weißer Rassismus wird aufgefasst als Antithese von »Gemeinschaft« und als Verletzung von christlichen Werten wie Anständigkeit und Respekt. Diese Vorstellung macht eine Analyse der komplexen Ausdrucksformen von Rassismus gerade in den Leben der 'anständigen Leute', seien sie bei der Polizei, in Schulen oder bei der Labour Party beschäftigt, unmöglich.

Well Hall Road, Eltham, 12. März 1998

Am 5. März 1998 wurde bekannt, dass die Gedenktafel, die am Ort des Verbrechens an den Tod von Stephen Lawrence erinnerte, geschändet wurde. Jemand hatte weiße Farbe über die Gedenktafel an der Well Hall Road gekippt. Ich entschied mich, das kurze Stück nach Eltham zu fahren und Fotos zu machen. Was sofort auffällt an dieser Gegend, ist die Koexistenz von suburbanem Wohlstand und Arbeiterklasse-Behausungen. Downhan Road, die kleine Seitenstraße, in der ich parkte, ist teuer und luxuriös. Aus dem Autofenster fiel mein Blick auf die Imitations-Tudor-Fassade eines Fünf-Schlafzimmer-Hauses. Stephen Lawrence wurde weniger als 50 Meter von dieser Stelle entfernt ermordet.

Well Hall Road ist eine sehr lange Straße, sie verläuft von Woolwich Common bis hinunter zum Südzipfel von Eltham. Ganz in der Nähe befinden sich der viel gepriesene Millennium Dome und der Nullmeridian von Greenwich - der Ausgangspunkt für die Berechnung der Zeit genauso wie für die kartographische Imagination des Empire. Noch vor ein paar Wochen verkündeten unzählige Plakate: »Das Millennium beginnt hier.« Im oberen Teil von Well Hall Road stehen militärische Gebäude neben altehrwürdigen aus imperialen Zeiten. Auch die Royal Military Academy befindet sich hier. Fährt man die Straße entlang, begegnet man immer wieder Armeefahrzeugen. Die Symbole des militärischen London sind überall; den Gebäuden ist eine Geschichte von Imperialismus und Lohnarbeit eingeschrieben. Die vielen industriellen Jobs, ermöglicht durch imperiale Eroberungen, sind allerdings längst Geschichte. Alleine die Königliche Waffenfabrik beschäftigte einmal 80 000 Menschen. Zumindest in den letzten hundert Jahren dienten diese Gebäude dann der Rekrutierung junger, zumeist der Arbeiterklasse entstammender Männer in die Institutionen des Militärs - die Präsenz maskuliner Gewalt wurde so permanent reproduziert. Welch seltsame und schreckliche Metapher für die Tragödie von Stephen Lawrences Tod ist es, dass auf vielerlei Weise die gesamte Gegend durchsetzt ist mit einer Geschichte von staatlich sanktionierter Gewalt und dem Erbe von imperialem Militarismus.

Viele der Straßen zu beiden Seiten der Well Hall Road haben Namen, die an diese Geschichte erinnern. Entlang Well Hall Road bieten die Straßenschilder den Untergrund, auf dem die Kämpfe von Identität und Zugehörigkeit ausgetragen werden. Linke und Rechte beanspruchen mit Graffiti den öffentlichen Raum für sich. Die Schilder, die die Admiral Seamore Road und die Prince Rupert Road kennzeichnen, waren übersät mit Aufklebern antifaschistischer Initiativen, während ich in einer Gasse auf ein rassistisches Graffito stieß. Es zeigte die Karikatur eines schwarzen Mädchens und entsprach sehr genau der Form von alltäglichem Rassismus, die sich auf den ersten Blick unterscheidet von den Emblemen der extremen Rechten. So transportiert das Graffito zwei verschiedene rassistische Grammatiken: Eine ist lokal verankert, die andere ist die der faschistischen Propaganda. Roger Hewitt schrieb in seiner Studie »Routes of Racism«, dass in Eltham »eine lokale rassistische Kultur tief verankert« (2) sei.

Weiter entlang der Well Hall Road kommt man zu einem Kreisverkehr, an dem sich auch das Coronet Cinema befindet, und dann zu einer Reihe von Bushaltestellen. Hier wartete Stephen Lawrence am 22. April 1993 gegen 22.30 Uhr. Er hatte den Abend mit seinem Freund Duwayne Brooks verbracht und stand in der Mündung der Dickson Road, um nach einem Bus Ausschau zu halten. Brooks befand sich ein Stück weiter in Richtung Kreisverkehr und sah eine Gruppe von fünf oder sechs weißen Jugendlichen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Als er ihn rief, wurden sie aufmerksam und schrien »Was ist, Nigger?« Im nächsten Augenblick überquerten sie die Straße, umringten Stephen und stachen zweimal zu. Die Attacke dauerte nicht länger als 20 Sekunden. Auf einen Zuruf von Brooks hin versuchte Stephen wegzurennen; nach knapp hundert Metern brach er, schwer blutend, zusammen. Vier Jugendliche fuhren lachend und mit offensichtlichem Genuss an der Szene die Well Hall Road rauf und runter. (3)

Insgesamt befinden sich an der Stelle drei Bushaltestellen - zwei auf der rechten, eine auf der linken Straßenseite. Die erste auf der rechten Seite fand ich übersät mit National-Front-Graffiti (4) - gemalt mit dem Edding oder direkt in die Farbe gekratzt. Eines lautete: »Das ist die NF-Bushaltestelle.« NF-Symbole waren überall: am Laternenmast, am Bushäuschen, auf den Sitzen, am Mülleimer. Andere hatten versucht, sie zu übermalen oder wegzukratzen. Als ich vorbeilief, stand ein Schwarzer an der Haltestelle.

Ein Stück weiter, etwa 15 Meter vor der zweiten Haltestelle, stieß ich auf einen orangefarbenen Anschlag der Polizei, der auf die Schändung der Gedenktafel hinwies. Sie ist zwischen den Gehwegplatten eingefügt; die Reste der abgewaschenen weißen Farbe waren deutlich zu sehen. Ein paar vertrocknende Blumen lagen daneben. An dieser Stelle brach Stephen zusammen, während seine Angreifer in den Rochester Way flüchteten. Die Gegend bleibt ein Ort von Gedenken und seiner Entweihung. (5)

Von den Ermittlungen zur Macpherson-Untersuchung

Jahre später rekonstruierte die Untersuchungskommission, was im Anschluss an die Tat passiert: 26 Personen aus der Gegend sagten aus und fünf Hauptverdächtige konnten benannt werden: Neil Acourt, Jamie Acourt, David Norris, Gary Dobson und Luke Knight. Dennoch sprach die Polizei von einer »Mauer des Schweigens« in der Nachbarschaft. (6) Die fünf Jugendlichen waren bekannt für Gewalttaten, Messerstechereien und rassistische Beschimpfungen. Alle außer David Norris lebten in der nahe gelegenen Wohnsiedlung Brook Estate, Norris im benachbarten Bromley in einer Vorstadtvilla. Erst am 7. Mai wurden die Verdächtigen verhaftet und Gegenüberstellungen durchgeführt. Die polizeilichen Ermittlungen waren gekennzeichnet von Nachlässigkeit, unglaublichen Fehlern und einer zutiefst ignoranten und engstirnigen Haltung gegenüber Stephens Eltern Doreen und Neville Lawrence sowie seinem Freund Duwayne Brooks.

Am 8. Mai 1993 fand im nahe gelegenen Welling eine Demonstration vor dem Sitz der British National Party statt, bei der Duwayne Brooks verhaftet wurde - einen Monat, nachdem er zusehen musste, wie sein Freund von Rassisten ermordet wurde. Brooks hatte Neil Acourt und Luke Knight als Tatbeteiligte identifiziert. Trotzdem ließ die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen und entließ die Verdächtigen - die Identifizierung sei nicht eindeutig gewesen. 1994 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen, doch jetzt war es zu spät: Die Staatsanwaltschaft verweigerte ein neues Verfahren. Stattdessen musste sich im Dezember 1994 Duwayne Brooks vor Gericht wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung und der Störung der öffentlichen Ordnung verantworten. Der Richter machte deutlich, dass er Brooks wegen des erlittenen Traumas in jedem Fall freisprechen werde - unabhängig vom Schuldspruch. Er forderte die Staatsanwaltschaft auf, auf die Beweisführung zu verzichten - diese lehnte ab.

Im April 1995 strengte die Lawrence-Familie ein Zivilverfahren an. Die Verhandlung begann ein Jahr später vor dem Obersten Gerichtshof. Gegen Jamie Acourt und David Norris konnte nicht mehr verhandelt werden, das Verfahren gegen die anderen drei scheiterte, als der Richter die Identifikation durch Duwayne Brooks für nicht zulässig erklärte. Detective Sergeant Cowley, der Polizeibeamte, der ihm während der Gegenüberstellungen zur Seite gestellt war, hatte behauptet, Brooks habe die Gesichter von Lawrences Angreifern nicht gesehen, obwohl dieser immer wieder das Gegenteil versicherte.

Im Februar 1997 kam es zu einer Neuaufnahme der amtlichen Untersuchungen des Mordes an Stephen Lawrence. Die fünf Verdächtigen machten von ihrem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch. Beweise wurden erbracht, dass die bisherigen Ermittlungen von schweren Fehlern gekennzeichnet waren. Das Gericht urteilte, dass es sich um ein Tötungsdelikt in einem »unprovozierten Angriff von fünf weißen Jugendlichen« handelt. Die Familie Lawrence erhob offiziell Beschwerde gegen die in die Ermittlungen involvierten Polizeibeamten. Nach dem Richterspruch wandte sich die Familie an Jack Straw, den Innenminister im Schattenkabinett der Labour Party. Straw schlug vor, eine allgemeine Untersuchung der race relations in Großbritannien in Gang zu setzen. Doreen Lawrence dagegen bestand darauf, dass es bei einer Untersuchung um die Ereignisse gehen müsse, die zum Tod ihres Sohnes führten. Nach den Wahlen, im Juli 1997, gab Straw, jetzt Innenminister der neuen Regierung, die Einrichtung einer öffentlichen Untersuchungskommission unter Leitung von Sir William Macpherson bekannt. Zunächst sollte aber noch der Bericht der Beschwerdeabteilung der Polizei abgewartet werden. Im Dezember 1997 bestätigte dieser das Offensichtliche: Die Ermittlungen waren gekennzeichnet von »einschneidenden Schwächen, Auslassungen und dem Verstreichenlassen von Möglichkeiten« (7).

Die Stephen-Lawrence-Untersuchung war ein historisches Ereignis (8). Sie fand an 59 Tagen im Hannibal House am »Elephant and Castle« statt. Vor der Kommission mussten die mutmaßlichen Mörder genauso erscheinen wie die für die stümperhaften Ermittlungen verantwortlichen Polizisten. Die Untersuchung widmete sich den Ereignissen, die auf den Tod von Stephen Lawrence folgten und zusätzlich der »Formulierung der Lehren, die für die Ermittlung und die Strafverfolgung bei rassistisch motivierten Verbrechen gezogen werden müssen«. 88 Zeugen wurden gehört, die Protokolle umfassen Tausende von Seiten. Im abschließenden Bericht werden die Eltern Doreen und Neville Lawrence als die Triebfedern der Untersuchung beschrieben - sie waren fast immer anwesend.

»Jeder Nigger sollte zerhackt werden«

Das Auftreten der Täter und der Polizisten vor der Kommission war vielsagend. Nicht nur Norris, Knight, Dobson und die Acourts, sondern auch die Ermittler hatten sich in Schweigen gehüllt. Doreen Lawrence sagte: »Eine Mauer des Schweigens gab es nicht nur in den Nachbarschaften, in deren Mitte mein Sohn getötet wurde, sondern eine solche Mauer umgab auch die Beamten, die das Verbrechen untersuchen sollten.« (9)

Pierre Bourdieu hat einmal geschrieben, dass »in Gestik und Körpersprache ein gesamtes Wertesystem sichtbar wird« (10). Die Polizeibeamten, ihre Unterlagen an sich gepresst, signalisierten ihren Unwillen, Fehler zuzugeben. Die Kommission hielt die Untersuchung im multikulturellen Londoner Stadtkern ab - eine für die Täter feindliche Umgebung. Der »white flight«, die Bewegung großer Teile der weißen Arbeiterklasse aus der Innenstadt hinaus in »weiße« Vorstädte wie Eltham und Welling, ist einer der wichtigsten stadtsoziologischen Trends der vergangenen Jahrzehnte. Die fünf Verdächtigen wehrten sich mit allen Kräften dagegen, vor der Kommission erscheinen zu müssen. Als es dann am 29. und 30. Juni 1998 zu ihrer Befragung kam, entsprachen sie in keiner Weise dem Bild des kahlschädeligen Nazis in Springerstiefeln. Stattdessen waren sie bekleidet mit Anzügen, Ben-Sherman-Hemden und Sonnenbrillen von Armani. Ihr breitbeiniger, provokanter Auftritt vor der Kommission war eine Form maskuliner Performanz, die Bereitschaft und Körperbeherrschung in einer feindlichen Umgebung signalisierte.

Bis auf Dobson, dem seine Angst anzusehen war, gingen alle auf die Herausforderung ein. Neil Acourt bedeutete seinen Widersachern mit einer aggressiven Geste - die Arme vom Körper weggehalten, die Handflächen nach vorn, die Finger gespreizt: »Na los! Was wollt ihr, kommt schon!« Zur Befragung trugen sie nichts bei, gaben nichts zu, akzeptierten nichts. In ihren Auftritten vor der Kommission entfaltete sich ein Mikrokosmos der Geschichte des Rassismus in Südlondon.

Der Macpherson-Bericht kommentiert dazu: »Alle fünf Verdächtigen kamen in den Zeugenstand und wurden unter Eid oder einer Erklärung an Eides statt befragt. Zu sagen, sie legten Zeugnis ab, würde ihr Auftreten über Gebühr aufwerten. Sie alle beriefen sich auf Erinnerungslücken. Sie zeigten sich arrogant und abweisend.« (11)

Die Kommission konfrontierte sie mit Videoaufnahmen, die die Polizei im Zuge der Ermittlungen im Dezember 1994 angefertigt hatte. Was darauf zu hören ist, beschreibt der Bericht als »erschreckende Reihung von Wörtern, die das Papier besudeln, auf dem sie geschrieben sind«. (12)

Jeder der Täter wich einer Stellungnahme zu den Ansichten, die in den Aufnahmen festgehalten sind, aus. Im folgenden Ausschnitt aus der Befragung, der das Ausmaß des Rassismus verdeutlicht, wird Jamie Acourt, der zum Zeitpunkt der Überwachung in Haft war und nicht auf dem Video zu sehen ist, von Michael Mansfield, dem Anwalt der Familie Lawrence, ins Kreuzverhör genommen. Er soll die Bemerkungen der anderen kommentieren.

Sir William Macpherson: Bevor die Befragung beginnt, möchte ich Ihnen eine oder zwei Fragen stellen: Sie sagten, dass Sie zur Aufklärung beitragen wollen, soweit Sie das können, indem Sie die Wahrheit sagen.

Jamie Acourt: Ja.

Macpherson: Zu den rassistischen Einstellungen, die Sie und im Besonderen Ihr Bruder und die anderen vertreten: Nachdem ich das Überwachungsvideo gesehen habe, denke ich, müssten Sie wissen, dass sie den fürchterlichsten Rassismus zur Schau trugen. Wissen Sie das?

Acourt: Ich kann nicht für andere sprechen.

Macpherson: Nein. Haben Sie den Film gesehen?

Acourt: Einmal, und das ist lange her.

Macpherson: Die einzige Warnung, die ich Ihnen geben werde, ist diese: Sie haben Immunität bezüglich der Geschehnisse, die der Anlass für vergangene Ermittlungen waren. Nichtsdestotrotz machen Sie sich strafbar, wenn Sie meineidig werden. Haben Sie das verstanden?

Acourt: Ich verstehe das, ich verstehe das.

Michael Mansfield: Es ist der 3. Dezember 1994; Sie sind in Haft. Sie sind also nicht anwesend. Es ist 23.30. Ich werde Sie zu einer spezifischen Passage im ersten Teil des Protokolls befragen. Durch einen seltsamen, ironischen Zufall ist Fußball das Thema des Abends. Luke Knight beschwert sich über die Kommentatoren, die für einen Sieg der Kameruner, »verdammte Nigger«, sind. Ihr Bruder sagt: »Macht einen verdammt krank, oder?« Neil Acourt sagt, während er ein Messer vom Fenstersims nimmt und es in eine Sessellehne sticht: »Du ausgeleierte Fotze. Ich schätze, jeder Nigger sollte zerhackt werden, bis er nur noch Stümpfe hat.« Nun, Jamie, haben Sie das vergessen?

Acourt: Ja, hab' ich, ja.

Mansfield: Ach so. Und, geschockt? Eine ehrliche Antwort bitte.

Acourt: Ich bin nicht geschockt. Ich hab' damit nichts zu tun. Geschockt bin ich nicht.

Mansfield: David Norris sagt: »Ich sag euch, in Orte wie Catford würde ich zwei Maschinenpistolen mitnehmen, mir einen von denen greifen und die schwarze Fotze bei lebendigem Leib häuten, foltern, ihn anzünden.«

Dann, ein Stückchen weiter: »Ich würde ihnen Arme und Beine wegschießen und sagen: 'Na los, jetzt kannst du nach Hause schwimmen', und er lacht. (...) Finden Sie das alles schockierend?

Acourt: Ich habe keinen Kommentar dazu.

Schwarz gleich kriminell

Das vielleicht erschütterndste und wichtigste Ergebnis der Macpherson-Untersuchung ist die Aufdeckung der rassistischen Verhaltensweisen der Polizei gegenüber der Familie Lawrence und Duwayne Brooks. Der Hauptzeuge Brooks gab über die Haltung der Polizei am Tatort zu Protokoll:

»Ich rannte hin und her, immer hin und her und wurde immer verzweifelter, weil der Krankenwagen so lange brauchte. Ich hatte Angst um Stephen. Er verlor viel Blut, und ich musste zusehen, wie er immer schwächer wurde. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, um zu helfen; ich hatte Angst, etwas falsch zu machen.

Die Polizistin Bethel sprach mich an: 'Wie fing es an? Haben sie Euch einfach so verfolgt, ohne dass vorher etwas passiert war?' Ich sagte, dass einer von ihnen 'Was ist los, Nigger?' brüllte. Sie behandelte mich wie einen Verdächtigen und überhaupt nicht, als ob sie mir helfen wollte. Wenn sie mich nach einer genauen Beschreibung der Jungs gefragt hätte - ich hätte ihr alles sagen können. Das wären die richtigen, die einfühlsamen Fragen gewesen.

Ich wurde zum Polizeirevier in Plumstead gefahren. Ich weiß, dass ich nach Angaben der Polizei dort ein Fenster eingeworfen haben soll, aber das stimmt nicht. Ich war nicht mal in dem Empfangsbüro, in dem das kaputte Fenster war. Das zeigt einfach, dass sie mich wie einen Kriminellen und nicht wie ein Opfer behandelten. Sie sagten immer wieder: 'Sind Sie sicher, dass sie 'Was ist los, Nigger?' sagten?' Ich sagte: 'Das ist die Wahrheit.' Ein Offizier sagte: 'Sie wollen sagen, Sie haben sie in keiner Weise provoziert?' Ich sagte: 'Nein, wir haben lediglich auf den Bus gewartet.'« (13)

In dieser Aussage wird besonders deutlich, dass Duwayne und Stephen als aktiv an der tödlichen Situation Beteiligte wahrgenommen werden. Wenn zwei männliche schwarze Jugendliche attackiert werden, so bedeutet das im polizeilichen Sprachgebrauch nicht »rassistischer Angriff«, sondern »Bandengewalt«. Doreen Lawrence beschrieb das Vorgehen der Polizei so:

»Mein Sohn wurde vor fast vier Jahren ermordet. Seine Mörder laufen frei herum, während mein Sohn nach seiner Ermordung von der Polizei als Gang-Mitglied wahrgenommen wurde. Er wurde entsprechend der dominanten Stereotype beurteilt: Wenn er schwarz ist, muss er kriminell sein. Also fingen sie an, gegen ihn und uns zu ermitteln. Erst nach zwei Wochen, als die wichtigen Spuren und Beweismaterialien längst verloren gegangen waren, wandten sie sich den eigentlichen Tätern zu. Das Verbrechen meines Sohnes war es, nach dem Bus zu schauen, mit dem er nach Hause fahren wollte. Unser Verbrechen ist es, in einem Land mit einem Rechtssystem zu leben, das rassistische Mörder gegen unschuldige Menschen unterstützt.« (14)

Durch den Code der weißen Hautfarbe wird implizit eine Norm definiert und damit das Wertesystem etabliert, das jedem Urteil zu Grunde liegt. Was sieht ein weißer Beamter, wenn ein Schwarzer in seinem Blut liegt und sein verzweifelter Freund daneben steht?

Doreen und Neville Lawrence wurden von der Polizei mit einer ungeheuren Unsensibilität behandelt, als von außen manipulierte Marionetten »politischer Agitatoren«. Doreen Lawrence sagte der Kommission: »Sie sahen uns als leichtgläubige Einfaltspinsel. Das wird ganz besonders deutlich im Kommentar von Detective Chief Superintendent Ilsey, der meinte, ich sei ganz offensichtlich darauf angesetzt worden, Fragen zu stellen. Anscheinend ist die Möglichkeit einer intelligenten schwarzen Frau mit eigenen Gedanken und selbst formulierten Fragen komplett undenkbar. Wir wurden herablassend behandelt und abgespeist (...).« (15)

Neville Lawrence ergänzte: »Für mich ist ganz klar, dass die Polizei die Familie eines schwarzen Opfers als gewalttätige Verbrecher wahrnimmt, denen man nicht trauen kann. (...) Was tatsächlich in jener Nacht passiert war, erfuhr ich erst bei den gerichtlichen Untersuchungen 1997 - drei Jahre später.« (16)

Was sehen weiße Polizeibeamte, wenn eine schwarze Familie ihnen Fragen stellt?

»Stop being racist!«

Die Aufgabe der Untersuchungskommission war es, das System von Vorannahmen und impliziten Wertmaßstäben in der Vorstellung von institutionellem Rassismus greifbar und benennbar zu machen. Sie erreichte tatsächlich, dass das Thema so stark wie nie zuvor von den Medien aufgegriffen und diskutiert wurde.

Die Kommission definierte institutionellen Rassismus als »(...) das kollektive Handeln einer Organisation, das dazu führt, dass Personen auf Grund ihrer Hautfarbe, ihrer Kultur oder ihrer Herkunft angemessene und professionelle Dienstleistungen verweigert werden. Es macht sich fest in Prozessen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die in ihrer Summe zu Diskriminierungen von Angehörigen ethnischer Minderheiten durch unbewusste Vorurteile, Unwissenheit, Gedankenlosigkeit und rassistische Stereotype führen.« (17)

Die Kommission kam zu folgenden Schlussfolgerungen: »Wir glauben, dass institutioneller Rassismus in den benannten Einrichtungen existiert. Wir glauben aber nicht, dass er die alleinige Ursache für das Scheitern der Ermittlungen darstellt, genauso wenig wie wir glauben, dass die Existenz von institutionellem Rassismus im Polizeiapparat bedeutet, dass jeder Polizist ein Rassist ist. Wir stimmen überein, dass institutioneller Rassismus die Londoner Polizei, wie auch die Polizei anderswo, betrifft. Darüber hinaus stellen unsere Schlussfolgerungen in Bezug auf die Polizei keinen Grund für Selbstzufriedenheit bei anderen Institutionen und Organisationen dar. Kollektives fehlerhaftes Verhalten ist offensichtlich bei vielen von ihnen, nicht zuletzt im Rechtssystem. Es ist absolut notwendig für jede Institution, ihre Grundsätze und Vorgehensweisen, sowie deren Folgen, zu überprüfen, um sicherzustellen, dass nicht Teile unserer Gemeinschaft benachteiligt werden.« (18)

Im abschließenden Bericht der Untersuchungskommission wurden 70 Empfehlungen formuliert. Die Vorgabe, dass die Polizeikräfte »bei ihrer Arbeit in Gemeinschaften ethnischer Minderheiten Vertrauen schaffen« (19) sollten, wurde von der Regierung als offizielle Politik übernommen. Das beinhaltete die Schaffung von Maßstäben für die Bewertung der Polizeiarbeit und von Vorschriften für das Festhalten rassistischer Zwischenfälle, die Überarbeitung der Vorschriften für richtiges Vorgehen bei der Untersuchung rassistischer Straftaten sowie die Formulierung von Richtlinien für die Strafverfolgung. Diese letzte Kategorie umfasste den Vorschlag, dass »den Gesetzen Geltung verschafft werden soll, die die strafrechtliche Verfolgung von rassistischer Sprache und rassistischem Verhalten sowie von tätlichen Angriffen mit Waffen auch dann vorsehen, wenn diese Verhaltensweisen bewiesenermaßen nicht in öffentlichen Räumen stattgefunden haben.« (20)

Dadurch würden rassistische Äußerungen strafbar, selbst wenn sie im privaten Kontext artikuliert werden. Die Kommission empfahl außerdem eine Revision der polizeiinternen Bestimmungen zu Rassismus - sie sollten einen Verhaltenskodex enthalten, der rassistische Sprache als Disziplinarvergehen wertet. Weiterhin sollte jede Überprüfung von Personalien protokolliert und der kontrollierten Person eine Kopie zugeführt werden. Empfohlen wurde darüber hinaus, für die Rekrutierung in den Polizeidienst und die Besetzung höherer Ränge Zielquoten für den Anteil von Angehörigen ethnischer Minderheiten festzulegen. Und nicht zuletzt regte der Untersuchungsbericht eine Erweiterung der Ausbildungspläne an, die auf die Wertschätzung von kultureller Vielfalt und die Eindämmung rassistischer Denkweisen abzielen sollten.

Vor einigen Monaten hat der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu London besucht. Als er während eines Fernsehinterviews über die Lehren aus der Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika sprach, fragte ihn ein Zuschauer, ob es in Hinblick auf die Geschehnisse nach Stephen Lawrences Tod etwas gäbe, was er der Londoner Polizei sagen würde. Tutu überlegte einige Momente, bevor er sprach. Seine Empfehlung war schlicht: »Hören Sie auf, rassistisch zu sein!«

Backlash und Bomben

Hat sich in den Monaten seit der Veröffentlichung des Berichts der Macpherson-Kommission etwas getan, was dieser Vorgabe entspricht? Wenn sich überhaupt etwas ändert, dann passiert dies sehr langsam. Der Bericht war eine Aufforderung zur Einschätzung des Zustandes der multikulturellen Gesellschaft Großbritanniens, zu einer kritischen Bestandsaufnahme von Rassismus als alltäglicher Realität. Jeder Einzelne sollte sich nicht nur die Ungerechtigkeit in der Behandlung der Familie Lawrence durch eine rassistische Gesellschaft verdeutlichen, sondern vor allem seine eigene Position und sein eigenes Wirken in dieser Gesellschaft kritisch hinterfragen. Mir fiel positiv auf, dass viele Leute in Südlondon - Schwarze und Weiße - sich mit den Leiden der Familie identifizierten und das Verhalten der Polizei verurteilten. Während sich die Medien - linke und rechte - darauf eingeschossen hatten, die gesamte Gegend a priori als Brutstätte von Rassismus zu identifizieren, stieß ich auch immer wieder auf Solidaritätsbekundungen.

Mit der Zeit jedoch wich das Mitgefühl einer stärker werdenden Verärgerung, die deutlich in der Stadt zu spüren war. Im Mai des vergangenen Jahres gab es eine Serie von Anschlägen mit Nagelbomben in multiethnischen Stadtteilen, zuerst in Brixton, dann in Whitechapel und schließlich in Soho, wo es zahlreiche Todesopfer zu beklagen gab.

Am Tag, nachdem die Bombe in Soho detoniert war, war ich unterwegs, um meinen Vater im Krankenhaus zu besuchen. Am Bahnhof in West Croydon kaufte ich eine Zeitung und fragte den Verkäufer, ob sie die Täter schon gefasst hätten. »Nein, Kumpel«, antwortete er, »und wenn Sie mich fragen, liegt das an der Sache mit Stephen Lawrence. Jetzt erleben wir die Kehrseite der Geschichte. Die Polizei weiß nicht, was sie machen soll. Ich hab's gesehen. Die schwarzen Kids hängen hier herum und machen Ärger, aber die Polizei tut nichts dagegen. Sie trauen sich nicht.« Viele Leute sind der Meinung, das die Sache »zu weit« gegangen sei. Ein Freund berichtete vor einiger Zeit, was er in einem Pub in Südlondon erlebte: »Es gibt einen mächtigen Backlash gegen die Macpherson-Sache. Ständig hört man jemanden sagen, 'wenn es ein Weißer gewesen wäre, hätte niemand einen solchen Aufriss gemacht. Wenn es ein paar Pakis gewesen wären, hätte man nie wieder davon gehört'.« (21) Das sind die heimlichen Stimmen des Widerstands gegen die Schlussfolgerungen des Macpherson-Berichtes. Und dasselbe passiert auch bei der Polizei.

Diese war - zumindest im Südosten Londons - nach dem Mord an Stephen Lawrence in eine Legitimationskrise geraten. Auf den Vertrauensverlust in der Bevölkerung reagierte sie mit einer erhöhten Anzahl von Verhaftungen. Scotland Yard richtete eine Sondereinheit zur Bekämpfung rassistischer Gewaltverbrechen ein. Geleitet wird sie von John Grieve, vorher verantwortlich für die Bekämpfung von Terrorismus. In einer Ansprache an Polizeibeamte lenkte Grieve die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt: »Sie alle haben London zu einem feindlichen Gebiet für Terroristen gemacht. Sie können es jetzt auch zu einem feindlichen Gebiet für Rassisten machen.« (22)

Die Verbindung von anti-rassistischer und anti-terroristischer Verbrechensbekämpfung ist signifikant. Natürlich verlangt beispielsweise die Terrortaktik, wie sie in den Bombenanschlägen zum Ausdruck kam, nach entsprechenden Maßnahmen. Allerdings ist eine solche Taktik völlig ungeeignet, um gegen institutionellen Rassismus vorzugehen. Der Verdacht liegt nahe, dass solche brachialen Mittel vor allem das öffentliche Ansehen der Polizei wiederherstellen sollen. Werden mit der verstärkten Verfolgung von Rassisten also vor allem polizei-interne Interessen verfolgt?

Jedenfalls gebärdet sich die Polizei mehr und mehr als Opfer. Ein früherer Beamter sagte mir, dass »die Stimmung sehr gedrückt ist. Sie haben sich versteckt. Dazu beigetragen haben Leute, hinter denen politische Interessen standen und die die Sache schlimmer dargestellt haben, als sie war. Ich meine, ich habe eine Menge Bewunderung für die Familie Lawrence, aber sie wurden manipuliert von Leuten mit anderen Zielen.«

Die Polizeiangehörigen fühlen sich als die eigentlichen Missverstandenen; ihre Arbeit sei unmöglich gemacht worden. In einem Kommentar bezog sich Sir Paul Condon, Chef der Londoner Polizei, auf den Macpherson-Bericht als einen schweren Schlag, von dem sich die Polizei wie von einem Trauerfall erholen müsse: »Der Leidensprozess wird durch andere große Ereignisse beeinflusst werden. Die Ergreifung des Nagelbombers beispielsweise, das war eine Weltklasseaktion. Und so werden hoffentlich, mit der Zeit, andere dramatische Ereignisse und Situationen das Vertrauen und den Stolz der Polizei wiederherstellen.« (23)

Die Einsicht, dass Unrecht passiert ist, geht erschreckenderweise einher mit der Diffamierung von so genannten unverdienten Opfern. Das wird besonders deutlich in den Gerüchten, die über Duwayne Brooks verbreitet werden. »Natürlich wissen Sie«, sagte mir vor Monaten ein früherer Polizist, »dass Duwayne Brooks wegen Vergewaltigung angeklagt ist.« Tatsächlich wurden die Anschuldigungen umgewandelt und die Anklage reduziert. Die Gerüchte führten zu einer weit verbreiteten Unterscheidung von Schwarzen in »wirkliche Opfer« und solchen, die Angriffe durch ihr Verhalten provozierten. Eines der Merkmale von rassistischer Gewalt ist der danach einsetzende Prozess, in dem das rassistische Motiv geleugnet und die Schuld bei den Opfern gesucht wird. (24)

Der offizielle Diskurs läuft darauf hinaus, Rassismus lediglich als »Übel« zu entlarven, ohne zu hinterfragen, warum er existiert und wem er nützt. Dadurch wird seine gesellschaftliche Verankerung unsichtbar gemacht und die eigene Position muss nicht überprüft werden. Der Macpherson-Bericht konnte nicht mehr leisten als Verhaltensnormen zu formulieren, für deren Einhaltung Polizisten verantwortlich gemacht werden können. Das aber kann nur der Anfang sein für eine breite gesellschaftliche Debatte.

Vor etwas mehr als zwei Jahren wurde der junge asiatische Brite Ricky Reel tot in der Themse gefunden. Seine Familie glaubte nicht an einen Unfall und wandte sich an die Polizei, deren gefühllose Indifferenz in der Behandlung des Falles alarmierende Parallelen zum Fall von Stephen Lawrence aufwies (25). Die Notwendigkeit, die durch die Macpherson-Untersuchung angeregte kritische Auseinandersetzung mit den Problemen weiter voranzutreiben, hat an Dringlichkeit nichts eingebüßt. Es ist der einzige Weg, das Andenken an Stephen Lawrence in Ehren zu halten.

Anmerkungen

(1) Rede aus Anlass der Konferenz der Labour Party, Blackpool, 29. September 1998
(2) Roger Hewitt, »Routes of Racism: The Social Basis of Racist Action«, Trentham, 1996, S. 15
(3) »The Stephen Lawrence Inquiry Report by Sir William Macpherson of Cluny«, Februar 1999, Abschnitte 11.35, 16.18, 38.13
(4) Die National Front ist eine der britischen neofaschistischen Parteien. Sie hatte in den siebziger Jahren den Höhepunkt ihres politischen Einflusses erreicht und ist seitdem von der British National Party verdrängt worden. Das NF-Emblem ist dennoch nach wie vor ein weit verbreitetes Ausdruckssymbol von Rassisten.
(5) Die Gedenkplatte ist seitdem wiederholt geschändet worden.
(6) Siehe Nick Jeffrey, »The Sharp End of Stephen's City«, in Soundings, No. 12, 1999, S. 26-42
(7) Richard Norton-Taylor, »The Colour of Justice«, Oberon Books, S. 12
(8) Wie es zu der Untersuchung kam, kann ausführlich nachgelesen werden in Brian Cathcart, »The Case of Stephen Lawrence«, Viking Books, 1999.
(9) »Lawrence Inquiry Report«,
Abschnitt 43.37
(10) Pierre Bourdieu, »Outline of a Theory of Practice«, Cambridge University Press, 1977, S. 94
(11) »Lawrence Inquiry Report«, Abschnitt 43.37, Abschnitt 7.39
(12) ebd., Abschnitt 43.37, Abschnitt 7.33
(13) Richard Norton-Taylor, »The Colour of Justice«, Oberon Books, S. 95-96
(14) Lawrence Inquiry report, Abschnitt 42.13
(15) ebd., Abschnitt 4.4
(16) ebd.
(17) ebd., Abschnitt 6.34
(18) ebd., Abschnitt 46.27
(19) ebd., Kapitel 47, S. 327
(20) ebd., Kapitel 47, S. 331
(21) Siehe Les Back und Michael Keith, »Rights and Wrongs: Narratives of Racial Violence«, in Phil Cohen (Hg.), »New Ethnicities, Old Racisms«, Zed Books, 1999
(22) »Race Against Crime - TX Sunday 7.11.99«, Films of Record Ltd.
(23) ebd.
(24) Les Back und Anoop Nayak, »Signs of the Times: Racist Violence in the English Suburbs«, in Tim Allen und John Eades (Hg.), »Divided Europeans«, Kluwer Law, 1999
(25) The Guardian, 9. November 1997, S. 4

Lübeck - London

Am 2. November 1999 wurde Safwan Eid durch das Landgericht Kiel zum zweiten Mal - und diesmal endgültig - von dem Vorwurf freigesprochen, den Brand in der Lübecker Flüchtlingsunterkunft Hafenstraße gelegt zu haben. Begleitend zum Prozess fand in Hamburg von Ende August bis Anfang Dezember 1999 eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel »Der Lübecker Brandanschlag und die deutschen Verhältnisse« statt, getragen von den Gruppen enlightenment factory, GWA St. Pauli-Süd e.V., vom Flüchtlingsrat Hamburg und vom FrauenLesbenplenum. Die insgesamt acht Veranstaltungen befassten sich thematisch mit dem Prozess selbst, aber auch mit den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er stattfand, mit besonderem Augenmerk auf den Aspekt des institutionellen Rassismus. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe hielt der Londoner Soziologe Les Back am 26. November 1999 das hier abgedruckte, redaktionell überarbeitete, Referat. Durch die Veranstaltung unter dem Titel »Rassismus in Großbritanniens Polizei - ðThe Stephen Lawrence InquiryÐ bewegt das Königreich« sollten Parallelen und Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien im institutionellen Umgang mit rassistischer Gewalt aufgezeigt werden. Analogien zwischen den Ermittlungen in den Fällen Lübeck / Eid und London / Lawrence drängen sich auf. Bemerkenswert - und unter deutschen Verhältnissen kaum vorstellbar - ist, dass in London eine staatliche Untersuchungskommission die Nichtaufklärung eines rassistischen Mordes auf institutionellen Rassismus bei der Polizei zurückgeführt hat.

Les Back lebt im Südosten Londons, wo er auch aufgewachsen ist. Er ist Dozent für Soziologie am Goldsmiths College der University of London und arbeitet in den Bereichen Cultural Studies und Urban Sociology. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zu Rassismus, sozialen Identitäten, Ethnizität und Multikulturalismus sowie Fußball publiziert. Seit Jahren ist er in antirassistischen Initiativen aktiv, zuletzt als Vorsitzender der South London Kick It Out-Kampagne, die sich gegen Rassismus unter Fußballfans richtet.