https://jungle.world/artikel/2024/11/neue-technologien-klimakrise-die-falsche-technik
Den Klimaumbruch durch technischen Fortschritt innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise aufzuhalten oder gar dessen Folgen rückgängig zu machen, ist eine trügerische Hoffnung. Die Umweltzerstörung ist bereits weit fortgeschritten, zu dieser würden die zur Klimarettung vorgeschlagenen Techniken zunächst stark beitragen. Auch Postwachstumsutopien müssen dieser Tatsache Rechnung tragen.
Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Christian Hofmann argumentierte, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind (»Jungle World« 6/2024). Stefan Laurin hält den Versuch, Wachstum zu unterbinden, für besonders deutsche Lustfeindlichkeit (»Jungle World« 7/2024). Leon Maack findet, dass es durchaus Produktionszweige gibt, die weiter wachsen sollten (»Jungle World« 8/2024). Julian Kuppe meint, die Ausbeutung der Natur ebenso wie die der Arbeitskraft wohne der kapitalistischen Produktionsweise inne und sei nur durch politische Organisation zu überwinden (»Jungle World« 10/2024).
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In der bisherigen Diskussion bewerteten Christian Hofmann und Stefan Laurin unterschiedlich, welche Rolle der Technik bei der Bewältigung der ökologisch-klimatischen Krise zukommen könnte. Hofmann hat recht damit, dass die rettenden Techniken nicht existieren, Laurin aber spekuliert auf zukünftige Innovationen. Die Frage, ob diese Krise in Zukunft durch technische Errungenschaften überwunden werden kann, greift jedoch zu kurz.
Die Akkumulationslogik des Kapitals hat die natürliche Lebensgrundlage des Menschen bereits empfindlich angegriffen. Darüber, dass ihre Zerstörung weiter fortschreitet, sind sich die Umweltwissenschaften weitgehend einig. Trotz dieser Aussichten hält Laurin Wachstumskritik für obsolet. Stattdessen plädiert er für mehr Vertrauen in technischen Fortschritt. Das hört sich in etwa so an wie die Position der FDP zum Thema. Dabei ist es keineswegs so, dass alle Degrowth-Theoretiker:innen technischen Fortschritt per se ablehnen. Entscheidend ist aber, unter welchen Voraussetzungen Technik im Kapitalismus entwickelt und genutzt wird.
In der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft hat sich oftmals vor allem jene Technik und Infrastruktur durchgesetzt, die den Profitinteressen dienlich war. Das lässt sich beispielhaft an der Verdrängung von Wasserkraft durch fossile Energie in Großbritannien im 19. Jahrhundert aufzeigen oder an der Zerstörung großer Teile des Straßenbahnnetzes in den USA zugunsten eines größeren Absatzmarkts für den Automobilhersteller General Motors Mitte des 20. Jahrhunderts.
Die Entwicklung und der Einsatz von vermeintlich unprofitabler Technik werden unter kapitalistischer Produktionsweise hingegen regelmäßig blockiert. So berichtete der US-amerikanische Biologe Barry Commoner bereits 1976 in seinem Buch »Energieeinsatz und Wirtschaftskrise« über Konzepte zur großflächigen Einführung von Solarzellen. Die dafür getätigten Investitionen betrugen allerdings nur ein Prozent der Forschungsgelder, die für Atomkraft ausgegeben wurden. Gegen die Solarenergie sprachen weder die Kosten noch technische Gründe. Stattdessen blieben Investitionen vor allem aufgrund der Annahme aus, dass Solarenergie nicht monopolisiert werden könne und sich aus ihr nicht genug Profit schlagen lasse, weil Sonnenlicht kostenlos ist.
Technische Konzepte sind im Kapitalismus in der Regel also nur dann relevant, wenn sie Profit versprechen. Ihre Verwirklichung stößt zudem auf weitere Grenzen. Um ein paar Beispiele von Laurin aufzugreifen: Atomkraft hat bezogen auf seine gesamte Prozesskette nach Kohle, Erdgas und Biogas die schlechteste CO2-Bilanz. Ihr Ausbau würde sehr viele Rohstoffe verbrauchen, das Problem der Endlagerung ist ungelöst und Überflutungen und Dürren würden Atomkraftwerke noch unsicherer machen, als sie es bisher schon sind. Selbst wenn man den Energiebedarf des Kapitalismus komplett aus erneuerbaren Energien befriedigte, würden für deren Ausbau sehr viele Rohstoffe benötigt und große Mengen CO2 emittiert.
Es kann kaum verwundern, dass Öl- und Kohlekonzerne in die Forschung zum Climate Engineering investiert haben. Diese soll ermöglichen, dass es mit dem kapitalistischen Wachstum weitergeht wie bisher.
Bei anderen Techniken, die als Antwort auf die Klimakrise angepriesen werden, sieht die Situation nicht anders aus. Die deutsche Physikerin und Philosophin Annette Schlemm hat in ihrem kürzlich erschienenen Buch »Climate Engineering« im Detail herausgearbeitet, dass Techniken zur Veränderung des Klimas erhebliche Probleme mit sich bringen. Beispielsweise ist die Abscheidung und Speicherung von CO2 sehr energie- und arbeitsaufwendig. Bei der Wiederverwertung von CO2 in Treibstoffen wird das CO2 der Atmosphäre nur kurzfristig entzogen und dann wieder freigesetzt. Der IPCC-Bericht von 2021 stellt heraus, dass der Klimawandel durch den Einsatz all dieser Techniken nicht umgekehrt werden kann. Sich nur auf CO2 zu konzentrieren, klammert zudem weitere Umweltprobleme aus wie die Gefährdung der Biodiversität, die Auslaugung der Böden und die Produktion von verschmutzenden Substanzen.
Diese Beispiele zeigen deutlich, dass Technik im Kapitalismus nicht neutral ist und vor allem, dass sie für sich genommen die ökologisch-klimatische Krise nicht lösen kann. Emphatisch von Technik als Motor des gesellschaftlichen Fortschritts zu reden, ist außerdem abstrakt, weil Technik immer eingebunden ist in ein spezifisches historisches Naturverhältnis, das den Rahmen für ihre Entwicklung und ihren Einsatz vorgibt.
Es kann kaum verwundern, dass insbesondere Öl- und Kohlekonzerne in die Forschung zum Climate Engineering investiert haben. Diese soll ermöglichen, dass es mit dem kapitalistischen Wachstum weitergeht wie bisher. Das blinde Vertrauen in technischen Fortschritt unter derartigen Bedingungen beruht letztlich auf der eigentümlichen Annahme, dass dasselbe System, welches aufgrund seiner inneren Logik diese Misere produziert hat, sie auch wieder auflösen wird.
Wenn die technischen Möglichkeiten zur Bearbeitung der ökologisch-klimatischen Krise aber grundsätzlich begrenzt sind, dann zieht das unbequeme Fragen nach sich, die in vielen ökosozialistischen Debatten über Postwachstum ausgeblendet werden. Was bedeuten die bereits vorhandenen, kaum rückgängig zu machenden und in Zukunft durch die Trägheit des Ökosystems tendenziell noch zunehmenden ökologischen Schäden für eine postkapitalistische Gesellschaft? Wenn Hofmann schreibt, dass sich innerhalb der planetaren Grenzen noch eine Welt gewinnen lasse, was folgt dann daraus, dass einige dieser Grenzen – bei der Zerstörung von Biodiversität, der Schädigung der Stickstoff- und Phosphorkreisläufe usw. – längst überschritten sind? Die bereits vorhandenen Schäden verändern schließlich die Bedingungen, von denen eine konkrete Utopie ausgehen muss.
Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen nehmen zu. Deshalb müssen regelmäßig Wiederaufbauarbeiten geleistet, die Regeneration der Natur vorangetrieben, Klimageflüchtete versorgt sowie Nahrungsmittel mit wesentlich mehr Aufwand produziert werden.
Die deshalb dringend nötige Reduktion des Material- und Energiedurchsatzes hat kaum zu unterschätzende Auswirkungen. Um sie zu erreichen, müsste unter anderem der Einsatz von umweltbelastender Technik deutlich eingeschränkt werden. Gleichzeitig nehmen Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen zu. Deshalb müssen regelmäßig Wiederaufbauarbeiten geleistet, die Regeneration der Natur vorangetrieben, Klimageflüchtete versorgt sowie Nahrungsmittel mit wesentlich mehr Aufwand produziert werden. Wie wirkt sich all das auf Hofmanns Versprechen von »viel freier Zeit für Muße« aus? Reicht die Abschaffung von bullshit und batshit jobs tatsächlich aus, um all die zusätzlich benötigte lebendige Arbeitskraft bereitzustellen und gleichzeitig viel Zeit für Muße zu ermöglichen?
Diese Fragen zu stellen, hat weder etwas mit Weltuntergangsphantasien zu tun, noch damit, sich vorindustrielle Zeiten zurückzuwünschen. Stattdessen geht es darum, utopisches Denken an den gegebenen Bedingungen auszurichten und sich der Herausforderung zu stellen, auch unter aller Widrigkeit eine Welt vorstellbar zu machen, für die es sich zu kämpfen lohnt. In dieser würde man weiterhin technische Errungenschaften nutzen, sie jedoch demokratisch geplant und mit Vorsicht einsetzen.
Der Spielraum für ihren Einsatz bliebe deshalb begrenzt. Unter dem zu erwartenden hohen Anpassungsdruck an immer unbeständigere Umweltbedingungen ist daher eher davon auszugehen, dass es Phasen mit mehr und solche mit weniger Zeit für Müßiggang geben wird. Zu gewinnen wäre aber zumindest ein auf kollektiver Zeitautonomie basierendes Höchstmaß an freier Zeit im Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit.
Kollektive Zeitautonomie kann jedoch nur gegen die Interessen des Kapitals durchgesetzt werden. Dafür bleibt der auch von vielen linken Wachstumskritiker:innen befürwortete Kampf um die Verkürzung der Lohnarbeitszeit elementar.