Wachstum verbieten zu wollen, ist ein höchst deutsches Bestreben

Das Güterglück

Der Wunsch, das Wachstum zu verbieten, ist eine besonders deutsche und technologiefeindliche Angelegenheit. Der Klimawandel hat für viele linke Untergangspropheten die Wirtschaftskrise als Bezugspunkt abgelöst.
Disko Von

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Christian Hofmann ­argumentierte, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind (»Jungle World« 6/2024).

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Nach 200 Jahren können die meisten Linken dem Kapitalismus immer noch nicht verzeihen, dass er nicht gescheitert ist: Obwohl mittlerweile acht Milliarden Menschen auf dem Planeten wohnen, wurden noch nie so viele von ihnen so alt, waren so gesund, gebildet und wohlhabend wie in der Gegenwart.

Natürlich gibt es noch Armut, aber sie ist in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark zurückgegangen. Nachdem klar wurde, dass der Kapitalismus nicht vornehmlich zu einer umfassenden Verelendung führt und besonders erfolgreich in demokratischen Staaten ist, war eine neue Erklärung nötig geworden, um ihn weiterhin mit der gleichen Verve bekämpfen zu können.

Man fand sie in der Ökologie. Nun machte der Kapitalismus die Menschen nicht mehr nur arm, nein, schlimmer noch, er zerstörte den gesamten Planeten. Im Kampf gegen den verhassten Feind griff man nun auf Vorstellungen zurück, die in mancher Form noch an halbwegs sympathische konservative, die Industrialisierung kritisierende britische Landbesitzer des 19. Jahrhunderts oder an wesentlich finsterere ­Gestalten wie Hitlers Reichsernährungsminister Walther Darré erinnern, der von einer Rückkehr zu einer vorindus­triellen Gesellschaft träumte.

Würde der materielle Wohlstand merklich sinken, wie es sich Anhänger der Degrowth-Idee wünschen, würden sich Probleme potenzieren.

Solche Vorstellungen nennen sich heute Postwachstumsökonomie oder »Degrowth« und sind schlicht nichts anderes als die Aufgabe einer der Kern­ideen, welche die Linke in früheren Zeiten einmal erfolgreich machte: die Verbesserung der materiellen Lebensgrundlagen der Menschen. Und dazu gehören landläufig heute nicht nur drei Mahlzeiten am Tag und ein warmer Mantel im Winter, sondern auch eine schön eingerichtete Wohnung, Fernreisen, ein Auto oder ein Haus.

Der schwedische Mediziner und Statistiker Hans Rosling hat nachgewiesen, dass sich die materiellen Wünsche der Menschen unabhängig von Nationalität, Kultur oder Religion ähnlich sind. Der Historiker Frank Trentmann meint sogar, dass das Streben nach dem Besitz materieller Güter nahezu so ­etwas wie eine anthropologische Kon­stante sei. Tretmann beschreibt in ­seinem Buch »Herrschaft der Dinge« gleich zwei Folgen niedrigen Wachstums.

Würde der materielle Wohlstand merklich sinken, wie es sich Anhänger der Degrowth-Idee wünschen, würden sich Probleme potenzieren: »Niedriges Wachstum droht die Ungleichheit zu zementieren, und zwar sowohl im Westen als auch zwischen diesem reichen Teil und dem weniger glücklichen Rest der Welt.« Zudem erschwere es den Wechsel von schmutzigem zu »grünem« Wachstum.

Der Klimawandel, so das Argument der Freunde einer Verarmung der Menschheit, sei der große game changer, der es der Menschheit nicht mehr erlauben würde, weiterhin auf dem vor gut 200 Jahren mit der Industrialisierung eingeschlagenen Wachstumspfad zu bleiben. Die Taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann schlägt in ihrem Bestseller »Das Ende des Kapita­lismus: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind« vor, den Lebensstandard in Deutschland auf den Stand der siebziger Jahre zurückzu­führen.

Zwingt man neun Milliarden Menschen gegen ihren Willen in eine große Landkommune, werden sie sich das nicht bieten lassen.

Auch wenn Berufe wie Journalist oder Banker kaum noch benötigt würden, müsste sich niemand langweilen: »In einer klimaneutralen Wirtschaft würde niemand hungern – aber Millionen von Arbeitnehmern müssten sich umorientieren. Zum Beispiel würden sehr viel mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und auch in den Wäldern benötigt, um die Folgen des Klimawandels zu lindern.« Und da gehen sie hin, die Träume eines Lebens voller Müßiggang im Einklang mit der Natur: Statt Hegel-Lektüre im Garten Rübenernte im Regen.

Je nach Statistik wird die Zahl der Menschen weltweit zwischen 2055 und 2070 auf 8,7 bis 9,8 Milliarden ansteigen und ab dann sinken. All diese Menschen haben ein Recht darauf, nicht nur genug zu essen zu haben, sondern auf Schulen zu gehen, Krankenhäuser aufsuchen zu können, ein Dach über dem Kopf zu haben und im besten Fall noch so einiges darüber Hinausgehende, was das gute Leben ausmachen würde.

Es gibt zwei Möglichkeiten, auf die Herausforderung des Klimawandels zu reagieren: Da Menschen nicht dauerhaft freiwillig auf Wohlstand verzichten werden – Herrmanns Beispiel der bri­tischen Kriegswirtschaft taugt nicht als Modell, weil allen klar war, nach einem Sieg über Deutschland würde es ihnen materiell wieder besser gehen –, müssen sie gezwungen werden. Zwingt man neun Milliarden Menschen gegen ihren Willen in eine große Landkommune, werden sie sich das nicht bieten lassen. Ein solche Vision ist zudem abstoßend autoritär.

Auf die andere Möglichkeit bauen fast alle Gesellschaften, nur Degrowth-Phantasten gefällt sie nicht: technischer Fortschritt. Verbesserte Speichertechnologien, Solarzellen, Windkraft, Kernkraftwerke, gentechnisch veränderte Pflanzen, Fleisch aus Bioreak­toren, Speicherung von CO2 unter der Erde oder Wiederverwertung in Treibstoffen und die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre beispielsweise. Bisher sind die meisten dieser Technologien nicht alltagstauglich, aber wie schnell die Entwicklung verlaufen kann, wenn es darauf ankommt, hat man während der Covid-19-Pandemie gesehen: Im Dezember 2019 wurde das Covid-19 auslösende Coronavirus erstmals ­beschrieben, im November 2020 gab es drei verschiedene Impfstoffe von Biontech, Moderna und Astra-Zeneca. Weitere folgten in kürzester Zeit.

Der Glaube und die Angst vor dem Ende der Welt ist so alt wie die Menschheit selbst.

Neue Technologien kündigen sich bereits an: Die Kernfusionsforschung hat in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Den Experimentalreaktoren werden nun Modelle folgen, die Energie wirtschaftlich erzeugen können. Die Raumfahrtkosten sinken rapide, immer mehr Staaten beteiligen sich am Wettlauf um gute Positionen im Orbit oder attraktiven Flächen auf dem Mond: An den Orten auf dem Erdtrabanten, wo Wasser vermutet wird und die Temperaturunterschiede nicht zu groß sind, will man in Zukunft Bergbau betreiben. Solarkraftwerke in der Erdumlaufbahn könnten die Energieversorgung der Welt unterstützen. Alles undenkbar? Noch vor 30 Jahren konnte sich kaum jemand Smartphones, wiederverwendbare ­Raketen, funktionierende KI-Systeme oder gentechnisch erzeugt Impfstoffe vorstellen. Heute ist all das Teil unseres Alltags.

Anstatt der reaktionären Degrowth-Doktrin zu folgen, käme es jetzt darauf an, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die Durchbrüche neuer Technologien ermöglichen. Und diese Rahmenbedingungen sind vor allem in Europa und Deutschland nicht gegeben. Technik war nicht immer, aber oft ein Treiber auch des gesellschaftlichen Fortschritts. Autoritäre Ideologien, und zu denen gehört die Postwachstumsideologie, arbeiten mit Angst. Sie wollen die Menschen nicht befreien, wollen nicht, dass sie ein gutes Leben haben, sondern dass sie sich aus Furcht fügen.

Dazu kommt: Der grüne Traum der Gesellschaft ohne Wachstum und des Glücks der Armut ist vor allem ein deutscher Traum. Kaum jemand in ­Asien, Afrika oder Amerika mag ihn träumen. Weltweit ist dieses Denken in der Praxis vollkommen unbedeutend. Die Visionen der saturierten deutschen Ökobourgeoisie sind global schlicht nicht anschlussfähig.

Der Glaube und die Angst vor dem Ende der Welt ist so alt wie die Menschheit selbst. Und ebenso lange wird ­diese Angst von religiösen und politischen Scharlatanen ausgenutzt und ­instrumentalisiert. Es war der heute geschmähte technische Fortschritt, durch den die Menschheit die von Robert Malthus postulierten Schranken durchbrach, die dessen Prognose, dass Bevölkerungswachstum automatisch Hungersnot nach sich ziehe, widerlegen konnte und ein lange nicht für möglich gehaltenes Maß an Wohlstand erreichte. Das durch technischen Fortschritt ermöglichte wirtschaftliche Wachstum war zudem die Grundlage für gesellschaftliche Weiterentwicklung. Arme Gesellschaften, in denen Angst die Menschen beherrscht, sind selten offen und demokratisch.
Schon Daniel Düsentrieb wusste: »Dem Ingenieur ist nichts zu schwör.«