Der »Green New Deal« läuft auf eine Enttäuschung hinaus

Weniger Realismus wagen

Der »Green New Deal« scheint eine Art eierlegender Wollmilchsau zu sein: Die Wirtschaft floriert, alle finden erträgliche Arbeit mit fairen Löhnen und der Untergang der Zivilisation findet nicht statt. Und das ohne Revolution, Generalstreik und Barrikadenkampf, weil der Staat einige Billionen investiert.

Kein Wunder, dass die Idee immer mehr Anhängerinnen und Anhänger findet. 2009 zogen die Grünen damit noch exklusiv in den Europawahlkampf. Dann griffen Bernie Sanders und andere linke Demokratinnen und Demokraten das Konzept in den USA auf. Die britische Labour Party verabschiedete ein Manifest für einen »Green New Deal«, auch ein Großteil der deutschen Linkspartei plädiert inzwischen dafür.

Ein erfolgreicher »Green New Deal« wäre schön. Wahrscheinlicher ist, dass die Träume platzen und die Perspektivlosigkeit noch ärger wird.

Ende 2019 verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) einen »European Green Deal«. US-Präsident Joe Biden nennt sein Projekt zwar nicht so, aber Programme wie »Build Back Better« und der »American Jobs Plan« versprechen ebenfalls eine gewaltige Anschubfinanzierung zur Sanierung der Infrastruktur, zur Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie eine Umstellung auf erneuerbare Energien und viele neue Arbeitsplätze.

Ökologie und Ökonomie werden versöhnt, lautet das Versprechen. Stetiges, aber ökologisch nachhaltiges Wirtschaftswachstum sichert Arbeitsplätze und hilft beim ökologischen Umbau, um bis 2050 nur noch so viel Treib­hausgas auszustoßen, wie durch Kohlenstoffbindung absorbiert werden kann. Aus der radikalen Linken kommt Beifall, weil eine gesellschaftliche Umwälzung, die Elend und Umweltzerstörung beendet, Lichtjahre entfernt scheint, während der Rückfall in die Barbarei längst im Gang ist. Die Zeit läuft ab, nur eine aufgeklärte Öko-Bourgeoisie kann uns retten, lautet das ­Argument. Torschlusspanik mag verständlich sein, bewirkt aber nur, dass sich eine ohnehin marginale radikale Linke selbst aufgibt.

Vorbild ist der »New Deal« der dreißiger Jahre des demokratischen US-Prä­sidenten Franklin D. Roosevelt. Dessen Voraussetzung war allerdings, was heutzutage fehlt, eine Bewegung militanter Arbeiterinnen und Bauern, zudem erschien die Sowjetunion in Unkenntnis der dortigen Verhältnisse noch als Alternative. Nach der Weltwirtschaftskrise kam es in den USA massenhaft zu Streiks, Aufständen und Plünderungen, Fabriken wurden besetzt, Land und Häuser gegen Räumungen verteidigt. Der Protest verarmter Weltkriegsveteranen in Washington, D.C., wurde von der Armee mit Panzern und Maschinengewehren beendet – sie wurden nicht ins Kapitol gelassen wie der Trump-Mob im Januar.

Nur vor diesem Hintergrund konnte Roosevelt soziale Reformen durchsetzen, die Bosse wehrten sich kaum mehr gegen Gewerkschaften in den Betrieben, die die Wut der Arbeiterinnen und Arbeiter kanalisierten. John Maynard Keynes, der die theoretische Blaupause für den »New Deal« geliefert hatte, mahnte die Bourgeoisie, Kompromisse mit den Lohnabhängigen zu schließen; ansonsten werde sie die soziale Revolution heraufbeschwören.

Dennoch verschwand die Massenerwerbslosigkeit erst mit Kriegsbeginn. Heutzutage ist es angesichts der höheren Produktivität illusionär, die Schaffung von vielen Arbeitsplätzen zu erwarten. Man braucht keine 8000 Arbeiterinnen und Arbeiter mehr, um einen Staudamm wie den Grand Coulee Dam zu bauen, eines der Vorzeigeprojekte der Roosevelt-Ära. Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Öko­nomie werden absehbar viele Arbeitsplätze verschwinden, insbesondere im Dienstleistungsbereich. Mehr und gut bezahlte Arbeitsplätze würden heutzutage nur bei einem gewaltigen Wachstumsschub entstehen, der aber wäre eine ökologische Katastrophe.

Die Begeisterung für einen »Green New Deal« signalisiert, dass bei Politikerinnen und Politikern ein herrschaftskonformes Krisenbewusstsein aufkommt. Sie wollen die Aufgabe des ideellen Gesamtkapitalisten erledigen, die darin besteht, den Kapitalismus langfristig zu erhalten. Das umfasst in der gegenwärtigen Lage meh­rere Aufgaben, die der Markt nicht bewältigt. Staatliche Eingriffe sind vonnöten, um Infrastruktur, Forschung und Entwicklung zu finanzieren, durch Subventionen und öffentliche Nachfrage Profite zu garantieren und den Konsum zu fördern, in den USA etwa durch Schecks über 1400 US-Dollar an die privaten Haushalte. Zudem hat die Umweltzerstörung ein Ausmaß erreicht, das jene Stabilität gefährdet, die für Kapitalver­wertung unerlässlich ist, wenn einige Hundert Millionen Menschen flüchten müssen, weil weite Landstriche im globalen Süden bei Temperaturen um 50 Grad Celsius unbewohnbar werden, und vor allem auch die Zitadellen des Kapitals im globalen Norden durch Pandemien, Versteppung, Wassermangel und gewaltige Brände bedroht werden.

Trotz aller Bekundungen internationaler Zusammenarbeit agieren nationale ideelle Gesamtkapi­talisten, die das jeweils von ihnen vertretene Kapital für die internationale Konkurrenz fit machen wollen. Die Grünen versprechen, dass Deutschland mit neuen, umweltfreundlichen Waren eine führende Exportnation bleiben kann. Dabei basiert dieses Modell auf Lohndumping und verschärft die Gegensätze in Europa. Von der Leyens Programm lautet faktisch: »Europa zuerst«, könnte aber daran scheitern, dass die EU ein Staatenbund ist, dessen interne nationalstaatliche Konkurrenz nicht aufgehoben ist. Die US-Regierung wiederum will die chinesische Konkurrenz zurückdrängen.

Während der »New Deal« auf ein schlichtes »Mehr« hinauslief – mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, mehr Profite –, soll der »Green New Deal« zugleich die ökologischen Bedingungen retten, die Menschen zum Leben brauchen. Durchaus denkbar ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft, die die AfD bekämpft, denn Kapitalismus könnte ohne Öl und Gas funktionieren. Der Widerspruch zwischen Kapitalakkumu­lation und Umweltzerstörung würde dadurch aber nicht aufgehoben, sondern in neuen Formen reproduziert.

Wachse oder weiche, lautet das Prinzip des Kapitalismus, und das beinhaltet einen ständig steigenden Verbrauch von Rohstoffen, Energie und Fläche. Beispiel Elektroautos: Auch deren Herstellung verschlingt Rohstoffe, allein für Lithium und Kobalt, die für die Fahrzeugbatterien benötigt werden, werden Wälder zerstört und enorme Wassermengen verseucht; der Flächenverbrauch für Straßen und Parkplätze unterscheidet sich nicht von dem der Benzin- und Dieselfahrzeuge und der Strom fließt auch nicht einfach so aus der Steckdose.

Ein höherer CO2-Preis, wie ihn die Grünen fordern, würde vor allem niedrige und mittlere Einkommen belasten. Werden die Einnahmen direkt an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben, wie die Partei verspricht, dann fragt sich, wie der ökologische Lenkungseffekt erreicht werden soll. Während der »New Deal« durch hohe Steuern für Unternehmen und Reiche finanziert wurde, wollen Biden und die Grünen nicht einmal die Steuersenkungen der vergangenen Jahre komplett rückgängig machen. Warum nicht eine Einkommensobergrenze von 3 000 Euro festlegen, alles darüber wird wegbesteuert, zumal die Größe des »ökologischen Fußabdrucks« von der Größe des Geldbeutels abhängt?

Sicher wäre ein »Green New Deal« besser als nichts, sollten Solaranlagen und Windenenergie sowie die Infrastruktur für eine andere Form der Mobilität ausgebaut werden. Jede Tonne CO2, die nicht in die Atmosphäre geblasen wird, ist gut. »Sleepy Joe« anstelle der faschistoiden Fratze auf dem Bildschirm zu sehen, ist erleichternd, und Biden macht progressivere Politik als der überbewertete Barack Obama. Ein erfolgreicher »Green New Deal«, um den Klimawandel aufzuhalten, Menschen eine Perspektive zu geben und neofaschistische Bewegungen zu bremsen, das wäre schön. Bloß sind degrowth und Kapitalverwertung unvereinbar, ein ökologischer Kapitalismus ist unmöglich. Wahrscheinlicher ist, dass die Träume platzen und die Perspektivlosigkeit noch ärger wird.

Um die Umweltzerstörung zu beenden, ist eine Abkehr vom Wachstum notwendig. Die Autoproduktion muss um 80 Prozent sinken, ebenso die Flugzeugbranche, die Produktion vieler chemischer Substanzen muss gestoppt, die Tierindustrie, die neben unend­lichem Leid nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgase produziert, abgeschafft werden. Unter kapi­talistischen Bedingungen würde das Verelendung für Lohnabhängige bedeuten. Die notwendige Schrumpfung der Ökonomie ist ohne Massenelend nur in einer Gesellschaft der gesellschaftlichen Planung von Produktion und Verteilung von Gebrauchsgütern jenseits der Warenproduktion möglich.

Darum braucht es eine radikale Linke, die Halbheiten und Widersprüche seziert sowie eine sozialistisch-ökologische Perspektive entwickelt und damit Orientierung bietet. Dazu gehört ei­ne Strategie der »revolutionären Reformen« (André Gorz, 1967), was bedeutet zu fordern, was notwendig ist, und nicht, was unter dem Diktat des Kapitals als realistisch gilt. Die Abschaffung der Kapitalverwertung ist notwendig, aber keine eingängige Parole. Sie muss konkretisiert werden, um Menschen zu gewinnen, zum Beispiel in Fragen des Wohnens, der Gesundheitsversorgung und Pflege, Umwelt und Mobilität, vor allem aber der Arbeit, die gesamtgesellschaftlich reduziert werden muss, um allen ein Leben in Muße zu ermöglichen.