Nur organisierter Widerspruch der Lohnabhängigen kann Umweltzerstörungen beenden

Am Anfang war die Enteignung

Der globale Siegeszug der kapitalistischen Produktionsweise bedeutete zunächst einmal die Enteignung des Gemeineigentums und dessen Umwandlung in Privateigentum. Davon, dass im Kapitalismus der allgemeine Wohlstand gesetzmäßig ansteige, kann daher überhaupt keine Rede sein.
Disko Von

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Christian Hofmann ­argumentierte, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind (»Jungle World« 6/2024). Stefan Laurin hält den Versuch, Wachstum zu unterbinden, für besonders deutsche Lustfeindlichkeit (»Jungle World« 7/2024). Leon Maack findet, dass es durchaus Produktionszweige gibt, die weiter wachsen sollten (»Jungle World« 8/2024).

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Entspricht eine Welt, in der die Hälfte der Menschheit ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann, wirklich dem linken Grundmotiv der Befreiung vom Elend? Immer dann, wenn die Behauptung vorgetragen wird, die Armut sei dank des Kapitalismus in den vergangenen Jahrzehnten oder zwei Jahrhunderten stark zurückgegangen, ist es an der Zeit, den Anthropologen Jason Hickel zu Rate zu ziehen. Die Daten, die belegen sollen, dass weniger Menschen unter der absoluten Armutsgrenze von etwa zwei US-Dollar am Tag leben müssen, weisen ihm zufolge auf etwas ganz anderes hin: Sie zeigen an, dass immer mehr Menschen für ihr Überleben auf Geld angewiesen sind.

Linken, die sich schon einmal mit den Grundzügen der Kapitalismuskritik von Marx auseinandergesetzt haben, dürfte das bekannt vorkommen. In »Das Kapital« kritisiert Marx die Vorstellung bürgerlicher Ökonomen von der »ursprünglichen Akkumulation« als Verschleierung eines Enteignungsprozesses.

Dieser, den Marx anhand der gewaltsamen Vertreibung des Landvolks in England Ende des 15. Jahrhunderts beschreibt, hat in Europa begonnen und ist in den vergangenen zwei Jahrhunderten über den ganzen Planeten ausgedehnt worden. Erst die dabei erfolgte Trennung der Menschen von den natürlichen Lebensgrundlagen machte sie vom Geld abhängig. Diese vermeintliche Fortschrittsgeschichte ist also auch immer eine Geschichte der Enteignung und der Proletarisierung, die von Europa ausgehend durch die Kolonialisierung auf die ganze Welt ausgeweitet wurde.

Die Form des Werts ist genauso gleichgültig gegenüber den ökologischen Bedingungen, wie sie es gegenüber den sozialen Bedingungen der Produktion ist.

Die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln bringt aber mit der Freiheit von den Produktionsmitteln den Zwang mit sich, die eigene Arbeitskraft zu veräußern; dazu gesellen sich noch eine Reihe weiterer Folgen. Alle geraten in Abhängigkeit von einem ökonomischen System, das systematisch nicht nur die Ausbeutung der Arbeitskraft beinhaltet, sondern ebenso die Ausbeutung der Natur.

Es ist auch an dieser Stelle entscheidend, sich an Marx zu halten, um den Kern des Problems zu verstehen. Das von ihm formulierte Prinzip des Kapitals ist es, Mehrwert zu erzeugen. Für die Produktion von Waren ist außer der Arbeitskraft auch ein Substrat notwendig, in dem der Wert vergegenständlicht wird. Dieses Substrat wird aus der Natur entnommen. Das dabei entstehende Problem ist aber nicht nur ein quantitatives, wie es von der Wachstumskritik thematisiert wird, sondern vor allem auch ein qualitatives.

Die Form des Werts, nach der die politische Ökonomie der gegenwärtigen Gesellschaft operiert, ist genauso gleichgültig gegenüber den ökologischen Bedingungen, wie sie es gegenüber den sozialen Bedingungen der Produktion ist. Daher geht das Problem der Zerstörung ökologischer Systeme, das die gegenwärtige Form der politischen Ökonomie verursacht, auch weit über die anthropogenen Klimaveränderungen hinaus und umfasst eine Vielzahl weiterer erheblicher Störungen und Beschädigungen ökologischer Zusammenhänge. Sehr viele von diesen haben grundlegende Bedeutung für das menschliche Leben; sie zu beeinträchtigen, verschlechtert daher die materiellen Lebensgrundlagen der Menschen. Beispielsweise die Überfischung der Meere, die Zerstörung fruchtbarer Böden durch Monokultur oder der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft.

Der wissenschaftliche Fortschritt, der zu diesen Erkenntnissen geführt hat, hat uns auch das Wissen verschafft, was getan werden müsste, um diese negativen Auswirkungen auf die natürlichen Lebensgrundlagen zu verringern oder zu vermeiden. Es zeigt sich hier aber das grundlegende Problem der gegenwärtigen Produktionsweise. Sie ist letzten Endes unfähig, innerhalb ihrer Funktionslogik die wissenschaftlichen Erkenntnisse über ökologische Zusammenhänge zu berücksichtigen, ebenso wie sie es in Bezug auf soziale Forderungen ist.

Die weltweite Staatenkonkurrenz verhindert bislang selbst beim Klimaschutz – also bei der Begrenzung der Emission sogenannter Treibhausgase – jede wirksame Regelung.

Es gibt zwar theoretische Versuche, die Natur in die bürgerlich-kapitalistische Ordnung einzubeziehen und sie dadurch in ihren Funktionen zu erhalten – über Konzepte wie das, ihr Rechte zuzusprechen, oder das der Ökosystemdienstleistungen. In diese Kategorie gehört auch die CO2-Abgabe. In der Praxis haben sich diese Konzepte aber bisher kaum wirksam gezeigt. Da die schädigenden Effekte kapitalistischer Produktion und ihrer Begleiterscheinungen längst nicht auf unmäßigen Kohlendioxidausstoß beschränkt sind, sondern eine Vielzahl anderer Einwirkungen umfassen, müssten eine Unmenge solcher Abgaben eingeführt werden, um die Natur tatsächlich unter Berücksichtigung ihrer vielfältigen ökologischen Zusammenhänge schützen zu können. Die weltweite Staatenkonkurrenz verhindert bislang aber selbst beim Klimaschutz – also bei der Begrenzung der Emission sogenannter Treibhausgase – jede wirksame Regelung.

Hier liegt das wirkliche Problem aller Strategien, die zur Lösung der ökologischen Krisen in der Linken diskutiert werden: Weder für den Optimismus hinsichtlich des technischen Fortschritts noch für die Forderungen nach einer Begrenzung wirtschaftlichen Wachstums, nach Vergesellschaftung oder sozial-ökologischer Planung besteht eine gesellschaftliche oder politische Grundlage. Die Diskussion über eine Postwachstumsgesellschaft ist unter diesen Bedingungen ebenso verfehlt wie der Verweis auf den technischen Fortschritt, um der Herausforderung des Klimawandels zu begegnen und Wohlstand für alle zu ermöglichen.

Unter der subjektlosen Gewalt des Werts und der Herrschaft der Staaten des Kapitals sind die Bedingungen nicht gegeben, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen und gleichzeitig dessen natürliche Grundlagen zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. Die vorrangige Aufgabe bestünde also darin, entsprechende soziale und politische Bedingungen zu schaffen. Eine Kraft, die in der Lage wäre, in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzugreifen und sie zu verändern, müsste allerdings überhaupt erst organisiert werden.

Diese Vorstellung scheint in der Gegenwart wie aus der Zeit gefallen: Die Verhältnisse, in denen es als Aufgabe einer Linken verstanden wurde, das Proletariat als Klasse politisch zu organisieren, werden heutzutage als längst vergangen angesehen. Der Rückzug auf die Verteidigung bürgerlicher Institutionen wird in einer Zeit, in der jede Praxis in Bezug auf eine bessere Welt als verstellt gilt, zur letzten Möglichkeit erklärt. Vernachlässigt wird dabei, dass die Organisation des Proletariats als Klasse immer eine schwierige und langwierige Aufgabe war.

Es wären Organisationsformen zu finden, in denen die individuellen Freiheiten in der Assoziation und der Kooperation tatsächlich verwirklicht werden.

Dazu kommt die Herausforderung, nach dem Scheitern der Russischen Revolution, der Novemberrevolution und des realen Sozialismus in Repression und Terror mit den Mythen autoritärer Organisationsmodelle zu brechen. Sie besteht gerade darin, dass sich die nach wie vor und weltweit zahlreicher denn je bestehende Klasse der Lohnabhängigen auf eine Weise organisieren sollte, die nicht wieder Herrschaft herstellt. Es wären Organisationsformen zu finden, in denen die individuellen Freiheiten in der Assoziation und der Kooperation tatsächlich verwirklicht werden. Weder kann Antisemitismus ein Teil davon sein, noch kann es dabei um Inszenierung, Kampagnen oder andere Formen von Pseudoaktivität gehen; herzustellen sind vielmehr kontinuierliche organisatorische Zusammenhänge der Selbstbildung und Selbstorganisation der Enteigneten und Proletarisierten.

Alle Versuche der Linken, dieser Aufgabe auszuweichen, führten und führen in den Abgrund des Autoritarismus und der Repression. Diese Aufgabe wird für die Linke bestehen bleiben, solange es ihr darum geht, die materiellen Lebensgrundlagen aller Menschen zu verbessern und die Bedingungen für die Entwicklung neuer Technologien zu schaffen.

Der dafür notwendige Umbau von Produktion und Infrastruktur mittels sozial-ökologischer Planung durch Selbstorganisation ist nicht ohne die Umwälzung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu haben. Um eine solche aber erreichen zu können, ist die freie Organisation der vielen zur praktischen Kritik der Verhältnisse unumgänglich. Je mehr die ökologischen, sozialen und politischen Krisen voranschreiten und sich vertiefen und die autoritäre Formierung ausgeweitet wird, um so dringender wird es, eine Antwort auf diese Aufgabe zu finden.