Nina Pritszens, Drogenberatungsstelle Vista, im Gespräch über Crack- und Fentanylkonsum in Berlin

»Bei Crack tritt kein Sättigungsgefühl ein«

Die »Jungle World« sprach mit Nina Pritszens von der Drogenhilfe Vista über den Anstieg beim Crack-Konsum in Berlin und die Frage, ob Fentanyl bereits eine Rolle auf dem deutschen Drogenmarkt spielt.
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Welche Menschen suchen die Angebote der Drogenhilfe Vista auf?
Mit unseren Angeboten erreichen wir jährlich ungefähr 8.000 Ber­li­ne­r:in­nen. Die Leistungen umfassen Kontaktstellen, Beratung, aber auch betreutes Wohnen. Letztlich kann man sagen, dass gut zwei Drittel der Klienten männlichen Geschlechts sind. Zwar schwankt das Geschlechterverhältnis etwas, aber an sich entspricht das dem, was man in der Drogenhilfe insgesamt vorfindet. Vom Alter her würde ich sagen, dass die größte Gruppe zwischen 30 und 50 Jahren alt ist.

Können Sie Aussagen darüber treffen, welches Ausmaß in Deutschland der Substanzkonsum von Menschen hat, die keine Drogenberatung aufsuchen, und wie er sich bei diesen verändert? Zum Beispiel Erwachsene, die nur sehr selten illegale Drogen konsumieren?
Nein, das wäre eine Mutmaßung, denn wir sehen ja nur diejenigen, die unsere Unterstützung suchen. Wir wissen aber aus Erhebungen, dass zwischen einem ersten Konsum und der Entwicklung eines Problems je nach Substanz so zehn bis zwölf Jahre liegen. Die Leute kommen relativ spät zu uns, um sich Unterstützung zu suchen. Es wäre uns daher sehr lieb, wenn man das ganze Thema Drogenkonsum enttabuisieren und entstigmatisieren könnte, so dass sich die Leute vielleicht frühzeitiger Hilfe holen.

Bestimmt beim Konsum illegaler Drogen das Angebot die Nachfrage oder ist es eher andersherum?
Das kann man nicht sagen. Es ist ein unregulierter Markt, insofern kann man darüber nur mutmaßen. Man guckt nur auf das, was zu sehen ist: also entweder auf die Menschen, die Substanzen konsumieren, oder auf Zoll und Polizei und das, was diese beschlagnahmen. Beides sind immer nur kleine Ausschnitte. Niemand weiß so richtig, wie der gesamte Markt aussieht oder was dort für Strategien verfolgt werden.

»Es ist leider kein Medien-Hype, sondern ein wirklich großes Problem.«

Ein Beispiel: Seit zwei, drei Jahren können wir feststellen, dass es auch in Berlin vermehrt ein Crack-Problem gibt. Frankfurt am Main und auch andere Städte haben dieses schon länger, teils seit 20 Jahren. Es gab in Berlin auch immer Crack-User:innen. Die ­haben das Crack in der Regel aber selbst hergestellt, also Kokain dementsprechend aufgekocht. Jetzt berichten Kon­su­men­t:in­nen, dass sie die Steine (die rocks genannten Kristallkörner; Anm. d. Red.) auch so kaufen können. Was wir daher vermuten, ist, dass das Angebot des fertigen Produkts den Konsum steigert. Aber das ist eher eine Vermutung oder eine Überlegung. Mit Sicherheit können wir das nicht ­sagen.

Ist Crack eine so große Heraus­forderung für Drogenhilfen, wie ­berichtet wird?
Das Thema gibt es. Es ist leider kein Medien-Hype, sondern ein wirklich großes Problem. Und zwar deswegen, weil Crack eine Substanz ist, die meist zu einem bestehenden Konsum hinzukommt. Der Konsum selbst ist außerdem substanzbedingt häufig hochfrequent und zum Teil hochdosiert. Es ist schwer, diese hohe Frequenz zu durchbrechen, denn es tritt kein Sättigungsgefühl ein wie bei Heroin oder anderen Substanzen. Das heißt, die Leute konsumieren, bis es wirklich gar nichts mehr gibt oder sie körperlich so erschöpft sind, dass sie zusammenbrechen. In der Zwischenzeit sind sie sehr aktiv. Und das fällt den Anwohner:innen und Bür­ge­r:in­nen in der Stadt tatsächlich stark auf. Die Crack-Raucher:innen sind für die Beratungsstellungen eine große Herausforderung, aber ihr Lebensstil ist vor allem für sie selbst eine große Belastung.

»Synthetische Opioide sind 50 Mal oder 100 Mal potenter als das, was in Deutschland im Moment auf dem Markt ist.«

In den USA spricht man von einer Opioidkrise. Ist das für Deutschland auch zutreffend?
Für Berlin kann ich sagen, dass wir das in dem Ausmaß so noch nicht fest­stellen konnten. Wir haben synthetische Opioide weder im Drugchecking noch bei Schnelltests gefunden. Klar ist aber: Wenn die, die diese Substanzen produzieren und auf den Markt bringen, sich entscheiden, synthetische Opioide auf dem hiesigen Markt einzuführen, dann werden wir hier die Konsequenzen spüren. Das Risiko bei diesen Substanzen ist, dass synthetische Opioide 50 Mal oder 100 Mal potenter sind als das, was in Deutschland im Moment auf dem Markt ist. Mit dem unverstärkten menschlichen Auge lassen sich die Mengen, die eine lebensgefährliche Dosis darstellen, gar nicht mehr erfassen.

Die Geschichten über Fentanylfunde in Partydrogen stimmen also nicht?
Wir haben das in unserem Drug­checking-Projekt bisher nicht feststellen können. Dabei muss aber eingeschränkt werden: in den Proben, die wir untersucht haben. Wir haben im vergangenen Jahr insgesamt etwas mehr als 1.000 Proben analysiert. Das ist ja nur ein Bruchteil von dem, was im Umlauf ist. Also, nur weil wir das nicht ­gefunden haben, heißt es nicht, dass es das nicht gibt.

Was sollte als Antwort auf den wachsenden Crack-Konsum und die mögliche Verfügbarkeit von Fen­tanylprodukten auf dem deutschen Drogenmarkt gesundheitspolitisch unternommen werden?
In den Bereichen Substitution, Drogenkonsumräume und Drugchecking, beim Ausbau und der konzeptionellen Weiterentwicklung der Angebote muss man unbedingt vorankommen. Mit Substitution erreichen wir bisher nur jeden zweiten Opiatgebraucher und Drogenkonsumräume existieren nur in etwa der Hälfte der Bundesländer. Das ist hinsichtlich der stetig steigenden Zahl an Drogentoten in Deutschland und den Problemen mit Drogenkonsum im öffentlichen Raum nicht ausreichend. Beide Maßnahmen wurden vor circa 30 Jahren etabliert und haben sich bewährt, es mangelt jedoch an einem konsequenten bundesweiten Ausbau. Speziell bezogen auf Crack müssen zudem neue Behandlungskonzepte auch an der Schnittstelle zur psychiatrischen Versorgung entwickelt werden.

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Nina Pritszens

Nina Pritszens

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privat

Die Sozialarbeiterin Nina Pritszens ist seit 2018 Geschäftsführerin beim Verbund für integrative soziale und therapeutische Arbeit gGmbH (Vista). Vista ist ein großer Träger der akzeptierenden Drogen- und Suchthilfe in Berlin. Dort wird an verschiedenen Standorten neben Konsumräumen, Hilfsangeboten und Therapiemöglichkeiten auch Drugchecking angeboten. Neben der beruflichen Tätigkeit ist sie seit 2002 ehrenamtlich bei Eclipse e. V. in der psychedelischen Ambulanz und Partyarbeit aktiv.