Zum drohenden Abstieg des HSV

Es reicht, HSV. Reicht es?

Der HSV muss im Relegationsspiel gegen Greuther Fürth antreten. Einige Kommentare zum drohenden Abstieg des Vereins.

Sekt kühlen!
Wochen- und monatelang schien es in Deutschland einen Konsensabsteiger zu geben, den nicht mehr ganz so glorreichen HSV. »Weinender Dino«, »Uhr abschalten«, etc. pp., jaja, lustig, habs kapiert, bliblablub, witzig. Ich kann es nicht mehr hören, ist mir völlig egal. Auch wenn es teilweise doch sehr erheiternd war, einem Verein bei der kompletten Selbstzerlegung zuzusehen (HSV Plus, Oliver Kreuzer, Heiko Westermann) und zu beobachten, wie sich gestandene Profis wie Rafael van der Vaart und Marcell Jansen in unterdurchschnittliche Kreisligatreter verwandelten, sobald sie ein HSV-Trikot überstreifen – der Absteiger meines Herzens wäre ein anderer: der VfB Stuttgart. Rot-weißer Horror mit Bruststreifen. Ein Verein so sympathisch und notwendig wie seine Mitarbeiter und Edelfans (Gerhard Mayer-Vorfelder, Hartmut Engler, Dieter Hundt, Fredi Bobic, Winfried Kretschmann). Oder eine Bindehautentzündung. Ein Verein, bei dem es nicht einmal Trainer Huub Stevens ausgehalten hat, der in seiner bisherigen Karriere sogar schon für Hertha und Schalke gearbeitet hat. Als seinen Nachfolger wird Bobic jetzt demnächst einen »ehrlichen Arbeiter«, Marke Mike Büskens, vorstellen, diesen nach acht Spieltagen entlassen und dann als Tabellenletzter absteigen. Dieser Wetttipp ist umsonst und der Sekt schon kaltgestellt.
Endi Endemann
Absteiger der Herzen
Hamburger Dauerbaustelle mit notorisch zerstrittenem Management und wachsendem Schuldenberg? – Klar, wer denkt da nicht an den HSV. Solche aufgeblähten Projekte haben die unangenehme Eigenschaft, sich der vernunftgebotenen Lösung hartnäckig zu widersetzen, will heißen, der sang- und klanglosen Abwicklung. Und so sind meine Hoffnungen, nach der Relegation Greuther Fürth wieder in der ersten Liga begrüßen zu dürfen, ungefähr so groß wie die, dass der Berliner Senat seine Flughafenbauruine der Öffentlichkeit als Abenteuerspielplatz überlässt. Aber es war nicht alles schlecht am letzten Saisonspieltag. So blieb mir erspart, Schadenfreude gegen fanpolitische Moral abwägen zu müssen: Eintracht Braunschweig tat der Welt den Gefallen, so konsequent abzusteigen, wie es davor wohl noch kein anderer Club geschafft und vor allem verdient hat. Ein Verein, der antifaschistische Fans aus dem Stadion verbannt, weil (!) sie von Nazi-Hooligans angegriffen wurden, darf gerne konstant so weiterspielen wie bisher. Und was nun den Stellinger Balltretverein angeht, der seine Trainer noch häufiger wechselt als den Namen seines Stadions: Egal ob in der ersten oder Zweiten Liga, das Elend wird weitergehen, und Freunde der gepflegten Boulevardunterhaltung können getrost Popcorn nachkaufen. Absteiger der Herzen ist der HSV schon jetzt.
Svenna Triebler
Zweitklassiger Dino
»Der Dino muss erstklassig bleiben« – man kann diese Schlagzeilen schon nicht mehr sehen. Und ist geneigt sachdienlich anzumerken: Erstklassig ist er schon lange nicht mehr. Ein Wesensmerkmal der meisten Dinosaurier ist außerdem, dass sie irgendwann beginnen, vor sich hin zu sedimentieren. Der eine oder andere schafft das Überleben als Schildkröte oder darf in einem Museum – später – als Erinnerungsstück ein neues Leben beginnen. Fußball, Tradition und Erfolg, das war schon immer so eine Sache. Zumal es im Lebenszyklus von Fußballern für den würdevollen Rücktritt irgendwann zu spät ist. Nur ganz wenigen ist es gegeben, zu sagen: Es reicht. Und so hat noch fast jeder alternde ehemalige Leistungsträger »Respekt« verlangt. Von Trainern und von jungen Spielern, die links und rechts an ihm vorbeilaufen und ihn auf dem Platz schon so richtig Scheiße aussehen lassen. Gemeint sind mit »Respekt« eine Art Oscar für das Lebenswerk und eine Stammplatzgarantie. Irgendwann aber ist der Zenit überschritten und selbst das treueste Schaf von Trainer muss sich der Altstarlast entledigen. Einmal kommt bei jedem Klinsmann der Tag, an dem die Fans meutern und auf Plakate schreiben »108 sind genug«. Was sind schon 108 Spiele gegen 50 Jahre? Wir sind gerade Zeugen des beschriebenen Schauspiels, nur dieses Mal auf Vereinsebene. Der Bundesliga-Dino ist seit Jahren im Sinkflug und wird sich, so Fürth Glück hat, demnächst in der redlich verdienten zweiten Liga ansiedeln. Tradition war immer schon ein armseliger Ersatz für Erfolg und so geht auch der HSV seinen letzten Weg in der Bundesliga. Oder den von Preußen Münster, vom Meidericher SV, von 1860 München – Alter schützt eben auch Vereine nicht vor Unverwundbarkeitsphantasien.
Ingo Herrmann
Selber schuld
Der Hamburger SV muss absteigen und zwar nicht nur deshalb, weil außer Hakan Çalhano­ğlu niemand bei ihm in den letzten Wochen auch nur annähernd auf Bundesliganiveau gespielt hat, sondern auch, weil der Verein um seiner selbst Willen endlich mal einen Schuss vor den Bug braucht. Seit Jahren oder eher schon Jahrzehnten hat bei den Hamburgern Misswirtschaft in einem Ausmaß erreicht, dass es dafür eigentlich schon ein neues Wort bräuchte. Seine Führung ist offenkundig inkompetent, der Aufsichtsrat agiert intrigant und ohne jeden Sachverstand und die Schulden sind riesig. Vor allem aber gibt der HSV in schöner Regelmäßigkeit seine besten Eigengewächse ab. Frankfurts Kapitän Alexander Meier, die Nationalspieler André Hahn und Sidney Sam oder auch der Mainzer Eric Maxim Choupou-Moting, der von italienischen Spitzenteams umworben wird – sie alle haben ihr Handwerk beim HSV gelernt. Sie alle wurden in Hamburg vom Hof gejagt. Es ist im Grunde offensichtlich: Ein Verein, der mit fast dreimal soviel Geld nur zwei Punkte mehr holt als Braunschweig, hat verdammt viel falsch gemacht und muss ganz dringend eine ganze Menge lernen. Denn natürlich gehört der HSV in die Bundesliga. Aber halt nicht so.
Jan Tölva
Ein Haus in Norderstedt
Es gibt gute Gründe, dem HSV Schlechtes zu wünschen: selbstherrliche Vereinsführung, verblendete Lokalpresse und eine seit Jahren uninspirierte Mannschaftsleistung. Die populistische Häme gegen den Verein (»Die verdammte Uhr muss endlich weg«) ist mir allerdings suspekt. Ich lebe in einem HSV-Stadtteil, vor der Kneipe an der Ecke hängt samstags eine Rautenfahne und ich kenne nette HSV-Fans. Einer von ihnen kam am Samstag zum Fußballgucken vorbei. Er hatte in der Nacht zuvor vom Spiel geträumt. Im Traum war P. in seinem wirklichen Beruf als Architekt an diesem letzten Spieltag mit Mirko Slomka verabredet. Slomka wollte ein Haus in Norderstedt, im Hamburger Speckgürtel, kaufen und dazu eine fachliche Meinung einholen. Die Besichtigung nahm ihren Gang, es wurde immer später. P. warf einen Blick auf die Uhr und meinte: »Hören Sie, Herr Slomka, es ist ja schon halb drei. Sollten Sie nicht langsam ins Stadion?« (Im Traum hatte der HSV ein Heimspiel.) Woraufhin Slomka ihm zuzwinkerte und sagte: »Ach wissen Sie, ob ich da nun hingehe oder nicht … « P. hatte dieser Traum verständlicherweise ziemlich nervös gemacht, allerdings sollte sich Slomkas geträumte Gelassenheit als ganz realistische Einschätzung der Situation erweisen. Es war tatsächlich egal, ob er nun im Stadion war oder nicht, der HSV verlor sowieso. Aber es machte nichts, weil die anderen ja auch verloren. Also Relegation. Eine aufgeschobene Entscheidung, zwei weitere Spiele. Noch mehr Häme, noch mehr Hoffnung. Wieder eine Rautenfahne vor der Kneipe an der Ecke. P. hatte nicht nur diesen Traum zum Fußballgucken mitgebracht, sondern auch seinen kleinen Sohn. Der hatte ein Buch dabei. Es hieß: »Wieso? Weshalb? Warum? Fußball«.
Nicole Selmer
Ligaverweis
Sagen wir es mal so: Ein HSV-Hasser bin ich ja nicht, zumindest nicht im engeren Sinne. Gleichgültigkeit umschreibt mein Verhältnis treffender. Soll heißen: Soll er mir doch wegbleiben, ich interessiere mich nicht für ihn, und wenn sich jemand ständig vor- und aufdrängelt, wie toll und wichtig er sei und was für eine Tradition er verkörpere, dann sorgt er dafür, dass aus Gleichgültigkeit doch noch etwas Emotionales erwächst: Ablehnung nämlich. Der HSV hat in den Wochen, hach: Monaten seines Abstiegskampfs ziemlich oft verlauten lassen, wie wichtig er sei (Europapokal vor über 30 Jahren), wie toll (Seeler, Happel, Netzer) und wie traditionsreich (Bundesliga seit 151 Jahren). Das wollte ich nicht hören. Hätte der HSV diese Spiele gegen Greuter Fürth nicht erreicht, wäre jetzt Schluss damit. Aber leider schwillt ja jetzt das Tremolo an, bis auch da endlich abgepfiffen wird. Vielleicht haben wir ja Glück und die Relegation erweist sich für den HSV als das, was sie von der lateinischen Wortherkunft ja ist: ein Verweis, ein Ausschluss. Dann kehrt meine Gleichgültigkeit dem HSV gegenüber wieder zurück. Und für diesen immer ein bisschen überdimensionierten Verein gibt es die einzigartige Chance, sich in der Zweiten Liga neu zu erfinden.
Martin Krauß