Die parteienübergreifende Einigkeit bei Asylrechtsverschärfungen

Sie wollen es lassen

Die Regierungskoalition will das Asylrecht noch restriktiver gestalten, der Bundeskanzler fordert Abschiebungen »im großen Stil«, Jens Spahn (CDU) will an der Grenze »physische Gewalt« nutzen. Kaum ein deutscher Politiker spricht sich noch gegen die Verschärfung des Asylrechts aus.

Erst »Zeitenwende«, dann »Doppelwumms« und nun »Deutschlandpakt«: Außer den öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten zwischen den Regierungsparteien charakterisiert nichts so sehr die bisherige Amtszeit von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wie diese von ihm lancierten und mit reichlich Pathos präsentierten Worthülsen. Als Scholz mit dem Begriff »Deutschlandpakt« erstmals um die Ecke kam, wollte er damit zu einem Bündnis von Regierungs- und Oppositionsparteien für mehr Digi­talisierung und die schnellere Realisierung von Infrastrukturprojekten durch Bürokratieabbau aufrufen, um die Nationalökonomie zu stärken.

Mittlerweile steht der Begriff – dank seiner Flexibilität – vor allem für die Pläne zur stärkeren Einschränkung beziehungsweise Abschaffung des Rechts auf Asyl und zur restriktiveren Regulierung von Zuwanderung. Begriffshistorisch ist das folgerichtig, denn der erste »Deutsch­landpakt« wurde 2005 zwischen den extrem rechten Parteien NPD und DVU geschlossen, die mit ihm verabredeten, bei Parlamentswahlen nicht als Konkurrenten anzutreten.

Tatsächlich ist die ganz große Koalition, die mit dem »Deutschlandpakt« beschworen wird, dieser Tage bereits Realität. Zwischen den Unionsparteien sowie SPD, FDP und Grünen herrscht Einigkeit darüber, die Lebensbedingungen von Geflüchteten hierzulande drastisch zu verschlechtern – und so die Politik der AfD zu betreiben. Auch das eine Parteigründung planende »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW), das am Montag von ehemaligen Mitgliedern der Linkspartei vorgestellt wurde, verspricht nichts anderes.

Tatsächlich ist die ganz große Koalition, die mit dem »Deutschlandpakt« beschworen wird, bereits Realität.

Das von Nancy Faeser (SPD) geführte Bundesministerium des Innern und für Heimat hat einen Entwurf für ein »Rückführungsverbesserungsgesetz« erarbeitet: Es soll mehr und schnellere Abschiebungen ermöglichen, unter anderem soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage verlängert werden. »Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, muss unser Land wieder verlassen«, begründete Faeser ihre Pläne in der Rheinischen Post. Sie verwies darauf, dass die Zahl der Abschiebungen im laufenden Jahr bereits um 27 Prozent höher liege als im Vorjahreszeitraum. »Dennoch müssen wir Regelungen vorsehen, mit denen wir unser Recht konsequenter und schneller durchsetzen können«, so Faeser.

Gleichzeitig ist die Bundesrepublik allerdings auch auf Migranten angewiesen, um den sogenannten Fachkräftemangel zu bekämpfen. In einem ausführlichen Interview mit dem Spiegel sagte Scholz: »Einerseits geht es um die Zuwanderung von Arbeitskräften, die wir brauchen. Und es geht um jene, die Asyl suchen, etwa weil sie politisch verfolgt werden. Andererseits heißt das aber: Wer weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe gehört, kann nicht bei uns bleiben. Deshalb begrenzen wir die irreguläre Migration nach Deutschland – es kommen zu viele.«

Zudem gibt es längst Pläne, auch dafür zu sorgen, dass weniger politisch Verfolgte es überhaupt bis nach Deutsch­land schaffen. »Wir verstärken den Schutz der europäischen Außengrenzen, damit weniger den Weg nach Europa finden. Und wir haben in der EU einen neuen Solidaritätsmechanismus ver­einbart: Die Ankunftsstaaten regis­trieren die Flüchtlinge, statt sie einfach in Richtung Deutschland durchzuwinken«, so Scholz weiter.

»Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.

Die Union ist da sprachlich bereits noch einen Schritt weiter. Auf dem »Deutschlandtag« der Jungen Union (JU) in Braunschweig sagte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz: »Wir müssen in diesem Jahr noch zu Entscheidungen kommen, damit es nach dem Winter aufhört mit dieser ungesteuerten und unregulierten illegalen Migration in die Bundesrepublik Deutschland.« Auf der gleichen Veranstaltung beschloss die JU die Forderung, das individuelle Recht auf Asyl abzuschaffen, das heißt die letzten Reste, die man vor etwa 30 Jahren beim ersten »Asylkompromiss« noch übriggelassen hatte, aus dem Grundgesetz zu streichen.

Ebenfalls beim »Deutschlandtag« der JU sagte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen (CDU): »Wir in Europa müssen diejenigen sein, die entscheiden, wer zu uns in die Europäische Union kommt und unter welchen Umständen.« Wer keinen Anspruch auf Asyl habe, müsse konsequent abgeschoben werden. Im vergangenen Jahr habe es EU-weit 420.000 Ausreisebescheide gegeben, so von der Leyen, in 80 Prozent der Fälle seien die Ausreisepflichtigen weiterhin in der EU. Das könne man »nicht weiter so tolerieren«.

Scholz schlägt in dieselbe Kerbe: »Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben«, sagte er dem Spiegel.

Dazu scheint nahezu jedes Mittel recht. »Wir kontrollieren die Grenzen zu unseren Nachbarstaaten nun schärfer«, so Scholz weiter. »Und wir wollen die Anreize dafür senken, sich hier irregulär bei uns aufzuhalten. Wenn die Länder jetzt sagen, sie wollen Sachleistungen statt Geld anbieten, unterstützen wir das. Wenn sie eine Bezahlkarte für Asylsuchende einführen wollen ebenfalls. Außerdem finden wir es richtig, Asylsuchenden gemeinnützige Arbeit anzubieten.« Überdies werde die Bundesregierung Georgien und Moldau als »sichere Herkunftsstaaten« einstufen.

Dem Bundestagsabgeordneten Jens Spahn (CDU) gingen die Ausführungen von Scholz nicht weit genug. Abschreckung und Abschiebungen seien nicht ausreichend, sagte er dem Nachrichtenportal The Pioneer: »Der entscheidende Schlüssel ist nicht die Rückführung, sondern die Begrenzung irregulärer Migration«, und das gegebenenfalls »mit physischer Gewalt«. Er gehe davon aus, dass die EU-Außengrenzen irgendwann geschlossen werden: »Ob in fünf oder in 15 Jahren kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es wird passieren.«

Weil die anderen Parteien auf den Kurs der AfD eingeschwenkt sind, kann diese sich als Avantgarde aufführen – als das Original eben.

Selbst die Grünen haben ihre Widerstände gegen die Asylrechtsverschärfungen aufgegeben und sind nunmehr zu jeder Schandtat bereit, etwa dazu, den Bundesmigrationsbeauftragten Joachim Stamp (FDP) aufzufordern, mit Staaten wie Tunesien schneller über sogenannte Rückführungsabkommen zu verhandeln. Es scheint so, als habe die Rhetorik von SPD, FDP und Unionsparteien gefruchtet, die sich in den vergangenen Monaten gegen die Grünen richtete.

Die Grünen wollen nun lieber mitmachen, statt als vaterlandslose Gesellen dazustehen, die sie ohnehin nur den rufmörderischen Unterstellungen der anderen Parteien nach waren. Denn um nichts sorgen sich die Grünen so sehr wie um Deutschlands Zukunft, die sie wiederum an der eigenen Regierungsbeteiligung festmachen dürften. Wenn man dafür die eigenen Überzeugungen (die einem nie so recht am Herzen lagen) etwas schleifen muss, dann tut man das gerne – für Deutschland.

Dass das Kalkül, mit rassistischer Politik der AfD den sprichwörtlichen Wind aus den Segeln zu nehmen, nicht aufgeht, hindert weder die Bundesregierung noch die Unionsparteien daran, es weiter zu versuchen. Und auch Sahra Wagenknecht gab am Montag bei der Vorstellung ihrer Pläne zur Gründung einer eigenen Partei zu Protokoll, diese solle all jene ansprechen, »die aus Wut oder Verzweiflung rechts wählen«.

Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Weil die anderen Parteien auf den Kurs der AfD eingeschwenkt sind, kann diese sich als Avantgarde aufführen – als das Original eben. Außerdem werden die Beteuerungen der Union, nicht mit der AfD zu koalieren – komme, was wolle – immer unglaubwürdiger, denn es fällt bereits schwer, Unterschiede in den Forderungen zu erkennen. Es ist eingetreten, was der AfD-Politiker Alexander Gauland 2017 ankündigte: »Wir werden sie jagen.« Und die übrigen Parteien lassen sich jagen und treiben – und verkaufen es noch dazu als Kampf gegen die AfD. Es ist ein Elend.