Die Frauen der Gruppe 47 und wie sie vergrault wurden

Kahlschlag und Kumpeleien

Deutlich mehr Frauen als bisher bekannt nahmen an den Treffen der Gruppe 47 teil. Nicole Seifert schildert die Geschichte des Literatenclubs aus weiblicher Perspektive.

Schon der herrlich trockene Titel von Nicole Seiferts Studie »›Einige Herren sagten etwas dazu‹. Die Frauen der Gruppe 47« verheißt eine aufschlussreiche Lektüre. Aber noch vor dem Lesen überlegt man angestrengt, was genau die Gruppe 47 wollte und welches aus ihrem Kreis hervorgegangene Buch man mit Gewinn gelesen hat.

Hinreichend bekannt ist, dass die Gruppe 47 als wegweisend für die deutsche Nachkriegsliteratur gilt und mit den Namen ihres Gründers Hans Werner Richter und ihrer prominenten Mitglieder Heinrich Böll und Günter Grass eng verbunden ist. Diejenigen, die Autoren der Gruppe 47 im Deutschunterricht durchgenommen haben, taten sie oft als »alte Säcke« ab. Das jetzt erschienene Buch der Schriftstellerin und literarischen Übersetzerin Seifert ändert so gar nichts an diesem Eindruck.

Die nach ihrem Gründungsjahr benannte Gruppe 47 hatte keine Satzung oder Mitgliederliste; dazu gehörte, wer an den jährlichen Treffen teilnahm. Wer eingeladen wurde, entschied Hans Werner Richter.

»Einige Herren sagten etwas dazu« ist ein Zitat aus einer Notiz von Ingeborg Bachmann, die als literarischer Superstar »unverzichtbar zur Gruppengeschichte gehört«, als »ihre Schlumpfine gewissermaßen«, wie Seifert auf ihrem Blog »Nacht und Tag« augenzwinkernd schreibt.

Ein wichtiger Grundsatz des Literatenzirkels lautete, dass Autoren, die im »Dritten Reich« publiziert hatten, nicht eingeladen wurden; wobei die Forschung herausgefunden hat, dass der eine oder andere aus dem Umfeld der lose organisierten Vereinigung durchaus in Nazi-Deutschland veröffentlicht hatte. Im Prinzip aber wollte die aus der sozialistischen Zeitschrift Der Ruf hervorgegangenen Gruppe den Bruch mit dem Nationalsozialismus, den literarischen Kahlschlag. Dabei passten ihnen auch die Schriftsteller des Exils ausdrücklich nicht ins Konzept.

Dass schreibende Frauen in der Kumpelgruppe, obgleich formell nicht ausgeschlossen, auch nicht gerade willkommen waren, ist das Thema der vorliegenden Untersuchung. Wie Seifert anschaulich zeigen kann, ließen die Teilnehmer der Treffen die Kolleginnen deutlich spüren, wer dort das Sagen hatte. Dabei waren Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger längst nicht die einzigen Autorinnen, die an den Treffen teilnahmen, aber sie wurden oft schnell vergrault, ihre Bücher wurden verrissen und sind heute zumeist vergessen.

Seifert lässt keinerlei Illusionen über die Herren zu

»Einige Herren sagten etwas dazu« ist ein Zitat aus einer Notiz von Ingeborg Bachmann, die als literarischer Superstar »unverzichtbar zur Gruppengeschichte gehört«, als »ihre Schlumpfine gewissermaßen«, wie Seifert auf ihrem Blog »Nacht und Tag« schreibt. Die materialreiche Darstellung demaskiert die Gruppe als eine Herrentruppe, die noch sexistischer daherredete, als man ohnehin geahnt hatte.

Dass nur wenigen Frauen überhaupt die Ehre zuteil wurde, von Richter zu den Treffen eingeladen zu werden, ist das eine. Wie sie dort behandelt wurden, ist das andere. Als 1958 vier Autorinnen geladen waren (knapp ein Zehntel der Anwesenden), war gleich von einer »Frauentagung« die Rede. Einige Herren brachten, soweit vorhanden, ihre Ehefrauen mit zu den Treffen. Ehemänner (wie der von Gabriele Wohmann) waren dagegen nicht zugelassen.

Das alles belegt Seifert überzeugend und lässt keinerlei Illusionen mehr über die Herren zu. Sie alle verstanden sich zweifellos als progressiv und wähnten sich aufgeschlossen für weibliche Emanzipationsbestrebungen. Das hinderte die Männer der Literaturclique aber nicht daran, Schrift­steller­kolleginnen vor allem nach dem Äußeren zu beurteilen; die Literaturkritik machte es nicht anders. Zitate aus den »Besprechungen« der sich progressiv dünkenden Magazine Spiegel und Stern zeigen, dass sie die Werke von Frauen nach ganz anderen Kriterien bewerteten als die von Männern. Die Presse befand es oft nicht für nötig, sich überhaupt zu den Texten der Autorinnen zu äußern.

Anders die Männer der Gruppe 47, die durch ihre Anwesenheit bei den Gruppentreffen dazu verpflichtet waren, die Werke der Kolleginnen wie auch die der Kollegen zu bewerten. Wenig überraschend hielten sie nahezu jeden Text einer Autorin für autobiographisch geprägt und aus der Tiefe des weiblichen Empfindens entsprungen.

Unbegreiflich ist, wie Hans Werner Richter solche Macht über das literarische Geschehen in der frühen BRD an sich reißen konnte. Erinnert sich irgendwer, was er selbst geschrieben hat? Lust, seine Werke oder die der meisten seiner männlichen Kollegen (wieder) zu lesen, kommt nach der Lektüre von Seiferts wunderbarem Buch nicht auf.

Manchmal war es schiere Unkenntnis, oft aber auch eine Form der Borniertheit, die die Autoren zu abwertenden Urteilen über die Arbeit der Kolleginnen verleitete, wie im Fall der surrealistischen Lyrikerin Ilse Schneider-Lengyel. »Eine ablehnende Bemerkung Richters von 1952 über ihren ›gequaelten Surrealismus‹ macht deutlich, dass ihre Lyrik der Gruppe nicht passte«, kommentiert Seifert die abfällige Behandlung der Autorin. »Schneider-Lengyels Gedichte entzogen sich einem schnellen Verständnis, ihre Rätselhaftigkeit ließ sich nicht auflösen, sie sträubten sich gegen eindeutige Interpretationsversuche und entsprachen weder thematisch noch literarisch dem, was die Gruppe zu dieser Zeit für wichtig hielt – was dazu führte, dass sie einfach abgetan wurden. Um diese Texte einordnen zu können, wäre zunächst eine größere Offenheit nötig gewesen, hätten auch die die Prinzipien und Verfahren des Surrealismus bekannter sein müssen.« In der Rolle der Gastgeberin war Schneider-Lengyel hingegen akzeptiert. In ihrem Wohnhaus am Bannwaldsee im Allgäu fand am 6. und 7. September 1947 das Gründungstreffen der Gruppe statt.

Dass auf das Äußere der Männer eingangen wurde, kam nicht vor

Geradezu schockierend ist, wie der Ablauf der Lesungen geschildert wird. Das Opfer musste neben dem allmächtigen Hans Werner Richter sitzen, der streng guckte, dann wurde gelesen und danach kritisiert – gnadenlos. Das konnte natürlich auch Männern widerfahren, aber dass auf deren Äußeres eingegangen wurde, kam nicht vor.

Hans Werner Richter, 1992

Hans Werner Richter, 1992

Bild:
Wikimedia / Andreas Bohnenstengel / CC BY-SA 3.0 de

Unbegreiflich ist, aber das gehört nicht zum Thema des Buchs, wie Hans Werner Richter solche Macht über das literarische Geschehen in der frühen BRD an sich reißen konnte. Erinnert sich irgendwer, was er selbst geschrieben hat? Lust, seine Werke oder die der meisten seiner männlichen Kollegen (wieder) zu lesen, kommt nach der Lektüre von Seiferts wunderbarem Buch nicht auf. Es stellt aber erstaunlich viele (fast) vergessene oder nie wirklich wahrgenommene Frauen aus der Gruppe 47 dar.

Griseldis Lindsday Fleming zum Beispiel, eine grandiose Lyrikerin, die zum Treffen 1964 eingeladen wurde und der die Kollegen das Dichten nachhaltig vergällt haben, so dass sie danach nie wieder veröffentlichte. Oder Christa Reinig, die nach ihrem einen Auftritt im selben Jahr mit der Gruppe 47 nichts mehr zu tun haben wollte. Sie hat diese Entscheidung nie öffentlich begründet, aber ein Gedicht von ihr scheint nicht nur die Atmosphäre bei den Treffen einzufangen, es zeigt zugleich, dass auch die Autorinn mit scharfen Waffen zurückschlagen konnten: »Seht euch manche Männer an. Ihren Frauen graut vor nichts.«
 

Buchcover

Nicole Seifert: »Einige Herren sagten ­etwas dazu«. Die Frauen der Gruppe 47. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, 352 Seiten, 24 Euro