Die B.L.O.-Ateliers in Berlin-Lichten­berg stehen plötzlich vor dem Aus

Tage der geschlossenen Tür in Lichtenberg

Die Deutsche Bahn will den Mietvertrag für die B.L.O.-Ateliers in Berlin-Lichtenberg nicht verlängern. Aus Sicherheitsgründen hat sie bereits mehrere Räume schließen lassen.

Knapp 100 Künstler:innen, schöpferisch arbeitende Menschen und soziale Initiativen nutzen die Werkstätten, Studios und Veranstaltungsräume der B.L.O.-Ateliers am Berliner S-Bahnhof Nöldnerplatz. Das 12.000 Quadratmeter große Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks Berlin-Lichtenberg-Ost hat in den vergangenen 20 Jahren hohe Bekanntheit als Kreativzentrum erlangt; Politiker von der Bezirks- bis zur Bundesebene betonen parteiübergreifend gern die Bedeutung des Orts für die kulturelle Vielfalt der Stadt, die Identität des Kiezes, aber auch für den Berlin-Tourismus oder die Stadtnatur.

Seit dem 26. April dürfen die meisten der im Atelier Arbeitenden ihre Räume nicht mehr betreten. Die Eigentümerin des Geländes, die Deutsche Bahn, hat ihnen die Nutzung mit sofortiger Wirkung untersagt.

Ende Juli sollte damit Schluss sein, da läuft der Mietvertrag aus. Doch die Türen bleiben nun sogar früher verschlossen als erwartet: Seit dem 26. April dürfen die meisten der hier Arbeitenden ihre Räume nicht mehr betreten. Die Eigentümerin des Geländes, die Deutsche Bahn, hat ihnen die Nutzung mit sofortiger Wirkung untersagt. Zur Begründung heißt es, ein Gutachten habe die Elektrik der Ateliers als Gefahr für Leib und Leben eingestuft. Lockkunst e. V., seit 2004 als Trägerverein Mieter des Geländes, erhielt bis zur Pressekonferenz, die eine Woche nach Erlass des Betretungsverbots stattfand, allerdings keine Einsicht in das Gutachten. In einer an nachfragende Journalisten versandten E-Mail gibt sich ein nicht namentlich genannter Konzernsprecher der Bahn vor allem um die »Gewährleistung der Sicherheit aller Künstler:innen« besorgt. Ihretwegen sei es notwendig geworden, »zunächst insgesamt fünf Gebäude zu schließen«.

Bislang sei die Zusammenarbeit in Sachen Sicherheit und Instandhaltung kooperativ und zielführend verlaufen, teilen zwei Vorstandsmitglieder von Lockkunst, Peter Tietz und Alexander Dammeyer, bei der Pressekonferenz am 3. Mai mit. Noch in den vergangenen Monaten habe man bauliche Mängel in Maßnahmenkataloge überführt und beseitigt. Das wäre nun mit der Elektrik sicherlich auch möglich, meinen sie.

Vor verschlossenen Türen. Seit dem 26. April können die meisten Räume der B.L.O.-Atel­iers nicht mehr betreten werden

Vor verschlossenen Türen. Seit dem 26. April können die meisten Räume der B.L.O.-Atel­iers nicht mehr betreten werden

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Holger Heiland

Schwierig hingegen hätten sich schon seit langem alle Verhandlungen gestaltet, in denen es um eine langfristige Perspektive ging. Noch im Juni 2022 überraschte der Besuch von Sigrid Nikutta, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo, auf dem Gelände. Damals habe ein Vertrag über eine weitere Nutzung für 20 Jahre in Aussicht gestanden, so Tietz und Dam­meyer. Ein entsprechender Entwurf sei aber trotz Ankündigung nie bei ihnen eingegangen. Vielmehr habe man aus der Presse vom Abbruch der Verhandlungen erfahren. Statt der Vertragsverlängerung für die Zeit nach dem 31. Juli gibt es nun mit dem Nutzungsverbot ein unvermitteltes Aus. »Wir stehen jetzt de facto auf der Straße«, so Tietz.

»Wie hier von heute auf morgen Existenzen zerstört werden, ist schlicht unbegreiflich«, sagt Marcel Caspers der Jungle World. Er fertigt auf dem Gelände Spezialeffekte, Masken und Requisiten. Für viele hier stehe noch mehr auf dem Spiel als nur die berufliche Existenz. »Ich bin seit Tag eins Teil der B.L.O.-Ateliers. Meine beiden mittlerweile erwachsenen Kinder sind zum Teil hier aufgewachsen, haben Natur in der Stadt kennenlernen dürfen, Praktika gemacht et cetera«, so Caspers. Abgesehen von dem wirtschaftlichen Fiasko, das der Verlust des Ateliers für ihn bedeute, verliere er eine Art Familie: »Über die Jahre haben sich Freundschaften und Arbeitssynergien entwickelt, wie sie nur an einem Ort wie diesem entstehen können.« Diesen Zusammenhang anderswohin zu verpflanzen, scheint – auch abgesehen von der Lage auf dem Berliner Immobilienmarkt – kaum möglich.

Als eine der größten Künstler:in­nen­gemeinschaften der Stadt haben sich die Mieter der B.L.O.-Ateliers die Strukturen, in denen sie arbeiten, seit 2003 vorwiegend in Eigeninitiative und – bis auf eine Anschubfinanzierung von 270.000 Euro aus EU-Fördermitteln – finanziell unabhängig geschaffen.

Als eine der größten Künstler:in­nen­gemeinschaften der Stadt haben sich die Mieter der B.L.O.-Ateliers die Strukturen, in denen sie arbeiten, seit 2003 vorwiegend in Eigeninitiative und – bis auf eine Anschubfinanzierung von 270.000 Euro aus EU-Fördermitteln – finanziell unabhängig geschaffen. Es gibt die zum Veranstaltungsraum umgebaute Kantine, die für kulturelle und soziale Veranstaltungen wie Konzerte, Theater oder Ausstellungen auch anderen Trägern, zum Beispiel dem Bezirk, zur Verfügung gestellt wird. Ein Residenzprojekt ­fördert Künstler im Exil; in Workshops werden jährlich über 1.000 Teilnehmenden Fertigkeiten vermittelt, wie Sabine Alex berichtet, die seit 2014 hier arbeitet. Und einmal im Jahr laden die B.L.O.-Ateliers zum Tag der offenen Tür – ein fester Termin im Kalender des Bezirks.

All das interessiert die Deutsche Bahn augenscheinlich genauso wenig wie die Fürsprache des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) und mehrerer Mitglieder des Kulturausschusses des Bundestags. Damit trägt der Konzern erheblich dazu bei, dass noch mehr städtische Kulturorte verloren gehen. Wie beim Ringen um den Erhalt des ebenfalls akut bedrohten Tuntenhauses auf der Kastanienallee im Prenzlauer Berg zeigt sich so ein weiteres Mal, wie wenig wirksam die Willensbekundungen von Politikern sind, wenn es darum geht, Refugien kultureller Vielfalt tatsächlich zu erhalten und nicht nur ihre Bedeutung salbungsvoll zu beschwören. Das ist nicht nur für die Betroffenen und Berlins kulturelle Reputation schlecht. Es ist auch ein schlechtes Zeichen in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit.