Die islamistische Gruppe Muslim Interaktiv inszenierte sich in Hamburg als Zensuropfer

Kein Kalifat in Hamburg

Die islamistische Gruppe Muslim Interaktiv demonstrierte zum zweiten Mal binnen kurzem in Hamburg. Die strengen Auflagen wusste man geschickt zu umgehen.
Raucherecke Von

2.300 Männer versammelten sich am Samstag auf dem Steindamm im Hamburger Stadtteil St. Georg. Sie standen in eng geschlossenen Reihen zusammen und sprachen wie eingeübt synchron Glaubenssätze – wenn Joe Adade Boateng in seiner Rede kurze Pausen dafür ließ. Boateng ist einer der Köpfe der islamistischen Gruppe Muslim Interaktiv, die an diesem Tag erneut in der Nähe des Hauptbahnhofs zu einer Demonstration unter dem Motto »Gegen Zensur und Meinungsdiktat« aufgerufen hat.

Die Demonstranten hielten weiße Schilder hoch, auf denen »Banned«, »Verboten« oder »Zensiert« zu lesen war. Diese hatten die Organisatoren zuvor ausgeteilt.

Sechs Hundertschaften der Polizei standen am Rande in Kampfmontur bereit, mit ihnen zwei Wasserwerfer. Man wollte Stärke zeigen, um den strengen Auflagen der Versammlungsbehörden Nachdruck zu verleihen. Bis drei Tage vor der Veranstaltung blieb unklar, ob diese überhaupt stattfinden darf. Nach der islamistischen Demonstration am 27. April hatten insbesondere die CDU und zahlreiche Medien skandalisiert, dass Muslim Interaktiv mit der Losung »Das Kalifat ist die Lösung« nach Geschlechtern getrennt und mit einheitlich gekleideten Männern aufmarschiert war.

Unter Auflagen durfte nun eine weitere Veranstaltung am Samstag stattfinden: Das Kalifat durfte weder in Bild, Ton oder Schrift gefordert werden und die Herabsetzung von Menschengruppen nach religiösen oder ethnischen Kriterien war ebenso verboten wie uniforme Kleidung und die Trennung von Männern und Frauen.

Einhaltung des Verbot der Geschlechtertrennung durch Inszenierung als Trennung von Passanten und Demonstranten

Die Demonstranten hielten weiße Schilder hoch, auf denen »Banned«, »Verboten« oder »Zensiert« zu lesen war. Diese hatten die Organisatoren zuvor ausgeteilt. Und Boateng zeichnete in seiner Rede die »wahren Moslems«, wie er seine Anhängerschaft bezeichnete, als lammfromme Opfer einer »kolonialen Meinungsdiktatur«. Den Gottesstaat forderte er dennoch, wenn auch im Nahen Osten: »Vereine die Menschen in einem Kalifat, auf das wieder Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten und der islamischen Welt einkehrt und dein Wort zum Höchsten gemacht wird.«

Zwischen den Männern mit Undercuts und Bärten waren keine Frauen zu sehen. Stattdessen hielten sich auf den Bürgersteigen und Cafés ringsherum mehr Frauen mit Hijab auf als gewöhnlich auf dem Steindamm. Das Verbot der Geschlechtertrennung hielt man so ein, indem man sie als Trennung von Passanten und Demonstranten inszenierte.

»Ob eine Gesellschaft frei ist, ist daran zu sehen, ob es für Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe gibt«, so Birgit Ebel vom Verein Frauenheldinnen zur Jungle World. »Und in der Demo sind keine Frauen zu sehen; nur am Rand.« Die Frauenheldinnen hatten für diesen Samstag zu einer Gegenkundgebung aufgerufen: »Frauen gegen das Kalifat – für Freiheit und Menschenwürde«. 100 Frauen und wenige Männer beteiligten sich daran. Innerhalb von nur drei Tagen wurde der Gegenprotest organisiert.

Unter dem Motto »Gegen Kalifat und Vaterland – Für eine Welt, in der wir ohne Angst verschieden sein können« waren etwa 50 Leute dem Aufruf des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Hamburger Initiative gegen Antisemitismus (HIgA) gefolgt.

Das Bedürfnis, sich gegen das Kalifat und die Abschaffung von Frauenrechten auszusprechen, sei groß, sagte eine Teilnehmerin der Jungle World. »Aber es ist ein Unding, dass wir alleine mit unseren geringen Mitteln so etwas organisieren«, so Ebel nach der Kundgebung. Sie schien enttäuscht von der geringen Beteiligung. »Gegen die AfD demonstrieren Tausende, aber die Islamisten sind auch Rechtsextreme. Wo bleibt da der Protest?«

Auf einer weiteren Gegenkundgebung wehten die Flaggen Israels. Unter dem Motto »Gegen Kalifat und Vaterland – Für eine Welt, in der wir ohne Angst verschieden sein können« waren etwa 50 Leute dem Aufruf des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und der Hamburger Initiative gegen Antisemitismus (HIgA) gefolgt. »Unsere Botschaft lautet: wir lassen uns nicht einschüchtern«, sagt Yonny Meyer vom Jungen Forum nach der Kundgebung zur Jungle World. »Uns hält deren ›Allahu akbar‹ nicht davon ab, uns die Straße zu nehmen, die sie für ihr Territorium halten.« Deshalb habe man so nah wie möglich an die Demonstration von Muslim Interaktiv heran gewollt, ergänzt Marly Dietrich von der HIgA im Gespräch mit der Jungle World.

Der Plan ging allerdings wegen polizeilicher Anweisungen nicht auf. In 300 Meter Abstand wurde der Protest kaum wahrgenommen. »Letztlich kam unsere Botschaft doch noch an die Adressaten«, betonte Meyer. »Hunderte Teilnehmer der Kalifatskundgebung sind in unsere Richtung ab­gezogen. Die älteren Kader von Muslim Interaktiv hatten sichtlich Mühen, ihren aufgebrachten Nachwuchs im Griff zu halten.«