Der Gedenkort »Ulrichsschuppen« von Michaela Melián im Bremer Hafen

Die Stadt als Träger

Bis zu 75.000 Menschen mussten im Nationalsozialismus in Bremen Zwangsarbeit leisten, unter ihnen viele Kriegsgefangene, aber auch KZ-Insassen. Nun wurde der von der Künstlerin Michaela Melián konzipierte Gedenkort »Ulrichsschuppen« im Hafen der Stadt eingeweiht.

In Bremen ist Kunst ein fester Bestandteil des zivilgesellschaftlichen Gedenkens. Erst vergangenen September wurde hier unweit der Spedition Kühne + Nagel das »Arisierungs«-Mahnmal nach einem Konzept von Evin Oettingshausen realisiert. Nun hat die Künstlerin und Musikerin Michaela Melián den Erinnerungsort Ulrichsschuppen gestaltet. Er entstand im Rahmen des renommierten Rolandpreises für Kunst im öffent­lichen Raum und soll an das Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiter­lager am Bremer Getreide- und Fa­brikhafen erinnern – eines von damals etwa 40 Lagern alleine im Bremer Westen.

Bis zu 75.000 Personen, so heißt es, mussten in Bremer Betrieben Zwangsarbeit leisten. Die genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt. Auf dem Gelände am Hafen wurden die damaligen Ulrichsschuppen von 1942 bis 1944 als Internierungslager insbesondere für französische Kriegs­gefangene genutzt, später ­kamen sowjetische Zwangs­arbeit­er:in­nen hinzu. Eine Liste verzeichnet 983 Gefangene.

Der Erinnerungsort selbst ist eher unscheinbar. Meliáns Gestaltungspraxis drängt sich nicht auf, sondern setzt Interesse voraus.

Die Schuppen, die nach Kriegs­ende wieder ihrem ursprünglichen Zweck dienten, wurden 2019 abgerissen. Mit ihnen verschwand einer der letzten historischen Orte in Bremen, die an Zwangsarbeit erinnerten. Die Schuppen standen nicht unter Denkmalschutz, obgleich dort erst 1989 große Wandgemälde französischer Kriegsgefangener wiederentdeckt und restauriert wurden. Die 13 Bilder zeigen Szenen aus dem Alltag der Kriegsgefangenen und befinden sich heute an verschiedenen Orten wie dem Bremer Staatsarchiv, dem Landesamt für Denkmalpflege oder dem Hafenmuseum. Trotzdem scheint kaum jemand diese Gemälde zu kennen.

Der Erinnerungsort selbst ist eher unscheinbar. Meliáns Gestaltungspraxis drängt sich nicht auf, sondern setzt Interesse voraus. An der Ecke Memeler und Revaler Straße in Bremen-Walle stellte die Hafenbetriebsgesellschaft J. Müller AG aus Brake ein Eckgrundstück zur Verfügung. Heutzutage türmen sich zwischen Fabrikhallen Container auf, wo früher die Schuppen standen.

Die Künstlerin hat den Umriss der Fassade des Schuppens aus historischen sogenannten Reichziegeln nicht vertikal, sondern horizontal auf dem Boden nachgebaut. Die Schuppen wurden nicht rekonstruiert, um die Leere zu füllen. Stattdessen wird die Leere von Melián geradezu markiert. Georges Didi-Huberman hat einmal mit Blick auf die vier von Häftlingen 1944 heimlich in Auschwitz-Birkenau aufgenommenen Fotografien die Unzulänglichkeit von Bildern für die Repräsentation der NS-Verbrechen betont. Die Leere aber beschrieb er als einen »Augenblick der Wahrheit«.

NS-Erinnerungsarbeiten, die sich ­einer ästhetischen Vereindeutigung entziehen

Melián realisierte bereits mehrere NS-Erinnerungsarbeiten, die sich ­einer ästhetischen Vereindeutigung entziehen und Endgültigkeitsgesten verweigern. Stets gehen ihnen intensive Recherchen der Bildhauerin ­voraus. Früh forschte sie zur NS-Mustersiedlung Föhrenwald: 1937 wurde diese südlich von München für die Beschäftigten der nahen Rüstungsbetriebe errichtet. Zu Kriegsende diente die Siedlung kurzzeitig als Unterkunft für die Überlebenden des Todesmarsches des KZ Dachau und bis 1957 als Auffanglager für displaced persons: Holocaust-Überlebende, die auf Ausreise nach Israel oder in die USA hofften. Anschließend wurden dort sogenannte Heimatvertriebene untergebracht.

Heutzutage ist die Siedlung Waldram ein Stadtteil von Wolfratshausen. Auf Basis tran­skribierter Interviews und Aufzeichnungen der damaligen Bewohn­er:in­nen produzierte Melián das mehrfach ausgezeichnete dokumentarische Hörspiel »Föhrenwald« (2005).

Das dezentrale Mahnmal »Me­mory Loops« wiederum wurde zwischen 2008 und 2010 im Rahmen eines Kunstwettbewerbs der Stadt München realisiert. Es besteht aus 300 deutsch­sprachigen und 175 englischsprachigen Tonspuren, fünf davon einstündige Themenschwerpunkte. Die Collage setzt sich aus von Schau­spieler:innen eingesprochenen Berichten von Verfolgten und Zeit­zeug:innen, von Kindern vor­gelesenen Akten, Zeitungsartikeln und Anzeigen zusammen. Musikfragmente bilden eine parallele Bedeutungsschicht. Das 24 Stunden lange Material, das auch als Audio­installation im NS-Dokumentationszentrum in München zu hören ist, steht auf der Website memoryloops.net zur Verfügung. Dort sind die einzelnen Spuren zum NS-Terror in München auf einer Karte konkreten Orten in der Stadt zugeordnet. An 60 Standorten sind zudem Hinweistafeln zu Memory Loops angebracht, die auf den jeweiligen Ort Bezug nehmen.

Für Michaela Melián spielt Ton eine zentrale Rolle

Auch in Bremen ist der eigentliche Gedenkort zumindest temporär mit weiteren Orten in der Stadt verknüpft: Die Weserburg, das Bremer Museum für moderne Kunst, präsentiert derzeit Meliáns Soundinstallation »Aufheben« von 2021. Für die Künstlerin, die 1980 die Band F.S.K. mitgründete, spielt Ton eine zentrale Rolle. »Aufheben« versammelt Audiospuren von 66 Sprecher:innen. In 32 Sprachen kreisen sie um die teils gegensätzlichen Bedeutungen des Verbs »auf­heben«: abschaffen und annullieren; bewahren und speichern; aufsammeln und aufnehmen. Der polyphone Soundteppich referiert auf eine Er­innerungskultur zwischen Ritualisieren und Irritieren, Verweigerung und Bewahren.

In der Galerie K-Strich werden derweil neun Nähmaschinenbilder zu den Ulrichsschuppen gezeigt. ­Regelmäßig bedient sich Melián dieser apparativen Bildproduktion. Mit klaren Fadenlinien zeichnen sie den heutigen Erinnerungsort in seiner historischen Vielschichtigkeit nach: das Lager aus aneinandergereihten Schuppen aus der Vogelperspektive; der Abriss der Schuppen; das leere Eckgrundstück, eingerahmt von emporragenden Containertürmen; der heutige Gedenkort. Die fragilen Bilder lösten sich auf, zöge man am Faden. Zurück blieben die Nadelspuren, und damit Lochkarten: jene frühen Datenträger, die die Nazis bei der Identifizierung und somit letztlich der Vernichtung von Jüd:innen, Sinti:zze und Rom:nja nutzten.

Zwangsarbeiter:innen gab es in den meisten Betrieben – und fast alle wussten davon.

Ergänzt werden die Zeichnungen um eine mehr als vier Meter lange U-Boot-Attrappe aus einem Holzgestell und einem Stoffüberzug, das schon 2001 in der Kunsthalle Bremen zu sehen war. Es ist das Ergebnis von Meliáns Forschungen zum U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Farge.

Die Bauarbeiten an der U-Boot-Werft, dem größten Rüstungsprojekt der Kriegsmarine, kosteten zwischen 1943 und 1945 mehr als 1.600 Zwangs­arbeiter:innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge das Leben. Bis 2010 wurde die Ruine von der Bundeswehr als Depot genutzt, seit 2015 ist sie Gedenkstätte und Lernort.

Der Erinnerungsort Ulrichsschuppen entwickelt seine analytische Schärfe wesentlich in der Kombination mit den anderen Arbeiten. Melián nutzt so das ganze Stadtgebilde als Träger der Erinnerung an Zwangsarbeit. Diese lässt sich nicht auf einzelne Gedenkorte beschränken, an denen die postnazistische Gesellschaft Erlösung finden kann. Zwangsarbeiter:innen gab es in den meisten Betrieben – und fast alle wussten davon. Melián fordert deshalb dazu auf, sich im Sinne einer Mitverantwortung selbst an öffentlichem Gedenken zu beteiligen, wie sie es in einem Interview für die Taz ausdrückte: »Denn die Entscheidung, sich mit Vergangenem, Geschichten und ihren Kontexten zu ­beschäftigen, liegt ja bei jeder einzelnen Person. Erinnern ist eine Tä­tigkeit.«

Die Installation »Aufheben« ist noch bis zum 30. August 2026 in der Weserburg zu sehen, die Ausstellung »Ulrichsschuppen« in der Galerie K-Strich, ebenfalls in ­Bremen, noch bis zum 1. Juni 2024.