Michaela Melián im Gespräch über die 30jährige Bandgeschichte von F.S.K.

»Wir sind sicherlich die einzige Band, die sich nicht umzieht, bevor sie auf die Bühne geht«

Michaela Melián über die 30jährige Bandgeschichte von F.S.K. Das 30jährige Bandjubiläum ist inzwischen nicht mehr Rockgruppen wie den Rolling Stones vorbehalten, auch im alternativen Pop- oder Indie-Bereich bleibt man gerne lang zusammen, siehe Sonic Youth, R.E.M. oder Depeche Mode. Im Fall von Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) reibt man sich aber doch ungläubig die Augen: »So lange gibt’s die schon?« Was vielleicht daran liegt, dass man sich ihnen als deutscher Indie-Band näher fühlt und die lange Zeitspanne daher nicht wahrhaben möchte, vielleicht aber auch daran, dass sich die Band nie für einen einzigen Stil entschieden hat. Seit 1980 fungiert die Gruppe als hedonistisch intendiertes Versuchslabor, in dem bayrische Polkas und Genderstudies, House Music und Yodeling, Tanzen und Denken, Diskurs und Disco keine Widersprüche, sondern sich stets neu befruchtende Forschungsansätze bilden. Von Anfang an dabei ist – neben Thomas Meinecke und Justin Hoffmann – Michaela Melián, die wie alle Mitglieder neben der Band vielen anderen Beschäftigungen nachgeht. Sie ist Professorin für zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, produziert Hörspiele wie »Föhrenwald« und das Projekt »Memory Loops«, in dem sie an die Opfer des Nationalsozialismus in München erinnert.

Hättet ihr euch 1980 vorstellen können, dass es die Band so lange geben wird?
Nein, überhaupt nicht. Justin Hoffmann, Thomas Meinecke und Wilfried Petzi waren damals bei der Zeitschrift Mode & Verzweiflung, die in München zwischen 1978 und 1986 sporadisch erschien. Sie hatten die Idee, neben der Zeitschrift ein weiteres Produkt, nämlich eine Band beziehungsweise eine Platte zu machen. Justin kannte mich vom Kunststudium und lud mich ein mitzumachen, denn sie suchten für das Bandprojekt eine Bassistin – sie wollten keine reine Jungsband sein. So kam ich zu Mode & Verzweiflung, zuerst einmal als Covergirl. Nach ein paar Proben haben wir die Tracks in Justins Zimmer mit einem Tonbandgerät aufgenommen und an Alfred Hilsberg geschickt, der damals sein Label Zickzack gegründet hatte. Er hat aus diesen ersten vier Stücken gleich eine Single gepresst.
Damals wollten wir gar nicht live spielen, sondern zunächst nur mitmischen bei diesen aufregenden Dingen, die im Rahmen von New Wave und NDW passierten. Der erste Auftritt fand dann im Dezember 1980 auf einem Hamburger Festival statt. Davor gab es nur einen privaten Auftritt in meiner WG, eine Art Probe für geladene Gäste.
Hat es jemals eine Rolle gespielt, dass du die einzige Frau in der Band bist?
Die drei Gründungsmänner wollten keine Jungsband, das war eine ganz klare, auch programmatische Entscheidung. Meine Rolle war keine andere als die der Männer, nämlich die des Bandmitglieds. Wir wollten die Rollenklischees nicht, die in Pop und Rock gerne produziert werden. Über die Jahre haben wir zum Beispiel eine Reihe von Stücken, deren Texte Frauen bzw. Männern auf den Leib geschrieben worden waren, gegenbesetzt gecovert. Von Anfang an haben sich viele unserer Songs wie »Frau mit Stiehl« und »Tu den Strand« auf der Textebene mit Gender-Identitätsfragen befasst. Vielleicht sind wir ja eine echt feministische Band!
Die Band fing in der Postpunk-Ära an. Warst du von Punk beeinflusst? Gab es Musikerinnen und Musiker, die besonders wichtig für dich waren?
Die Grenzen zwischen den Genres sind fließend. Wir waren eine dieser Kunsthochschulbands, die sich als Nichtmusiker bezeichnet haben. Das ist sicher eine wichtige Gemeinsamkeit mit Punkstrategien. Auch die Lust, sich mittels Musik in Diskurse einzumischen, schnell zu reagieren und Produkte nachzulegen. Die Mode, die wir wollten, gab es nur in England zu kaufen: Deshalb holte man sich vieles vom Flohmarkt oder musste es selber nähen. Kleine Labels generierten eigene Läden und Vertriebswege. Wichtig waren die Strategien des Pop, aber Punks waren wir nie. So kam der Name Freiwillige Selbstkontrolle nicht von ungefähr: Kein Sich-Ausleben auf der Bühne, niemand sollte schwitzen bei F.S.K. Deshalb hatten wir zehn Jahre kein Schlagzeug, sondern Rhythmusmaschinen.
Während der ersten Zeit haben wir nicht mit dem Publikum gesprochen, trugen Bundeswehr uniformen und sangen: »Wir sagen ja zur modernen Welt.« Vorbilder waren Bands wie Velvet Underground, Gang of Four, Talking Heads. Deutsche Bands haben wir ganz genau beobachtet und weite Fahrten gemacht, um Konzerte von Mania D, Malaria!, Palais Schaumburg, Abwärts, DAF, The Wirtschaftswunder zu hören. Vorbilder für mich persönlich waren Musikerinnen wie Tina Weymouth und Maureen Tucker, Frauen, die selbstverständlich Teil einer Band waren, ohne den »weiblichen Körper mit Stimme« zu geben, was ja bis heute häufig die Rolle von Musikerinnen auf der Bühne ist. Das war ein Grund für die einheitliche Bühnenbekleidung, zuerst Uniformen, später karierte Hemden mit Jeans. Heute sind wir sicherlich die einzige Band, die sich nicht umzieht, bevor sie auf die Bühne geht.
War euer »Ja« zur modernen Welt eine Absage ans Hippietum?
Das war natürlich eine Kriegserklärung an die Hippies, 1980 war das ja der Mainstream. Es ging auch um Provokation, um ein Wahrgenommenwerden in Kontexten, die wir gut fanden. Mit dem Ende des Popsommers 1982 war das aber vorbei, dann schnitten sich die Hippies die Haare ab, zogen ulkige Klamotten an und machten die Neue Deutsche Welle zu dem, was nie gemeint war, nämlich neuem, lustigem Unterhaltungsschlager wie »Tretboot in Seenot«. Das »Ja zur Modernen Welt« bringt bis heute den hedonistischen Gedanken hinter F.S.K. gut auf den Punkt. Und es schwingt immer auch eine gewisse Traurigkeit mit, siehe Mode & Verzweiflung.
Ihr seid eine Band für Intellektuelle – so lautet ein häufig vorgebrachter Vorwurf. Aber warum sollten sich Denken und Tanzen ausschließen?
Stimmt. Aber das ist doch gar kein Vorwurf. Quelle dafür ist übrigens ein Satz, den Diedrich Diederichsen 1981 in Sounds über uns schrieb: »eine Band für die deutsche Intelligenz«.
Zurzeit ist Do It Yourself wieder ein Thema, es gibt Bücher und Ausstellungen dazu. Siehst du dich und die Band auch in dieser Punk-Tradition?
Die Praxis von F.S.K. kann man am besten als Appropiation oder Aneignung bezeichnen. An authentische Produktion haben wir nie geglaubt, auch eine technische Meisterschaft bzw. die ungebrochene Adaption oder Rekonstruktion von Musikstilen oder -stücken hat uns nie interessiert. Viele männliche Musiker haben uns deshalb nie als »echte« Musiker und Musikerinnen akzeptiert. So viel zum Vorwurf »Band für Intellektuelle«.
Wenn man die Jubiläumsbox anhört, fallen die häufigen musikalischen Stilwechsel auf, und doch klingt ihr immer unverwechselbar. Woran liegt das?
Daran, dass wir immer dieselben Musiker und Musikerinnen sind. Mit der Zeit haben wir etwas besser spielen gelernt, und vor allem spielen wir – wenn wir geprobt haben – als »Bandmaschine« gut zusammen. Wir verwenden seit Jahren die gleichen Instrumente, wenn es auch viele verschiedene sind, so entstehen immer wieder ähnliche Klangfarben und Sounds. Justin spielt z.B. seit Mitte der neunziger Jahre auf einem DX7-Synthesizer, was damals nach dem Achtziger-Jahre-Wave das abwegigste, verbrauchteste Musikinstrument überhaupt war. Wir wollten damit Mitte der Neunziger nach der Polka-, Yodel- und Countryphase eine harte Wendung hin zur elektronischen Musik machen.
Gab es Phasen, von denen du nicht überzeugt warst?
Die Prozesse in der Band werden von allen getragen und werden gemeinsam entwickelt. Rückwirkend gibt es Stücke, die auf Platte nicht optimal funktioniert haben, die wir besser live spielen und umgekehrt. Möglicherweise haben wir vor der Zusammenarbeit mit Antony Shake Shakir etwas übertrieben: Dass wir aus Liebe zur elektronischen Musik gleich zwei Alben fast ohne Text gemacht haben – »Tel Aviv« und »X« –, war vielleicht doch etwas zu viel. Aber es sind gute Stücke dabei entstanden! Lustig finde ich die Vorstellung, dass wir mehrere Jahre reine Instrumentalkonzerte, ganze lange Abende ohne Gesang gemacht haben, von elektronisch produzierter Musik und House beeinflusst, aber mit unserem Instrumentarium ohne Computer gespielt.
Die Band verbindet bayerische Bodenständigkeit mit interessierter Weltoffenheit – ist das euer Rezept für 30 gemeinsame Jahre?
Worauf beziehst du das Bodenständige? Darauf, dass wir als soziales Konstrukt und als Band so lange zusammenarbeiten? Zumindest wohnen wir nicht mehr alle in München, was sich aus unseren beruflichen Biografien ergibt, aber die Zusammenarbeit als Band wollten wir nie einstellen. Wir planen unsere Probetage lange im Voraus, und aus dem Zusammenspielen, Improvisieren und Musikhören entstehen neue Stücke. Gerade arbeiten wir an Songs, die bei Buback veröffentlicht werden. Dass wir immer noch mit Spaß zusammenspielen, liegt sicher auch daran, dass wir es nie als Band »wissen wollten«, dass niemand von uns Popstar werden oder damit Geld verdienen wollte. Wir haben die Band immer als ein gemeinsames Projekt neben unserer jeweiligen Arbeit wie Kunst und Schreiben gesehen. Dass eine Band so lange funktioniert, ist in Bezug auf die Konstellation und die Interessen der Bandmitglieder natürlich auch ein Glücksfall.
Dein Gesangsstil wird oft mit Nico verglichen. Freut dich das?
Diese Zuschreibung begleitet die Rezeption von Anfang an. Diese Verwandtschaft ist nie intendiert gewesen, vielmehr liegt es an der Art der Stimme und einem eher »kalten«, bewusst nicht ausdrucksstarken Gesangsstil. Solche Vergleiche sind mir natürlich immer eine Ehre, denn Nico habe ich immer bewundert.
Du hast Soloalben veröffentlicht, bist Bildende Künstlerin und mit Hörspielen und Projekten wie »Memory Loop« sehr erfolgreich – was bedeuten F.S.K. für dich?
F.S.K. war immer ein ganz wichtiger Drehpunkt für uns alle. Mit meiner künstlerischen Arbeit bin ich meist allein unterwegs, bei F.S.K. arbeiten wir im Kollektiv. Die Musik bringt uns in Kontexte, die wir lieben, und mit Leuten und Szenen zusammen, die wir schätzen. F.S.K. ist für uns ein Diskurszirkel: Wir reden über Musik, Kunst, Filme, Literatur, Politik. Meine ganze Arbeit ist luftwurzelartig mit F.S.K. verbunden.
Denkst du, dass es eine genuin weibliche Kunst beziehungsweise Herangehensweise an Kunst gibt?
Alles, was ich mache, entsteht natürlich vor dem Hintergrund und mit dem Wissen, dass ich weiblich bin bzw. »eine Frau sein tue«. Ob man das meinen Arbeiten ansieht oder anhört, weiß ich nicht, denn gerade viele männliche Künstler äußern sich heute bewusst »unmännlich«. Aber jeder meiner Arbeiten sind Überlegungen dazu immanent, zum Beispiel wähle ich bewusst flüchtige Formen der Produktion: Musik, Audio, Radio. Sounds, die verwehen, versenden sich. Wandbilder, die nach Ablauf der Ausstellung übermalt werden. Installationen, die nur dann da sind, wenn sie aufgebaut werden, danach sind sie wieder weg.

Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Mode & Verzweiflung Produkt. Best of 30 Years (Disko B, 3 CDs + Booklet)