Michael Colborne, Rechtsextremismus-Experte, im Gespräch über die Rolle der extremen Rechten in der Ukraine

»Fruchtbarer Boden für Rechtsextremisten«

Die Brigade Asow ist die vielleicht bekannteste Einheit der ukrainischen Armee. Doch was hat sie noch für Verbindungen zur extremen Rechten und welche Rolle spielt diese in der ukrainischen Gesellschaft? Ein Gespräch mit Michael Colborne über die ukrainischen Rechtsextremisten im Krieg.
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Bevor man über Rechtsextreme in der Ukraine spricht, ist es vielleicht notwendig, über die »Denazifizierung« zu reden – laut Wladimir Putin eines der zentralen Ziele des Kriegs gegen die Ukraine. Spielt das immer noch eine so wichtige Rolle in der Rhetorik der russischen Regierung?
Nein, schon seit über einem Jahr nicht mehr. Nach dem Scheitern der Eroberung Kiews hat die Verwendung des Begriffs »Denazifizierung« stark nachgelassen. Es war natürlich immer absurd: Man fällt nicht in ein anders Land ein, um es zu denazifizieren, wenn man in der eigenen Armee Neonazi-Einheiten wie die Gruppe Rusitsch hat. Putins Regime hat dieses Schlagwort, wie es das mit vielen Slogans macht, sehr zynisch verwendet, und als es seine Wirkung im In- und Ausland verlor, hat man es mehr oder wenig fallengelassen.

Wenn man einige Diskussionen in Westeuropa verfolgt, kann man einen anderen Eindruck bekommen.
Ja, viele lassen sich immer noch von diesen Behauptungen beeindrucken. Ich erinnere mich genau an einen Moment, der zeigte, wie leer die »Denazifizier­ungs«-Rhetorik eigentlich ist: Im September vergangenen Jahres tauschte Russland über 100 teilweise führende Angehörige des Regiments Asow, das in Mariupol eingekesselt worden war, gegen 55 Personen in ukrainischer Gefangenschaft aus – darunter als wichtigste Person der prorussische ukrainische Oligarch Wiktor Medwedtschuk. Das zeigte, was Putin wirklich wichtig ist: seinen Oligarchenkumpel Medwed­tschuk zu befreien, der wohl als Herrscher der besetzten Ukraine ausersehen gewesen war – nicht den Asow-«Nazis« den Prozess zu machen.

»Die Ukraine, die Russland überfallen hat, war eine Demokratie, wenn auch mit genug Fehlern behaftet, um ganze Bücher zu füllen, worüber Ihnen jeder Ukrainer auch ausführlich erzählen kann.«

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