Die Geburtenrate sinkt ungeachtet politischer Gegenmaß­nahmen

Kostenfaktor Kind

Weltweit nimmt die Geburtenrate ab und das überwiegend unbeeinflusst von der jeweiligen Familienpolitik der Länder. Frauen fürchten oftmals einen Verlust von Unabhängigkeit und die Doppelbelastung durch die Mutterschaft.

War es jahrzehntelang gesellschaftlicher Konsens – vom Club of Rome bis zu den Klimaaktivist:innen – vor der Überbevölkerung der Erde zu warnen, so wird inzwischen vermehrt die Schrumpfung der Bevölkerung zur Katastrophe erklärt. Elon Musk beispielsweise behauptete, dass es sich hierbei um ein größeres Problem handle als bei der Erderwärmung.

Er steht damit nicht al­leine: Demographen wie Stephen J. Shaw (»Birthgap«, 2023) oder Phillip Longman (»The Empty Cradle«, 2004) warnen eindringlich vor einer Überalterung der Gesellschaft, verödeten Landstrichen, fehlenden Arbeitskräften und Konsumenten und damit vor wirtschaftlichen Einbrüchen. Mittlerweile wird eine Schrumpfung nicht mehr nur für die reichen Industrieländer vorhergesagt, sondern für alle Länder außer denen der Subsahara.

Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung zwar noch einige Jahrzehnte lang wachsen, aber ein Ende der Steigerung ist wohl deutlich eher abzusehen, als bisher gedacht. Im November 2022 überschritt nach Schätzung der Vereinten Nationen (UN) die Zahl der Menschen, die auf der Erde leben, acht Milliarden.

Mit dem Verbot von Kinderarbeit wurde der Nachwuchs Ende des 19. Jahrhunderts für die Familien zu einem Kostenfaktor.

Die UN gehen zwar noch davon aus, dass im Jahr 2100 knapp elf Milliarden Menschen auf der Erde leben werden und das Wachstum erst dann zum Erliegen kommt, aber eine Studie aus dem Fachblatt Lancet zufolge schätzt, dass der Höchststand schon 2067 erreicht werden und auch nur bei 9,7 Milliarden Menschen liegen wird. Danach werde die Bevölkerung voraussichtlich schrumpfen, und zwar weltweit. Natürlich ist das erst mal nur Statistik und ein unerwarteter Babyboom in näherer oder ferner Zukunft ist auch nicht völlig unmöglich– aber alle bisherigen Zahlen und Studien sprechen dagegen, mögen sie den Scheitelpunkt auch mal früher, mal später ansetzen.

Die Fertilitätsrate, die angibt, wie viele Kinder Frauen im Durchschnitt bekommen, sinkt jedenfalls kontinuierlich. Hatte noch in den sechziger Jahren eine Frau im Durchschnitt fünf Kinder bekommen, so waren es 2021 nur noch 2,2, mit sinkender Tendenz. Um die Menschenanzahl stabil zu halten, müsste im Durchschnitt jede Frau 2,1 Kinder auf die Welt bringen. In China, Japan, Europa und Nordamerika liegt man bereits deutlich unter diesem Wert. Aber auch in Ländern des sogenannten Globalen Südens entwickeln sich die Kennzahlen ähnlich. In Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde, liegt der Wert bei 2, in Bangladesh bei 1,9 und im Iran bei 1,7. Nur in Ländern der subsaharischen Region ist die Fertilitätsrate weiterhin hoch. Hier liegt sie noch bei 4,7, allerdings auch hier mit abnehmender Tendenz.

Vermehrte Unfruchtbarkeit?

Die Angst vor sinkenden Geburtenraten ist nicht neu, gerade in Deutschland. Seit Anfang der siebziger Jahre oszilliert die Fertilitätsrate um 1,4. Ab 2015 gab es zwar einen kleinen Anstieg auf 1,5 Kinder im Durchschnitt pro Frau – die jedoch 2023 wieder auf die vorher übliche Rate von 1,36 Kinder pro Frau gefallen ist.

Der in allen Industrienationen und Schwellenländern eingetretene Rückgang der Geburtenrate vollzieht sich beinahe unabhängig von den politischen Maßnahmen dieser Länder. Ob nun hohe monetäre Zuwendungen für den Nachwuchs erfolgen wie in Südkorea oder Polen oder ein gut ausgebautes, kostenloses Kinderbetreuungssystem vorhanden ist oder es eine bezahlte Elternzeit gibt wie in einigen europäischen Ländern, spielt nur eine geringe Rolle.

In Europa hatten lange Zeit Staaten wie Schweden oder Frankreich, die die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern erleichterten, die höchsten Geburtsraten, doch auch dort sind sie nun stark rückläufig. Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wollte aus lauter Verzweiflung über die geringe Gebärlust der Französinnen die Fruchtbarkeit aller 25jährigen – mit einer kostenlosen gynäkologischen Untersuchung beziehungsweise einem Spermiogramm – prüfen lassen. Er machte vor allem vermehrte Unfruchtbarkeit für die rückläufige Geburtsrate in seinem Land verantwortlich. Doch auch wenn das tatsächlich weltweit ein wachsendes Problem ist – eines von sechs Paaren gibt an, sich den Kinderwunsch nicht erfüllen zu können –, übersieht Macron, dass viele Frauen sich bewusst gegen Kinder entscheiden oder nicht mehr als eines wollen.

Inflation und Mangel an erschwinglichem Wohnraum

Keine Kinder zu bekommen, wird vielfach als Befreiung von gesellschaftlichem Druck auf Frauen gefeiert, sich für Mutterschaft zu entscheiden. 2019 rief die Autorin Amy Blackstone dies mit ihrem Buchtitel zu einer weltweiten Bewegung aus: »Childfree by Choice. The Movement Redefining Family and Creating a New Age of Independence«. 2019 entstand in Südkorea die sogenannte 4B-Bewegung, deren Anhängerinnen noch weiter gehen und in der patriarchalen Gesellschaft alle sexuellen und romantischen Beziehungen zu Männern verweigern.

Doch nicht nur aus feministischen Motiven wird die Kinderlosigkeit gewählt. Vielfach spielen auch materielle Gründe eine Rolle dabei. US-Amerikanerinnen benennen oft die horrenden Kosten für die Kleinkindbetreuung, die zumindest in den Großstädten oftmals ein mittleres Einkommen verschlingen, als Hindernis für die Familiengründung. In den Industrieländern allgemein werden die Inflation und der Mangel an erschwinglichem Wohnraum angeführt. Kinder zu bekommen, erscheint vielen immer mehr als Luxus.

Doch schon mit der Entwicklung von Industrienationen Ende des 19. Jahrhunderts begannen Kinder, zu einer ökonomischen Belastung zu werden. In agrarisch geprägten Gesellschaften waren sie als Arbeitskräfte willkommen und zur Absicherung im Alter nützlich; auch noch zu Zeiten der Frühindustria­lisierung erzielten Kinder Einkommen in der Heimarbeit oder in der Fabrik. Doch die Anforderungen an die Arbeitskräfte stiegen allmählich, weswegen statt Kinderarbeit bald eine elementare Bildung auch des Proletariats gefordert war. Mit dem Verbot von Kinderarbeit wurde Nachwuchs für die Familien zu einem Kostenfaktor. Seither erscheinen Kinder nur in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten als Glücksversprechen. Da zudem Schwangerschaftsverhütung immer leichter zugänglich wurde, entscheiden sich Menschen seither noch gezielter für Kinder – oder eben gegen sie.

Modell vom Mann als Ernährer und der Frau als Hausfrau

Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich in den westlichen Ländern und Teilen Asiens das Modell vom Mann als Ernährer und der Frau als Hausfrau durch. So konnte sich der Vater einreden, dass seine entfremdete Arbeit sinnvoll sei, weil er durch sie Frau und Kind versorgen konnte. In dieser Familienkonstellation war es ihm möglich, Macht auszuüben, wenn er sich schon bei der Arbeit unterordnen musste. Mütter konnten sich dadurch missliebiger und oft schlecht bezahlter Lohnarbeit entledigen, wenn dies für sie auch Abhängigkeit, Isolation und unbezahlte Arbeit bedeutete.

Dieses Modell beruhte darauf, dass der Wert der Ware Arbeitskraft des Mannes oft so hoch war, dass er davon seine Frau, die Kinder, deren Ausbildung finanzieren, sowie diverse als notwendig erachtete Konsumgüter angeschafft werden konnten. Viele Akademikerinnen verweigerten sich aber schon seit Beginn der siebziger Jahre dieser Rolle. In Deutschland blieben beinahe 30 Prozent von ihnen ohne Kinder, denn Kinder und Beruf waren gerade hier schwer vereinbar.

Mittlerweile sind die Arbeitseinkommen gemessen an den Lebenshaltungskosten so stark gesunken, dass es selbst für zwei arbeitende Eltern mit mittleren Einkünften immer schwerer wird, die familiären Ausgaben zu stemmen. Ohne finanzielle Stabilität werden immer weniger Kinder gezeugt. Viele sind außerdem schon durch die Anforderungen, die an sie als Arbeitskraft gestellt werden, so belastet, dass sie die durch Kinder zusätzlich anfallende Care-Arbeit kaum leisten können.

Entwicklung trifft Frauen besonders

Hinzu kommt, dass auch die Ansprüche an die Eltern gewachsen sind. Während Kinder früher vielfach sozusagen nebenher liefen und spätestens nach den Hausaufgaben zum Spielen auf die Straße geschickt wurden, wird es für die Eltern heutzutage zur Herausforderung, den kindlichen Alltag zu organisieren. Von gesunder Ernährung bis zur Planung des play dates und der kindlichen Freizeitaktivitäten ist das elterliche Engagement gefragt. Eine Studie von 2017 von Giulia Maria Dotti Sani und Judith Treas ergab, dass Eltern heutzutage doppelt so viel Zeit mit ihren Kindern verbringen wie noch in den sechziger Jahren. Die Zeit, die Väter mit ihren Kindern verbringen, hat sich sogar fast vervierfacht: von 16 Minuten täglich auf 59.

Dennoch trifft diese Entwicklung Frauen besonders, denn Mütter tragen meist immer noch die Hauptverantwortung für das Wohlergehen und die Entwicklung der Kinder. Eigener Freiraum wird Müttern oft kaum zugestanden und wenige würden ihn sich nehmen, selbst wenn sie könnten, da dies bei ihnen Schuldgefühle hervorruft. Dass in erster Linie sie für die Entwicklung ihrer Kinder zuständig sind, haben viele Mütter verinnerlicht. So haben sie kaum Möglichkeiten, sich zu regenerieren, sind dauererschöpft oder depressiv.

Die fallende Geburtenrate ist mittlerweile Ausdruck der ökonomischen und psychischen Belastungen, denen viele Menschen ausgesetzt sind.

Kein Wunder, dass immer weniger Frauen diese Rolle übernehmen wollen, denn ihnen wird noch das geringe Maß an Freiheit, die ihnen das Kapital lässt – über die Art und Weise, wie sie ihre Arbeitskraft reproduzieren wollen, frei entscheiden zu können – streitig gemacht. So ist es naheliegend, dass Frauen gerade die Angst vor dem Verlust von Freiheit am häufigsten als Grund angeben, keine Kinder zu wollen.

Die fallende Geburtenrate ist mittlerweile Ausdruck der ökonomischen und psychischen Belastungen, denen viele Menschen ausgesetzt sind. Sie zeigt aber auch, dass nicht wenige sich zumindest individuell gegen den Zwang wehren, allen an sie gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. Dass die Bevölkerung in vielen Ländern schrumpft und in einigen Jahrzehnten wohl auch weltweit schrumpfen wird, ist jedoch genauso wenig eine Katastrophe wie das vormals als eine solche ausgemachte Bevölkerungswachstum.