Dinge, die im neuen Jahr abgeschafft werden sollten 

Kalter Scheiß

Christian Y. Schmidt, Heiko Werning, Regina Stötzel, Coco Kleinohr und andere erklären und begründen, was im neuen Jahr alles ­abgeschafft werden kann.

Das kann weg

Katrin Göring-Eckardt: Wegen Göring. Oder doch eher wegen Eckardt? Wegen Katrin aber auf jeden Fall.

Matthias Matussek: Gegen das ständige Rabimmel, Rabammel, Rabumm im Kopf helfen plötzlich keine Pillen mehr. Der Mann streicht endgültig die publizistischen Segel.

Jürgen Elsässer: Muss leider dringend zurück ins Elsass und ist gezwungen, dort zu bleiben. Anderer Kulturkreis eben.

Ai Weiwei: Kriegt endlich seinen Pass wieder und zieht in den Prenzlauer Berg (Dachetage, Hufelandstraße, Badewanne aus der Tang-Dynastie). Der Kunstmarkt reagiert mit Preisstürzen und abruptem Desinteresse.

Ralf Fücks: Gerät bei den Grünen in die innerparteiliche Schusslinie und zieht sich in einen gemütlichen Schützengraben bei Donezk zurück.

Glutenfreier Quatsch: Ein alternativ lebender Hausmann in Kreuzberg findet beim wöchentlichen Hausputz seinen Verstand wieder und steckt damit andere im Kiez an. Folge: Dramatische Umsatzeinbußen in Bio-Supermärkten.

Ulf Poschardt: Muss in die Werkstatt. Die Intellektuellensimulationsmaschine ist ausgefallen, außerdem ist irgendwas am Verteilerfinger. Der Mann wird dann irrtümlich tiefer gelegt. Schade um die schöne Frisur.

Zwei Kilo meines Bauchfetts: Ist überflüssig und wird an Matussek (siehe oben) gespendet. Der bastelt sich daraus einen sehr, sehr kleinen Homosexuellen, vor dem er jeden Tag Angst haben kann. Matu: »Die natürlichste Sache der Welt.«

Arsenij Jazenjuk: Kuckt sich einmal selbst im Spiegel an, und … nein, diese Geschichte ist wirklich zu traurig zum Erzählen. Irgendein extrem vom Aussterben bedrohtes Scheißtier, zum Beispiel das (oder der oder die?)

Addax: Das Leder der letzten 20 Exemplare wird irrtümlich zu Turnschuhen verarbeitet (Adidax). Ist aber auch egal.

FAZ-Redakteur Konrad Schuller: Versucht die Heftchenreihe »Der Landser« wiederzubeleben, rutscht dabei aber auf einer Orangenschale so richtig fett aus. Schade, so soldatisch konnten wenige.

Joachim Gauck: Verliert bei einer Grundsatzrede (Thema: »Ich und die Welt«) ein paar Schrauben und Bolzen und kann danach nicht mehr zusammengelötet werden. Letzte Worte: »Ich, ich, ich …«

Timothy Snyder: Der Extrem-Historiker und Komponist (»Bandera Rossa«) quittiert überraschend seinen Job (»Mir ging auf der Langstrecke öfter die Luft aus«) und wird Fantasy-Autor für Kinder (»Kinder lieben Snyder-Bücher«*).

Great Firewall of China: Löst sich aufgrund trilliardenfacher Flüche von Usern innerhalb Chinas einfach in nichts auf. Anschließend stellt eine hochrangige Regierungskommission fest: Das ganze Ding war sowieso dumm, überflüssig, unnötig, kontraproduktiv und lästig.

Sex: Wird aus demselben Grund abgeschafft und kommt einfach nicht wieder. Nichts ist mehr mit Feierabendvögelei, um irgendwie die Zeit totzuschlagen. Man(n) strickt jetzt lieber wieder: Pullover aus abrasierten Vollbärten oder Schals.

Christian Y. Schmidt

* Achtung: Anspielung nur ab 50+ zu verstehen.

 

Schlechte Vorsätze

Was im neuen Jahr oder darüber hinaus und besser: ab 2015 nicht noch einmal passieren sollte, ist a) dass die ehemals aus guten Gründen Rockband genannte Musikformation Pink Floyd noch weitere Alben produziert, und b) dass Produkte wie und vor allem Mario Barth und Til Schweiger weiterhin mit ihrem brachial-konformistischen Inhumanismus reüssieren. Sicherlich ist es ein frommer Wunsch, dass gleich c) »die Medien« an und für sich so ganz allgemein aufhören könnten (Internet, Telefon, TV und eigentlich auch Sprache – kommt ja eh nichts bei ’rum).

Ein Anfang dazu wäre d): Ab nächstem Jahr oder nächstem Semester keine Referate mehr in meinen Seminaren. Bringt nichts: Niemand lernt was, selbst die Referierenden nicht; die Brenndauer der Beamerlampe wird für belanglose und überdies noch schlecht gestaltete Power­point-Präsentationen unnötig vergeudet.

In dieselbe Wunsch-/Vorsatz-für-2015-Schublade »die Medien abschaffen« gehört e): Auflösung meiner mehrere tausend Filme umfassenden VHS-Kassetten-Sammlung. Praktikable Kulturtechniken sind in Zukunft nur noch solche, die eine Löschtaste haben oder die durch Systemabstürze gelöscht werden können.

So etwas – Löschfunktion – wäre freilich auch eine feine Sache für f) Unternehmen wie Frontex, g) Internet-Shops, h) Kapitalismus überhaupt.

Um ein bisschen Zeit zu gewinnen, möchte ich von den vielen unnützen Dingen, mit denen das Leben heute zugemüllt ist, i) mein Mobiltelefon abschaffen; außerdem auch j) Pläne, die eh nichts werden.

Als Gottesbeweis würde ich gelten lassen, wenn es ab 2015 k) keinen Hunger mehr gäbe und es endlich gelänge, l) Krebs und ähnliche Krankheiten zu heilen.

Blöd, überflüssig und verzichtbar sind übrigens auch m) Nordkorea und n) Leute, die dahinfahren, um Bücher darüber zu schreiben.

o) Letzter, obligater Vorsatz für 2015: Das System aufheben.

Gregor Katzenberg

Der Autor lehrt Meeresgeologie und komparative Ozeanistik auf den Kanaren.

 

Halloween

Das war’s. Die Party ist vorbei. Schluss mit den Kürbissen, ein für allemal. Im Grunde ist es ja ohnehin erstaunlich, dass dieses Fest in Deutschland zwischenzeitlich Fuß fassen konnte. Ein Tag, an dem Kinder einfach so Spaß haben, ganz ohne irgendeinen religiösen Hintergrund. Und dann kommt es noch aus Amerika zu uns rübergeschwappt. Erst haben die Amis unsere schönen deutschen Märsche kaputtgemacht mit ihrer Negermusik, dann haben sie die berühmte deutsche Feinschmecker-Kultur gegen eklige McDonald’s-Filialen getauscht, und jetzt wollen sie unser vollwertig-ökologisches Edelgeflügel mit seinem satinartigen Gefieder durch widerliche Chlorhühnchen ersetzen.

Aber nicht mit uns! Wer in Dresden gegen den Islamismus auf die Straße geht, der kann zur Halloweenisierung des Abendlandes nicht schweigen! Und so schicken die Grünen und die Christen Jahr für Jahr ihre eigenen Zombies ins Rennen, um das Gruselfest mit Stumpf und Kürbisstiel möglichst rasch aus dem hiesigen Brauchtum wieder auszurotten. In den Vorjahren waren es schon die moralischen A-Waffen Margot Käßmann und Katrin Göring-Eckhardt, die den deutschen Kürbisnutzern erschienen wie einst der Teufel Martin Luther.

Aber 2014 haben sie nun zum ultimativen Vernichtungsschlag ausgeholt – und die bayerische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler gegen das heidnische Brauchtum in Stellung gebracht. Im Deutschlandfunk gewann sie die Herzen der Menschen zunächst mit einer schlichten Wahrheit: »Die Kinder werden relativ aufdringlich immer mehr, die Jugendlichen auch.« Stimmt schon. Immer mehr Kinder und Jugendliche, das ist schon arg aufdringlich. Schön, dass das endlich mal einer sagt in einer Zeit, in der ja schon die Bundeswehr meint, als kinderfreundliche Krabbelstube reüssieren zu müssen. Und dann auch noch das: »Man wird quasi wie von Straßenräubern überfallen.« Man ahnt die nackte Angst in ihren Augen, während sie die letzten Abrechnungen von der Kirchensteuer unter ihrem Talar versteckt. Aber dann kommt’s: »Ich lasse mich nur ungern von der Industrie verladen. Es ist ja wirklich ein Superkommerz!« Und Superkommerz mitten in Deutschland, das geht nun wirklich gar nicht.

Aber die Dame überlässt den geldgeilen Kürbisbauern und Bonbon-Züchtern das Feld nicht einfach kampflos: »Hier ist die Kirche gefragt, neue kreative Ideen zu entwickeln und den Kindern vielleicht auch so ein paar Kekse zu schenken. Dieser Tag muss wirklich festlich und fröhlich begangen werden, weil: wir sind ja keine Spaßmuffel.« Auf gar keinen Fall! Um das zu untermauern, tritt sie gleich selbst den Beweis an: »Viele kirchliche Feiertage sind hochattraktiv und haben auch gewonnen in den letzten Jahrzehnten« – nämlich, fragt man sich gespannt? Nämlich »zum Beispiel der Buß- und Bettag«. Allerdings! Eine einzige große Sause, dieser Buß- und Bettag. Die Kinder reden im Grunde ja von nichts anderem mehr.

»Papa, wann ist denn endlich wieder Buß- und Bettag«, quengeln sie unentwegt. Wenn dann auch noch ein paar Kekse von den evangelischen Anti-Spaßmuffeln verteilt werden, wird sich Breit-Keßlers Vision sicherlich rasch erfüllen: »Dann kommen auch wieder mehr Menschen in die Kirchen.« Und Halloween ist am Ende. Schon 2015, da können wir sicher sein, wird kein Mensch und erst recht kein Kind mehr danach fragen. Wir sehen uns dann wieder zum großen Büßen und Beten! Garantiert auch in ihrer Kirche.

Heiko Werning

 

Lügenpresse

Immerfort heißt es, die Deutschen engagierten sich für nichts, seien äußerst träge, was die Beschäftigung mit komplexen Zusammenhängen angeht, sie seien politikverdrossen, desinteressiert auch an kulturellen Gegenständen jeder Art und verbrächten ihre Freizeit nur »spaßorientiert« und hedonistisch. Das stimmt nicht, ist ausnahmslos alles gelogen. Tatsächlich kann man bei etwas genauerem Hinschauen exakt das Gegenteil dessen beobachten, was einer leichtgläubigen Öffentlichkeit von den hiesigen System-, Manipulations- und Propagandamedien jahrein, jahraus rund um die Uhr offenbar erfolgreich eingetrichtert wurde: Bei den öffentlichen Manifestationen, die seit dem vergangenen Jahr von »patriotischen Europäern« in Dresden und anderswo veranstaltet werden, zeigen sich nicht nur ein geradezu leidenschaftliches Interesse und eine lebensfrohe Aufgekratztheit, was die Beschäftigung mit komplexen Zusammenhängen angeht (»Hinter allem steckt das jüdische Kapital. Aber ich kann das noch nicht beweisen«) sowie ein lange schmerzlich vermisstes, lebendiges politisches Interesse (»Ich finde, Deutschland sollte wieder seine alten Reichsgrenzen haben. Alle Asylanten sind illegal hier«). Auch zeigt man sich kulturell überaus aufgeschlossen (»Der Neger kriegt auf die Fresse, wenn er unbedingt will«) und nur sehr bedingt spaßorientiert und hedonistisch (»Ich fick’ dich, du Lügenpressewichser! Komm her!«).

Erkennbar handelt es sich bei den regelmäßig in Dresden und anderen Städten sich Versammelnden um ganz normale deutsche Funktionsjackenträger, Tag und Nacht ehrenamtlich tätige Online-Kommentatoren und mündige Leserbriefschreiber, die ihrer berechtigen Sorge um die Zukunft Ausdruck verleihen (»Bin ich hier richtig gegen die Ausländer?«). Dass sie bei ihrem Treiben auch Parolen brüllen, die dem einen oder anderen zartbesaiteten Empfindsamkeitsbürschchen vielleicht ein bisschen aufstoßen, und ein klein wenig wie eine Rotte mit Crystal-Meth-Glühwein-Cocktails aufgeputschter Hobbyhausmeister auf dem Weg zum Nürnberger Reichsparteitag wirken beziehungsweise wie eine Ku-Klux-Klan-Versammlung, bei der die weißen Kutten und Kapuzen weggelassen wurden, tut hier nichts zur Sache und spielt nicht die geringste Rolle. Das sind bloße Äußerlichkeiten, Randnotizen, Kinkerlitzchen. Demokratische Meinungsbildung in der fortgeschrittenen deutschen Zivilgesellschaft ist ohne ein bisschen Eigeninitiative, Remmidemmi und Pogromstimmung eben nicht zu haben. Auch andere erfolgreiche Bürgerbewegungen wie die SA haben hier früh Maßstäbe gesetzt: freiwilliges, unbezahltes bürgerschaftliches Engagement, Transparenz, Non profit-Orientierung, Politik von unten, klare Kante.

Entscheidend ist: Die Herrschenden, der Ami und der Moslemneger müssen endlich begreifen, dass auch dem Bürger ein Mitspracherecht zusteht, dass Demokratie keine Einbahnstraße ist und dass der Ausländer sich pausenlos vermehrt, praktisch bereits überall ist und sich frech in allen Ecken und Ritzen Deutschlands eingenistet hat wie der Hausschwamm im Altbau. Nur: Um den Despoten (Merkel, Mullahs, Rothschild, Honecker) die Wahrheit endgültig einzubimsen, braucht es wahrhaft freie Medien (Compact, Apotheken-Rundschau, www.haselnussbraun.de).

Was also dieses Jahr bedenkenlos abgeschafft werden kann bzw. sogar muss: Der Spiegel, Bunte, Gala, FAZ, Jungle World, Der Schlesier, Praline und die ganzen anderen »linksversifften« (A. Pirinçci, Ideologiekritiker) Lügenpresseorgane.

Thomas Blum

 

Im Westen nix Neues

Vom Westen will ich im neuen Jahr nichts mehr lesen. Der Westen tut dies, der Westen denkt das. »Der Westen sollte mit dem Nachdenken beginnen« (Stern), »Wenn der Westen anfangen würde, die Sanktionen zurückzunehmen, dann würde auch Putin entgegenkommender sein« (Gregor Gysi), »Der Westen sollte die Chance nutzen, die Lage zu stabilisieren« (Welt), »Der Westen muss der Propaganda des Todes der Islamisten etwas entgegensetzen« (FAZ), »Der Westen kann die Probleme des Nahen Ostens nicht lösen« (Deutschlandradio), »Erdogan hetzt gegen den Westen« (Taz), »Verwestlichung macht Chinesen dick« (Welt), »Die westliche Welt schaut betreten zu« (Spiegel).

Wer ist dieser Westen? Wo wohnt der? Vermutlich im Westen, würde man denken, doch schon das ist nicht gesagt. Von Botswana oder auch von hier aus betrachtet, liegt Australien im Osten und im Süden. Israel liegt angeblich sowohl im Westen also auch im Nahen Osten. Westlich von Australien ist erst mal Madagaskar, Afrika und irgendwann dann Chile. Nach Kuba? Go West! Auf chinesischen Weltkarten liegen die USA im Osten. Achtung: Die Erde ist rund, das hat sich scheinbar noch nicht überall herumgesprochen.

Wenn mit dem Westen gar keine geographische Ortsangabe gemeint ist, dann muss es etwas anderes sein. »Die Gesellschaftssysteme der westlichen Welt beruhen auf dem Wirtschaftssystem der kapitalistischen Marktwirtschaft und sind historisch vom Christentum geprägt«, heißt es bei Wikipedia. Kapitalistisch und christlich sind Russland und die Philippinen auch, und die Mehrheit der Länder Afrikas ebenso. Vielleicht geht es auch nur um Werte? »Westliche Werte« sind nach Wikipedia Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Individualismus, Toleranz und Demokratie. Lauter weit auslegbare Begriffe. Ob’s davon in Japan weniger gibt als in Belgien? In Südkorea, in Südafrika, Thailand, Jamaika und auf Tuvalu ist man sicher auch der Meinung, diese Werte zu vertreten.

Es gibt auch historische Herleitungen des Westens. Wegen der territorialen Ausbreitung der Europäer nach Amerika würde man vor allem von Nordamerika und Europa als »westliche Welt« sprechen, heißt es. Aber man kann es genauso gut anders sehen. Kamen die Eroberer Amerikas nicht von dort aus gesehen aus dem Osten? Ist das nicht alles eine verdammt östliche Welt? Eine andere Erklärung sieht die Teilung des Römischen Reichs 395 in ein Ost- und ein Westreich als Ursprung von der Vorstellung einer westlichen Welt. Seitdem sind nun jedoch einige Jahre vergangen und nicht alles, was auf dem Gebiet des Weströmischen Reiches seit damals geschehen ist, lässt sich mit Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, Individualismus, Toleranz und Demokratie beschreiben.

Können wir nicht vom Westen schweigen? Wenigstens versuchshalber mal ein Jahr lang. 2015, das Jahr ohne Westen? Ich wette, wir finden neue Begriffe, die genauer beschreiben, was jeweils gemeint ist. Oder wir schreiben »Westen*«, mit Sternchen. Dann dürfen sich auch Brasilien und Indien mitgemeint fühlen, wenn es zum Beispiel um die Bekämpfung des »Islamischen Staats« oder um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge geht. Oder sogar Russland. Von Vancouver aus ist das auch der Westen.

Ivo Bozic

 

Keine Hoffnung

Bekanntlich wird alles immer schlechter, das aber auf stetig steigendem Niveau. Im Jahr 2015 können wir – jedenfalls ebenso gut wie in jedem anderen Jahr – endlich das runde Jubiläum feiern: 10 000 Jahre Niedergang der Zivilisation! Denn seit der neolithischen Revolution geht es eigentlich konstant bergab, nur die medizinische Versorgung ist zugegebenermaßen ein bisschen besser geworden. Seit völlig überraschend, entgegen glaubwürdigen Versicherungen führender Kalenderhersteller des Maya-Reichs, auch 2012 die Welt nicht untergegangen ist, besteht nicht einmal mehr Hoffnung auf die Apokalypse.

2015 ist deshalb das Jahr, in dem man definitiv sagen kann: Jetzt ist es aber auch wirklich endgültig und für alles zu spät. Die Gletscher der Antarktis rutschen im Eiltempo ins Meer, überhaupt ist ein katastrophaler Klimawandel inzwischen schon rein physikalisch nicht mehr zu verhindern. Der finale Kollaps des globalen Finanzsystems ist nur mehr eine Frage der Zeit. Wer vor ein paar Jahren naiv genug war, Hoffnungen mit »Occupy« oder dem »arabischen Frühling« zu verbinden, ist längst eines Besseren belehrt. Und für jeden unangenehmen, Blödheit zu klebrigem Sprachschaum verarbeitenden Feuilletonintellektuellen, für jede verabscheuungswürdige ehemalige Regierungschefin, für jeden miserablen, einen Popanz mit der eigenen Gedanken- und Einfallslosigkeit aufblasenden, den mexikanischen Drogenkrieg finanzierenden Gegenwartskünstler, der oder die endlich, zahllose qualvolle Jahrzehnte zu spät, ins Jenseits berufen wird, wachsen drei neue, noch blödere, noch penetrantere, noch selbstgerechtere, noch teiggesichtigere nach, deren Lebenserwartung dank verbesserter medizinischer Versorgung die der jüngst verstorbenen weit übertrifft.

Vielleicht ist 2015 das Jahr der inneren Reinigung. Nicht nur, weil die äußere Reinigung, etwa der Wohnung, längst als Exerzitium der Vergeblichkeit jeglichen menschlichen Strebens durchschaut sein sollte (wird ja sowieso alles so schnell wieder schmutzig). Sondern auch deshalb, weil innere Reinigung das ist, was man halt mal so fordert, wenn einem sonst nichts mehr einfällt. Und dass jemand, dem heute sonst noch etwas einfällt, nicht ganz richtig im Kopf sein kann, liegt ja auf der Hand.

Doch wovon sich reinigen? Was kann heute Läuterung verheißen? Eine Sterilisation ist ein guter Anfang – aber dann? Wer hat denn überhaupt noch ein Innenleben, das sich reinigen ließe? Ja, ist es nicht die seit der Reformation unaufhaltsam voranschreitende, in irrationalistischen spirituellen Moden ebenso wie in der neoliberalen Selbstoptimierung immer weiter sich steigernde innere Reinigung, die das Subjekt längst entkernt und nur eine leere Hülle zurückgelassen hat?

Was man im neuen Jahr ganz sicher fahren lassen sollte, ist jegliche Hoffnung. Was Nietzsche vor mehr als 100 Jahren über den Glauben an Gott gesagt hat, gilt längst auch für den Glauben an die Menschheit: Man kann ihn nur noch um den Preis der eigenen intellektuellen Redlichkeit hegen.

Nichts erhoffen sollte man sich außerdem vom neuen Star-Wars-Film.

Oliver Schott

 

Ohrwürmer

Das größte Verbrechen des Ohrwurms ist, dass er in keinem Zusammenhang zur Qualität des Songs steht, der ihn verursacht. Schlechte Melodien setzen sich ebenso fest wie gute. Der Wurm ist unberechenbar, und das stört selbst dann, wenn es nicht stört. Mein aktueller ist das Thema von »Postman Pat«. Es ist unmöglich, etwas gegen Pat zu haben, und doch merke ich nach ein paar Tagen, dass es geht. Ich hatte auch einmal zwei Wochen lang ein Livesolo von Mark Knopfler im Ohr, und obgleich Knopfler neben Mozart und Prokofjew der größte Komponist der Weltgeschichte ist, war ich für eine Weile bis zum Rand gefüllt mit Knopflerhass.

Die Wirkung des Ohrwurms ist in der Tat der Hass auf den Urheber der Melodie. Es wäre ja sehr gegen die Anschaulichkeit, eine Folge von Tönen, die zudem nicht darum gebeten hat, in die Welt gesetzt zu werden, in der Vorstellung zu teeren, zu federn und zu vierteilen. Mit Sängern oder Komponisten geht das schon eher. Sie hatten ja die Wahl, ihre Darbietung oder Komposition zu unterlassen. Ist der Urheber zudem einer, den man ohnehin nicht ausstehen kann, fällt der Hass leichter. Es kommt aber etwas Verstörendes hinzu. Musik hat die Eigenschaft, dass sie einen auch dann anspricht, wenn sie nicht gefällt. Sie wirkt auf einer Ebene, auf die das Bewusstsein keinen Zugriff hat. Und wenn ein Interpret, der ein Unhold ist, sich auf diese Art in uns einschleicht, werden wir unwirsch. Eine andere Möglichkeit ist, dass eine wirkmächtige Melodie mit einem peinlichen Text verbunden ist. Einen, den man beim besten Willen nicht ertragen kann. Und oft kommt das alles zusammen. Wenn zum Beispiel das ekelhafte Lederriemengesülz der sogenannten Band Unheilig mit ihrer Sehnsucht nach einer auf Sentimentalität sich gründenden Gemeinschaft vermöge einer Melodie im Ohr des unbeteiligten Beobachters Halt findet, nimmt dieser Beobachter ja nicht bloß übel, dass er immer wieder dieselbe Melodie in sich klingen hört, sondern ihn nervt überdies, dass er auf diese Art mit einem ihm aus guten Gründen widerwärtigen Gehalt in Berührung kommt. Im Sommer wurde es unmöglich, dem Song »Auf uns« zu entgehen. Einer namens Andreas Bourani hatte ihn gedichtet, und die ARD ihn zum Leitmotiv ihrer WM-Sendungen gemacht. »Auf uns« könnte besser, weil kürzer, mit den Worten »Toll! Toll! BRD!« zusammengefasst werden, und es fehlt wirklich kein Klischee zeitgenössisch-deutscher Befindlichkeit. Von der schweren Vergangenheit über die Gemeinschaft, in der jeder für jeden durchs Feuer geht, bis zum Glück der Gegenwart (das bei Fukuyama noch »Ende der Geschichte« hieß). Wer Fußball sehen wollte, hatte irgendwann diesen Dreck im Ohr, und ich bemerkte, wie ich über das schickliche Maß hinaus ungehalten wurde.

Vielleicht ist das ja schon das ganze Geheimnis jenes beißenden Spotts, der gewissen Künstlern, die eigentlich bloß harmlose Idioten sind, immer und immer wieder zuteil wird. Man nimmt ihnen übel, dass sie, die man längst durchschaut und als inferior abgehakt hat, einen vermittels ihrer mal besseren, meist schlechteren Melodien doch irgendwie kriegen. Der ewig säuselnde Barde Naidoo war schon lange, bevor er sich als neurechter Kotzbrocken zu erkennen gab, ein Hassobjekt der gehobenen Gesellschaft. Wir alle haben wohl irgendwann erlebt, dass einer dieser frömmelnden Erweckungssongs in uns was zum Klingen brachte. Das ist ein hinreichender Grund, nicht zu verzeihen.

Felix Bartels

 

Elektroschrott

»Je mehr sie das aus der Gesellschaft und auch aus der Mitteilung Ausgeschlossene artikuliert, desto weniger ist die Literatur mit irgendeiner denkbaren direkten Öffentlichkeit noch vereinbar, wie es das bürgerliche Publikum in Theatern, in Vortrags- oder Konzertsälen war«, schreibt Elisabeth Lenk in ihrer Studie »Die unbewusste Gesellschaft«. Während die in der Gesellschaft verstummten oder nur als politisch, kulturindustriell und kommunikativ verbrämte Parodie fortlebenden mimetischen Impulse, Schmerz und Trauer, Ausdruck von Glück und momenthafter Erfüllung, Traum und Sehnsucht, sich in die poetische Sprache zurückziehen, verliert die Öffentlichkeit ihren vermittelnden, von Diskussion und Streit bestimmten Charakter und wird zur Kampfarena der als mündig losgelassenen Regredierten. Auf diese nachbürgerliche Konstellation antwortet Lenk weder durch Fetischisierung der bürgerlichen Kunstinstitutionen noch durch lustige Bejahung des falschen Fortschritts, sondern mit einem Plädoyer für das stille, konzentrierte, strikt private, ja intime Lesen: »Dank der Erfindung der Schrift können wir mit den Augen Stimmen hören, Stimmen der Lebenden und der Toten. Die äußerste Entfremdung ist zugleich eine Chance, die Chance, zu schreiben und in der Intimität des Lesens zu hören, was niemand zu sagen wagte.«

Dass heute in der U-Bahn, im Park oder im Café – an Orten, die einmal eine Schule des aufmerksam-distanzierten Blicks waren, weil sie verlangten, aufeinander zu achten und doch die Anonymität aller zu wahren, sich anzusehen und doch aneinander vorbeizuschauen – statt Zeitung oder Bücher lesender, sinnierender, mit dem Blick flanierender Einzelner fast nur noch lebende Tote anzutreffen sind, die sich stier und doch behende jeder für sich an irgendwelchen unklar mit ihren Körpern verdrahten Tablets zu schaffen machen, ist das Epitaph auf Lenks Hoffnung. Am erschütterndsten sehen die E-Book-Leser aus, die jeden Somnambulen, Hypnotisierten oder Meditierenden an mimischem Ausdrucksvermögen unterbieten. Erinnerungs- und hoffnungsfrei, mental irgendwo zwischen Koma und Hirntod, glotzen sie geduldig-idiotisch auf ihr Gerät, das ihnen die Leere und Erfahrungslosigkeit ihres Blicks aschfahl zurückspiegelt, ohne dass zwischen ihrem Blick und dem Angeblickten, das nie zum Erblickten wird, etwas geschieht.

Mit solchem Blick liest man Gebrauchsanweisungen, Fernsehzeitungen, amtliche Erlasse oder Nele Neuhaus, von der es tatsächlich E-Books gibt. Die Menschen in den Cafés und den Bahnen aber lesen auf diese Weise auch Literatur. Als es nur Bücher gab, ließen sich am Mienenspiel des Lesenden die flüchtigsten Eindrücke bemerken: der Umschlag von Unverständnis in Einsicht, lachende oder traurige Erkenntnis, weltentrückende Spannung oder Empathie, liebende Zugewandtheit oder namenloser Schrecken, wie sie derselbe Leser vielleicht nie einem anderen von Angesicht zu Angesicht offenbart hat. Das E-Book aber ist, darin den übrigen Gimmicks verwandt, an denen die Leute vom Aufstehen bis zum Einschlafen herumfingern, während ihre Hände keine Hand mehr halten können, die adäquate Kulturtechnik für Menschen, denen der Blick aus dem Gesicht gesaugt wurde wie der Geist aus dem Leib. Seither gibt es nur noch Körper, die an Dingen wischen, drücken, fummeln und tatschen, während die Dinge stoßweise blinken, fiepsen, piepsen und summen. Je kleinteiliger, feiner und komplexer die Technik wird, desto unerbittlicher, roher und simpler werden die Berührungen, die die Menschen für die Dinge übrig haben. Das E-Book sanktioniert die universale Verblödung des Blicks, die sinnlicher Ausdruck dessen ist, was aus ihrem Geist wurde.

Das intime Lesen, in das Lenk die Hoffnung setzte, wird vom Starren der E-Book-Leser, Treppenwitz auf die ästhetische Kontemplation, ebenso ad absurdum geführt wie die bürgerliche Öffentlichkeit von den sozialen Netzwerken. Da man aber nichts als ein Buch und ein eigenes Zimmer, im öffentlichen Raum sogar nur einen eigenen Tisch oder eine leere Bank dafür braucht, ist es immer noch möglich. Sich von einem Buch zu trennen, setzt Erwägung und Erinnerungsvermögen, Erfahrungsfähigkeit und Reflexion voraus. Jeder, dem die eigene Wohnung mehr ist als eine Abstellkammer für die eigene Person, merkt das bei jedem Umzug.

Sich von einem E-Book (oder einem Tablet oder einem iPhone oder einem Smartphone) zu trennen, ist ein Vorgang, der das Wort Trennung nicht verdient: Anders als Bücher sind es nichts als Ersatzteile, dem Menschen weder fremd noch ähnlich, weil sie sich als Fremdes oder Ähnliches gar nicht erfahren lassen. Wer sie in die Tonne haut, nimmt niemandem etwas weg. Am besten, man fängt schon heute damit an.

Magnus Klaue

 

Bimmelimm

Immer sind sie schon da. Egal, wo man seinen Fuß hinsetzt, grinsen sie einem schon dreist entgegen. Sie schieben sich über die Fußwege in mittelalterlich anmutenden Altstädten, quetschen sich durch jede lebhafte Großstadt und jedes Seebad, verunstalten sogar weitläufige Strände; in Frankreich, Deutschland, Polen, wo auch immer. »Bimmelimm« ist das letzte, was der arglose Tourist hört, bevor er überrollt wird, weil er seinen Blick an einem schönen Ort umherschweifen ließ, ohne zu ahnen, dass er dem herannahenden Grauen im Weg stand.

Bimmelbähnchen. Auf Dampfeisenbahn getrimmte Straßenverkehrsfahrzeuge, die aussehen, als seien sie aus einem Kinderkarussell ausgebrochen und würden zur Strafe bis zum Rand mit Erwachsenen vollgestopft. Bei noch schlimmeren Vergehen sogar mit kompletten Kegelclubs. Unvermittelt starren sie einen an mit einer grellen Fratze aus Schweinwerferaugen, Kühlerhaubennase und Stoßstangenmund, der kleine Pseudoschornstein, keck in die Luft gereckt, triggert überwunden geglaubte Kinderzimmertraumata. So heftig man sich auch wehrt, schon ist es im Ohr: »Törööö«. Die unmittelbar eintretende Verstörung bewirkt, dass man nie darauf achtet, ob die Bimmelbähnchen von menschlicher Hand gelenkt werden oder ob es sich um ferngesteuerten Frohsinn handelt. Auf ihren immergleichen Bahnen walzen sie alles unerbittlich nieder, in immergleicher Geschwindigkeit, die zu lahm ist für die Straße, aber viel zu schnell für Fußwege. Gebremst wird nur an Haltestellen. Was zum legitimen Zwecke der Kinderruhigstellung in Freizeitparks erfunden wurde, zählt heutzutage zur Königsklasse des Freizeithorrors: »Spaß für die ganze Familie«. Schon die Kleinsten bekommen im Bimmelbähnchen eingetrichtert, was in dieser Gesellschaft Vergnügen bedeutet: eingepfercht sein zwischen Oma und Opa oder anderen Kontrollinstanzen in eine Zwangsgemeinschaft von Schmalspurtrotteln, deren bevorzugte Haltung die gebückte ist, berieselt von monotonen Reiseführersatzbausteinen: »Zur Rechten sehen Sie … «

Wer so die Welt kennenlernt, wird den Unterschied zwischen Aquarium und Ozean so wenig verstehen wie den zwischen Freizeit und Freiheit.

Während sich die Filialen von Starbucks oder McDonald’s bescheiden im historischen Stadtbild verstecken, kommen die Bimmelbähnchen immer gerade ums Eck gebummelt, um das Auge wieder und wieder zu beleidigen. Sie tragen niedliche Namen wie »Spreewaldmolly«, »Tschu Tschu Bahn«, »Zäpfle Bähnle« oder »Uns Lütt Bahn«, die ihnen den Anschein von Originalität verpassen sollen. Doch dahinter verbirgt sich die wahrhaft grausame Serialität der globalisierten Tourismusindustrie. Recherchen im Internet bringen Entsetzliches zu Tage: Die übermächtige Lobbyorganisation »Touristische Sonderverkehre und Wegebahnen e. V.« – ein Name, der den Charme des deutschen Vereinsregisters atmet –, brüstet sich dort mit der geradezu seuchenhaften Verbreitung der Bimmelbähnchen im Lande und mit den Millionen Menschen, die jenen bereits zum Opfer gefallen sind. Dass Świnoujście dort unter den deutschen »Standorten« aufgeführt wird, lässt das Allerschlimmste erahnen … 

Regina Stötzel

 

Hallo Aliens

Liebe Außerirdische,

da Ihr bei Euren erstaunlichen Bemühungen, hier und da ein paar Menschen zu entführen, bisher mit ebenso erstaunlicher Treffergenauigkeit ausschließlich die größtmöglichen Vollidioten ausgesucht habt und dies nahelegt, dass Ihr hierbei spezielle Forschungsabsichten sowie Sicherheitsmaßnahmen verfolgt (etwa: nur Menschen auszuwählen, die so einfältig sind, dass sie nicht einmal in der Lage wären, den Bauplan eines Bleistifts zu kopieren; Menschen, die auf Entführungen traumatisch und nicht militärisch reagieren), dass Ihr aber mindestens für Wahn- und Irrsinn ein Faible habt – hier zwei kleine Hinweise. Erstens: Ihr seid nicht auf Kleinstdörfer, Kuhweiden, schlecht beleuchtete Querfeldeinwege im Hinterland angewiesen; es gibt auf diesem Planeten auch Großstädte, wo es ein Leichtes wäre, gleich ein paar Hundert von uns wegzubeamen. Zweitens: In diesen Städten versammeln sich beizeiten ganze Heerscharen des von Euch gesuchten Klientels. Das als Bitte formuliert, im Sinne eines Neujahrswunsches (da Ihr schon die letzten Gelegenheiten von »War of the Worlds« bis zu den Falschberechnungen des Weltuntergangs 2012 vergurkt habt): Wenn Ihr, wie erst kürzlich wieder gesichtet, eh schon über Sachsen unterwegs seid, sollte es doch machbar sein, mit zwei, drei genügend großen Raumschiffen das gesamte deutsche Dreckspack, das sich als Pegida formiert, abzuholen (und da gibt es Interessantes zu untersuchen, derweil diese Leute nämlich vor allem die Angst und Sorge vor »den Fremden« einen soll, ergo: Furcht vor Euch!). Mein Tipp: besonders lukrativ für Romulaner oder Klingonen! Bitte, bitte!

Coco Kleinohr

Die Autorin ist Taxifahrerin, beim Film und bloggt (aber erst im Web 3.0).