Dienstag, 30.04.2024 / 23:02 Uhr

Hamburger Islamistendemonstration: Die Löwen des Kalifats brüllen wieder

Von
Gastbeitrag von Jan Vahlenkamp

Hamburger Islamistendemo; Frauenblock gegen Bild-Zeitung, Bild: Jan Vahlenkamp

Die Ideologie der Gruppierung Hizb ut-Tahrir dreht sich in erster Linie um die angestrebte Vereinigung der Muslime in einem wiederhergestellten Kalifat. Obwohl in Deutschland verboten, mobilisiert und rekrutiert sie über den Umweg legaler Tarnorganisationen ihre Anhänger.

 

Auf dem Steindamm im Hamburger Stadtteil St. Georg kam es am vergangenen Samstag zum wiederholten Mal zu einer Demonstration von Anhängern der verbotenen islamistischen Gruppierung Hizb ut-Tahrir. Unter dem Motto des Koranverses 68,8 – »So gehorche nicht den Lügnern« – wurde gegen eine angebliche Medienhetze und Islamfeindlichkeit protestiert. (Wenngleich auf Instagram im Vorfeld diskutiert wurde, ob der Vers nicht eher mit »Gehorche nicht den Leugnenden« übersetzt werden müsste.)

Im letzten Jahr hatten am selben Ort bereits mehrere tausend Hizb-ut-Tahrir-Anhänger gegen eine Koranverbrennung demonstriert, außerdem kam es dort im vergangenen Oktober aus dem Umfeld der Gruppe zu einer unangemeldeten Demonstration in Solidarität mit Gaza, bei der auch Polizisten angegriffen worden sein sollen.

Die Organisation Hizb ut-Tahrir (»Partei der Befreiung«) wurde 1953 in Ostjerusalem gegründet und unterhält heute ein weltumspannendes Netzwerk. Ihre Ideologie dreht sich in erster Linie um die angestrebte Vereinigung der Umma, der Gemeinschaft der Muslime, in einem wiederhergestellten Kalifat. Sämtliche Nationalstaaten in der islamischen Welt werden als Produkte des Kolonialismus angesehen und abgelehnt. Entsprechend ist die Gruppe in den meisten Ländern des Nahen Ostens verboten.

Auch in Deutschland besteht seit 2003 ein Betätigungsverbot, das zuletzt 2012 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt wurde. Trotz des Verbots konstatieren die Verfassungsschutzbehörden eine wachsende Anhängerschaft, die durch die legalen Tarnorganisationen Muslim Interaktiv, Generation Islam und Realität Islam mobilisiert wird.

Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hatte zuletzt Anfang April erklärt, dass Veranstaltungen zum Fastenbrechen im Ramadan (Iftar) von Tarnorganisation der Hizb ut-Tahrir zur Politisierung genützt würden. Hierbei werde auch der Nahost-Konflikt instrumentalisiert, was etwa durch das Motto »Die Rettung von Gaza« einer Iftar-Veranstaltung deutlich werde.

Die Social-Media-Plattformen Instagram, YouTube und TikTok stellen dabei für die Organisationen eine wichtige Möglichkeit zur Mobilisierung der Anhängerschaft dar. Im Vorfeld der Kundgebung auf dem Steindamm wurde in einem Instagram-Video auf dem Kanal von Muslim Interaktiv dafür geworben, sich »gegen die Hetze der Medien« zu wehren und ein Zeichen gegen »Verleumdung und Lügen« zu setzen. Allerdings wurde der genaue Termin der Kundgebung erst rund 48 Stunden vor Beginn öffentlich gemacht.

Männer- und Frauenblock

Am Samstagnachmittag versammelten sich nun einige hundert Menschen am Veranstaltungsort, die sich diszipliniert in mehreren Reihen vor der Bühne aufstellten, welche durch ein Transparent mit der Aufschrift »Gebietet das Rechte und verbietet das Unrecht« geschmückt war. Die Veranstalter überreichten den Teilnehmern eine große Anzahl von Schildern, auf denen etwa »Mut zur Wahrheit«, »Diskurs statt Fake News« oder »Staatsräson tötet« geschrieben stand. Auch rotbefleckte Ausgaben der Bild-Zeitung und der Hamburger Morgenpost wurden hochgehalten.

In gebührendem Abstand hinter dem Block der Männer versammelte sich der kleine der Frauen, die zu einem Großteil vollverschleiert erschienen waren. Doch auch im hinteren Teil waren, dank großer Lautsprecherboxen, die Redebeiträge noch immer deutlich zu hören. Nachdem zunächst die Auflagen der Versammlungsbehörde verlesen wurden, wonach etwa Hetze gegen ethnische Minderheiten oder das Verbrennen von Israel-Flaggen explizit verboten war, wurde zunächst aus dem Koran rezitiert.

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(Bilder: Jan Vahlenkamp)

Ein darauffolgender erster Redner, der als Elyas vorgestellt wurde, beschwerte sich über die »peinliche und undifferenzierte Berichterstattung« der jüngeren Zeit, welche ihn an einen Hadith, einen dem Propheten Mohammed zugeschriebenen Ausspruch, erinnerte, in dem eine Zeit angekündigt werde, »in der einem niederträchtigen Lügner geglaubt und einem wahrhaftig Wahrheitssagendem misstraut wird«. Diese Zeit sei jetzt gekommen, denn die Medien würden Lügen verbreiten und sich dabei auf die »sogenannte Meinungsfreiheit« berufen.

Die »islamfeindliche Hetzkampagne« werde aber nicht nur von Medien verbreitet, sondern auch von führenden Politikern, womit explizit Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul gemeint waren. Letzterer hatte sich in der jüngeren Vergangenheit für ein Verbot von Muslim Interaktiv ausgesprochen.

Die »beispiellose Hetzkampagne« sei den Muslimen aber schon seit Jahrtausenden bekannt, da »schon seit Anbeginn der Menschheit die Wahrheit von der Falschheit bekämpft« worden sei. Nicht zuletzt sei auch der Prophet Mohammed von seinem eigenen Volk bekämpft worden. Doch immer, wenn »die Ungerechtigkeit ihren Gipfel erreiche«, führe Allah die Gläubigen zum Sieg.

Die Publikumsteilnehmer riefen immer wieder begeistert die Glaubensbekenntnisse »Takbīr – Allahu Akbar!« (»Gott ist am größten!«) und »La ilaha illa Allah wa Muhammad rasul Allah!« (»Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet!«). Aber auch Slogans wie »Stoppt die Wertediktatur!« wurden skandiert. Der Redebeitrag balancierte zwischen bewusst lauter und kämpferischer Rhetorik einerseits und einer demonstrativ ausgestrahlten Gelassenheit andererseits.

Der Redner Elyas pochte auf sein Recht auf eine eigene islamische Identität und Lebensweise. Außerdem sprach er sich gegen eine angebliche Assimilationspolitik aus. Gleichzeitig wurde von ihm aber auch die Schaffung eines Kalifats in den islamischen Ländern ausdrücklich befürwortet, was ja als politische Forderung über Fragen zum eigenen Lebensentwurf deutlich hinausgeht.

An Politik und Medien in Deutschland folgte dann noch die Drohung, »wenn die Karten neu gemischt werden und der schlafende Riese wieder erwacht«, diese »zur Rechenschaft gezogen« würden. Die nicht-muslimischen Mitbürger hingegen wurden dazu aufgerufen, sich selbst ein Bild über »den Islam und die Muslime« zu machen. Heute seien die Muslime das Feindbild, morgen vielleicht schon jemand, der nicht daran glaubt, »dass es Hunderte von Geschlechtern und Tausende von Pronomen gibt«.

 

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Islamisten-Popstar

Als weiterer Redner sprach Raheem Boateng. Der 25-jährige Lehramtsstudent war erst vor wenigen Wochen auf der Titelseite der Hamburger Morgenpost als »Islamisten-Popstar« bezeichnet worden. Auch Boateng bewies sein rhetorisches Talent in einer Mischung aus politischer Rede und religiöser Predigt. Mit Bezug auf einen Vers aus dem Koran erklärte er, dass das Gebieten des Rechten und das Anprangern des Unrechten für Muslime eine gewaltige Pflicht darstelle, auch hier in Deutschland. Diese Stimmen würden aber nicht gehört, vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen und einem Wertediktat unterworfen.

Die angebliche Hetzkampagne von Politik und Medien treibe Menschen in die Arme radikale Kräfte – womit er freilich nicht sich selbst, sondern Rechtsradikale meinte. »Ist es denn keine Diskursbereicherung, wenn wir den Genozid in Gaza als einen solchen bezeichnen?«, fragte er rhetorisch.

Des Weiteren galt Boatengs Kritik der »kolonialen Ordnung«. Diese habe seit über hundert Jahren nichts als Krieg und Leid über die Region des Nahen Ostens gebracht, müsse überwunden und durch ein gerechtes System ersetzt werden. Ganz im Sinne der Ideologie von Hizb ut-Tahrir explizierte Boateng aber auch sogleich, dass er mit dem Begriff der kolonialen Ordnung offenbar sämtliche heutigen Nationalstaaten meinte: »Die Verheißung Allahs ist es, dass die Nationalstaaten im Nahen Osten überwunden werden.«

Als Gegenmodell zu dieser vorgeblich kolonialen Ordnung wurde, ebenfalls ganz im Sinne der Ideologie von Hizb ut-Tahrir, das Kalifat gelobt. Durch das »rechtgeleitete Kalifat« würde wieder Gerechtigkeit zwischen Juden, Christen und Muslimen im Nahen Osten hergestellt werden.

Stärkung des Opfernarrativs

Bereits nach einer guten Stunde war die Kundgebung auf dem Steindamm auch schon wieder beendet. Zwischenfälle gab es keine. Die Veranstalter schienen zufrieden, hatten sie doch wieder ausreichend Material für ihre Kanäle in den Sozialen Medien erstellt.

Erwartungsgemäß waren viele Stimmen aus Politik und Zivilgesellschaft im Nachhinein weniger zufrieden mit der Veranstaltung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete die Demonstration als »schwer erträglich«. Der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschlands Ali Ertan Toprak schrieb auf X: »Das ist eine Machtdemonstration! Warum dürfen Islamisten an einem Samstag, mitten in Hamburg, auf einer belebten öffentlichen Einkaufsstraße eine Bühne aufbauen und eine Kundgebung gegen alles, was unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft ausmacht, abhalten?« Und auch der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Volker Beck fragte im selben Netzwerk: »Warum setzen die Behörden das Hizb ut-Tahrir-Verbot in Deutschland nicht um?«

Die grüne Bundestagsabgeordnete und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes Lamya Kaddor erklärte, dass die Veranstalter gefährlich und mit dem Thema Gaza anschlussfähig seien, jedoch unter Deutschlands Muslimen eine absolute Randgruppe darstellten. So beschreibt es auch das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz in seinem aktuellen Jahresbericht: »Innerhalb der muslimischen Gemeinde wird die Hizb ut-Tahrir in der Regel abgelehnt, weil sie nach deren Ansicht keine profunde religiöse Ausbildung vermittele, sondern in erster Linie nur das Kalifat propagiere.«

Allerdings fragte der Journalist Eren Güvercin auf X: »Hat irgendein muslimischer Verband, der in der Deutschen Islam Konferenz sitzt, je ein Wort über die islamistische Kalifatsbewegung Hizb ut-Tahrir verloren? Gehört es nicht zur Aufgabe von Religionsgemeinschaften‹, über Akteure aufzuklären, die junge Muslime vergiften?«

Die Tatsache, dass das kämpferische Auftreten der islamistischen Demonstranten in weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft wohl eher zu Empörung statt zu Verständnis führen dürfte, kann als wohlkalkuliert angenommen werden. Denn auch wenn sie das Gegenteil erklären, so ist es offenkundig ein Anliegen von Hizb ut-Tahrir und ihren Tarnorganisationen, tatsächliche und vermeintliche Muslimfeindlichkeit in der Mehrheitsgesellschaft zu verstärken, um das eigene Opfernarrativ zu nähren. Vermutlich wird die Veranstaltung vom letzten Samstag nicht die letzte entsprechende Kundgebung am Steindamm gewesen sein.

Zunächst jedoch ruft für den kommenden Samstag um 13 Uhr ein zivilgesellschaftliches Bündnis am Ort des Geschehens zu einer Kundgebung gegen Kalifat, Islamismus und Antisemitismus auf.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch