Noch einmal: Ende der Zyklen?

Vor kurzem hatte ich in der UZ einen Artikel über Wirtschaftszyklen, in dem ich zur Krisenentwicklung in Deutschland schrieb: "Was aber sagt der in seiner Jugend so erfolgreiche Konjunkturforscher Kuczynski zur heutigen Situation, zur Entwicklung nach der normalen Krise von 1993? Natürlich gab es 1994 wie stets eine Erholung von der Krise. Aber danach? Wohl sank die gesamtwirtschaftliche Produktion, also Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen, nicht gleich wieder ab. Aber im Gegensatz zu den vorangegangenen Zyklen seit 1825 stieg sie auch kaum, und in der Industrie allein gab es schon 1995 wieder eine Krise und 1996 einen Abfall im ersten und vierten Quartal. Eine völlig neue Situation in der Geschichte des Kapitalismus, über die sich, allein schon als Tatsache, die wenigsten Konjunkturforscher klar sind. Regierung und Wirtschaftsinstitute sagten Ende 1995 genau wie Ende 1996 und Anfang 1997 einen ganz normalen Aufstieg voraus, wie er in den letzten 170 Jahren üblich war, und gingen damit, soweit sich 1997 bisher übersehen läßt, völlig fehl.

Man muß sich endlich darüber klar werden, daß der Kapitalismus in seine Endkrise getreten ist, und daß Konjunkturvoraussagen, wie seit eh und je mit Recht üblich, unmöglich geworden sind."

Ich bin also der Meinung, daß wir nicht mehr wie von 1825 bis 1993 mit einer Entwicklung des Kapitalismus in Wirtschaftszyklen, mit seit 1847 einem Anstieg von sechs bis zehn Jahren und einer Krise von rund zwei Jahren rechnen können. Das gilt für die meisten Länder in Europa.

In den USA ist allem Anschein nach die Entwicklung des Kapitalismus noch nicht so weit. Dort beobachten wir nach der Krise von 1990/91 noch einen echten Aufstieg. Dieser Kontrast zu Deutschland oder Frankreich oder England veranlaßte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (2. August) zu der Feststellung, mit der sie die Überschrift des Leitartikels ihrer ersten Wirtschaftsseite ziert "Am Ende der Zyklen". Aber der Sinn dieser Feststellung ist in gewisser Weise genau der entgegengesetzte von dem meinen.

Das Zentralthema des Artikels findet sich in folgenden Bemerkungen: "Im August-Heft der Zeitschrift Foreign Affairs hat sie (die Zyklen-Debatte, J. K.) in der Auseinandersetzung zwischen Paul Krugman, Politikwissenschaftler an der Ostküste, und Steven Weber, Politikwissenschaftler an der Westküste, ihren vorläufigen intellektuellen Höhepunkt gefunden. Sie erhält zugleich einen apokalyptischen Anstrich: Ist allein eine solche Debatte über das Ende des Kreislaufs Beweis dafür, daß wir kurz vor einem neuen Niedergang stehen könnten (was Krugman nahelegt), oder aber sind die gegenwärtigen Konjunkturdaten so neu, daß sie auch strukturell den Beginn eines neuen Wirtschaftszeitalters- und das Ende der alten Wirtschaftsgeschichte - beweisen (was Weber vermutet)? Wem man auch Recht gibt: Beidemal umweht das Szenario am Ende des Jahrtausends ein Hauch von Fin de Siècle: Entweder stehen wir vor dem Stillstand der Wirtschaftsgeschichte oder kurz vor einer Katastrophe."

Aber ist die Situation in den USA wirlich so ungewöhnlich? Nach der Krise von 1990/91 haben wie doch eine der Vergangenheit durchaus nicht widersprechende Entwicklung, nämlich einen Aufschwung, der nun bald sechs Jahre dauert, was noch keineswegs ungewöhnlich ist. Er kann auch noch zwei Jahre weiter andauern, ohne aus dem Rahmen der kapitalistischen Zyklenentwicklung seit 1847 zu fallen (von 1825 bis 1847 dauerten die Zyklen nur halb so lang). Ich meine, wir können in den USA durchaus mit einem üblichen Konjunkturzyklus rechnen. Die entscheidende Frage ist: Werden sich die USA danach dem zyklenlosen jämmerlichen Wirtschaftsverlauf in Europa anschließen? was ich für durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich halte.