Den Nürnbergern geht das Geld aus

Ende der Beschäftigungspolitik: Arbeitslosengeld und Rehabilitation auf Kosten von ABM und Umschulung

"Es geht nicht", hatte Berhard Jagoda erst im Juni zum dritten Mal in diesem Jahr erklärt und im Juli dann offiziell 7,7 Milliarden Mark an Mehrausgaben für seine Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA) beantragt. Statt der veranschlagten 3,95 Millionen seien im Jahresdurchschnitt 4,2 bis 4,3 Millionen Erwerbslose zu erwarten. "Und wir haben nichts, was wir noch einsparen können."

Die Bundesregierung sieht das etwas anders. Wenn die Ausgaben für die Pflichtleistungen - also Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und die ebenfalls noch obligatorische berufliche Ersteingliederung von Behinderten - stiegen, müsse man sich die Leistungen mal genauer ansehen, auf die kein Rechtsanspruch bestehe, so Finanzminister Theodor Waigel (CSU). Mit anderen Worten heißt das: je mehr Arbeitslose desto weniger Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse und vor allem Fortbildung und Umschulung. Zusätzlich soll die BA darauf drängen, daß die Arbeitsämter vor Ort genauestens prüfen, ob Ausgaben für die Rehabilitation von Behinderten, die seit dem 1. Januar nur noch als Kann-Leistung gilt, tatsächlich "arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeiten" entsprechen, also nachweisbar erfolgsversprechend sind (Jungle World, Nr. 34). Viel haben die Arbeitsämter dann nicht mehr zu bieten. "Die Entscheidung der Bundesregierung gegen eine aktive Beschäftigungspolitik ist umgesetzt", so Jagoda.

Der Eingriff und die Kürzungen in einem genehmigten Haushalt der BA sind in der Nachkriegsgeschichte einmalig, kommen aber nicht unerwartet. Daß zumindest die Bundesregierung bereits bei der Verabschiedung des Haushalts ganz sicher damit gerechnet hatte, daß sie notwendig sein würden, zeigt die Tatsache, daß Waigel durch Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) eine Klausel einbauen ließ, nach der "etwaige Mehrausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle ausgeglichen" werden müßten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält den Passus für rechtswidrig. "Unsere Juristen sehen darin keine zwingende Vorschrift", so DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer. "Der Bund ist für die Defizite haftbar."

Erschwerend kommt hinzu, daß das Bundesarbeitsministerium den Haushalt der Bundesanstalt nach 1994 und 1995 auch im vergangenen Jahr gegen die Mehrheit der Selbstverwaltungsgremien durchgesetzt hatte. Statt der 105 Milliarden Mark, die BA-Präsident Bernhard Jagoda Ende November in einem eigenen Entwurf forderte, wurden nur 100 Milliarden genehmigt. Von den 9,4 Milliarden Mark, die als Bundeszuschuß beantragt waren und damit schon wesentlich niedriger lagen als die von der SPD berechneten zehn und den vom DGB geforderten zwölf Milliarden Mark, blieben ganze 4,1 Milliarden Mark übrig. Schließlich, so die Bundesregierung damals, habe man mit einem konjunkturellen Aufschwung zu rechnen, den die Wirtschaftsinstitute - mit Ausnahme des eher linken Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das lediglich 1,5 Prozent Wachstum annahm - auf 2,5 Prozent einschätzten. Da könne eine Verbesserung des Arbeitsmarktes doch nicht lange auf sich warten lassen.

Das Gegenteil ist eingetroffen. Trotz zumindest im Westen anziehender Konjunktur verbuchen die Nürnberger Monat für Monat neue Rekordzahlen - in der Arbeitslosenstatistik und bei den Ausgaben. Denn pro 100 000 Erwerbslosen mehr steigen die Kosten der BA um drei Milliarden Mark. Bei einem Stand von derzeit plus 443 000 sind das bereits mehr als 13 Milliarden Mark insgesamt und allein sechs Milliarden Mark im Osten, wo gleichzeitig 200 000 ABM-Stellen gestrichen und andere arbeitsmarktpolitische Instrumente eingeschränkt wurden. Da fallen die kurzfristigen Einsparungen durch das reformierte Arbeitsfördergesetz mit seinen radikalen Kürzungen bei älteren Arbeitslosen und Behinderten sowie den verschärften Zumutbarkeitskriterien kaum noch ins Gewicht.

Statt dessen ist damit zu rechnen, daß die "finanzpoltischen Tricksereien", wie DGB-Arbeitsmarktexperte Wilhelm Adamy den nun erzwungenen internen Ausgleich des zu erwartenden 14-Milliarden-Defizits bei den Pflichtleistungen durch die ABM- und Fortbildungsmittel nennt, den Bonnern noch auf die Füße fallen. Während die Zahl der offiziell gemeldeten Langzeitarbeitslosen Ende Juli bei 1,44 Millionen und damit 20 Prozent höher lag als vor einem Jahr, arbeiteten nur noch 214 000 in ABM, das ist ein Viertel weniger als im Juli 1996. Bei den Neuzusagen ist der Rückgang mit 41 Prozent sogar noch gravierender, wird aber möglicherweise in der Gesamtsicht auf das zweite Halbjahr noch weiter einbrechen: Von den ursprünglich eingeplanten 723 Millionen Mark, so Adamy, wird "voraussichtlich nur die Hälfte zur Verfügung stehen".

Besonders auffallen werden die neuesten Sparzwänge auch bei den Mitteln für Fortbildung und Umschulung, die in der öffentlichen Diskussion meist im Schatten der ABM-Stellen stehen. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bieten sie aber die größten Möglichkeiten, wieder auf den Arbeitsmarkt zu gelangen. Sechs Monate nach Abschluß der Weiterbildung hatten rund siebzig Prozent aller Teilnehmer wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Daß die Erfolgsquote in den achtziger Jahren mit fast achtzig Prozent noch höher gelegen hatte, erklären sich die IAB-Spezialisten nicht nur mit der damals günstigeren Situation auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch damit, daß die Weiterbildung seitdem immer mehr auf sogenannte Problemgruppen wie Langzeitarbeitslose, Nichtdeutsche, Ungelernte und ältere Arbeitslose beschränkt wurden.

Der Abbau der Bildungsmaßnahmen verdammt nicht nur immer mehr Arbeitslose zum Nichtstun, er steigert gleichzeitig die Kosten für Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Und dabei geht es nicht nur um die paar Hunderttausend noch dort oder in ABM Beschäftigten, sondern zusätzlich um die Existenz der Bildungsträger mit ihren Mitarbeitern. Allein im Fortbildungs- und Umschulungsbereich kann sich keines der 30 000 Unternehmen sicher sein, im vierten Quartal dieses Jahres und vor allem darüber hinaus von Nürnberg gefördert zu werden. Bei den berufsvorbereitenden Maßnahmen in der beruflichen Erstausbildung ist das nicht anders. Viele der kleineren Träger müssen sich überlegen, ob und wie sie weitermachen können, die größeren haben größtenteils schon zum Jahresanfang damit begonnen, sich nach neoliberalem Unternehmensvorbild zu verschlanken - und Dozenten und Mitarbeiter entlassen. Gearbeitet wird künftig bei vielen nur noch auf Honorarbasis. Wenn überhaupt.