John Maynard ist nicht mehr der Steuermann

In Berlin wollen Neo-Keynesianer ihrem Meister die letzten Zähne ziehen

Am letzten Wochenende im Oktober wird sich etwas im Berliner Willy-Brandt-Haus tun. Gerufen haben Dr. Arne Heise von der Hans Böckler Stiftung, Dr. Heiner Flassbeck vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Professoren wie Dr. Jürgen Kromphardt von der Technischen Universität Berlin. Die Ökonomen aus Gewerkschaft, Forschung und Wissenschaft wollen sich den Problemen Arbeitslosigkeit, Globalisierung und hoher Staatsverschuldung stellen. Insbesondere der Amsterdamer EU-Gipfel hatte unmißverständlich deutlich gemacht, daß in der Wirtschafts- und Währungsunion die Geldpolitik Vorrang vor der Beschäftigungspolitik haben wird.

Auf der Tagung im Willy-Brandt-Haus lastet der Fluch der Neokonservativen gegen "deficit spending" oder "tax and spending". Insofern sind sie vor die Wahl gestellt, sich entweder als realkapitalistische keynesianische Rest-Vernunft zu behaupten oder sich auch vor dem Thron des Vermögensbesitzers zu verneigen.Der Vermögensbesitzer will nämlich von Beschäftigungspolitik nichts hören: Entweder würden Arbeitslose unbezahlte Freizeit entgoltener Arbeit vorziehen, oder Sozialstaat und Gewerkschaften hätten den Arbeitsmarkt in den Schlaf gesungen. Jedenfalls sei "unfreiwillige Arbeitslosigkeit" nichts anderes als das Hirngespinst eines längst verstorbenen Ökonomen. Es gehe um etwas ganz anderes, nämlich die Alternative Verbrauch oder Ersparnis.

Die Alternative "Verbrauchen oder Sparen" hielt John Maynard Keynes nicht nur für eine geistige Verwirrung, sondern er machte sie auch für eine gemeingefährliche Politik verantwortlich. Einleuchtend legte Keynes dar, daß zurückgelegtes Geld nicht unbedingt etwas mit einer Vermögensanlage zu tun habe.

Und eine Vermögensanlage sei nicht gleich eine beschäftigungsfördernde Investition. "Der einfache Mann - Bankier, Staatsbeamter oder Politiker -, der in der überlieferten Theorie aufgezogen wurde", erläuterte Keynes, "wie auch der ausgebildete Ökonom hat sicherlich die Anschauung mitgenommen, daß, wenn immer ein Einzelner einen Ersparnisakt vollzieht, er etwas getan hat, was automatisch den Zins herunterbringt ..." In jedem Falle aber bedeute Sparen den Verzicht auf Nachfrage. Und eine verminderte Nachfrage bleibe niemals folgenlos für Geschäftserwartungen und Investitionsabsichten. Nach Ansicht seiner Zeitgenossen sprach sich Keynes damit für Kaufen, Konsumieren und Schuldenmachen aus. Gebt Euer Einkommen aus, sorgt für individuellen und produktiven Verbrauch und steigert die Nachfrage! Allein getätigte Investitionen sorgen für mehr Einkommen und Kapital, nicht umgekehrt.

"Wir müssen arm bleiben, weil wir es nicht 'bezahlen' können, reich zu sein", spottete Keynes. "Wir müssen in Hütten leben, nicht weil wir keine Paläste bauen können, sondern weil wir sie uns nicht 'leisten' können. Der gleiche Geist selbstsüchtiger finanzieller Kalkulation beherrscht jeden Lebensbezirk. Wir zerstören die Schönheit der Natur, weil ihre herrenlose Pracht keinen ökonomischen Wert hat. Wir sind fähig, die Sonne und die Sterne auszuschließen, weil sie keine Dividende aufbringen." Bürgerliche Geister sahen darin die Tugend des Sparens verletzt.

Keynes verband vagabundierendes Geld und Massenarbeitslosigkeit zu einem theoretischen Problem. Diese Tatbestände führte er zur Überraschung seiner Berufskollegen nicht auf Funktionsprobleme des Marktes zurück, sondern maß ihnen systematische Bedeutung zu. Keynes überlegte: Wenn der Zins die Hürde sei, die jede Investition zu nehmen habe, dann würde die Spanne zwischen Gewinnen und Zinsen über mehr oder weniger Beschäftigung entscheiden. Müßten dann auch noch gegenläufige Entwicklungen von Gewinnen und Zinsen in Rechnung gestellt werden, fuhr Keynes fort, dann könnte das Paradox der Armut im Reichtum erklärt werden. Und für die Beschäftigungspolitik zog Keynes daraus die Konsequenz, daß sie nicht ohne Eingriffe in Investitions- und Finanzmärkte zu haben wäre. Keynes setzte die politische Ökonomie des Mangels von der Tagesordnung ab und machte die des Überflusses zum Thema.

Aber Keynesianismus heute bedeute, so weiß sich jeder Geschäftsmann oder CSU-Kreisvorsitzender zu ereifern, Geldausgeben für Wachstum und Beschäftigung. Das führe zu Schulden und Steuererhöhungen. Beides könne sich der Standort nicht mehr leisten, heißt es allerorten, nicht einmal die Bundesbank besitze dafür die geldpolitische Power. Keynesianer werden zu Tölpeln erklärt, ganz unbeteiligt waren sie daran sicherlich nicht. Bei dem Meister würde sich das Neue mitten im Dünger der Widersprüche entwickeln, schrieb Marx über Aufstieg und Niedergang theoretischer Richtungen. Anders sei es mit dem Schüler. Dieser habe den Widerspruch der Gegner zu widerlegen und Abweichendes der Wirklichkeit wegzuerklären. Dadurch trage er zur Auflösung seiner Schule bei.

In einem prosperierenden Kapitalismus mußten Keynesianer eine Krisentheorie zu einer des Wachstums umbauen - dabei schloß auch das Wirtschaftswunder ungenutzte Kapazitäten und Arbeitslosigkeit ein. Und sie glaubten, die Spannung zwischen Gewinnen und Zinsen steuern zu können. Schließlich war fast alles unter Kontrolle. Der Dollar hatte noch seine Währungsschwestern im Griff, das Management herrschte über Aktionäre und die Arbeitnehmer-Gesellschaft beschränkte sich auf Bausparverträge und Lebensversicherungen. Aber sobald die kapitalistische Logik erblühte, lief den Keynesianern alles aus dem Ruder. Während linke Kritiker ihnen vorwarfen, sie würden reformistischen Illusionen über den Kapitalismus Vorschub leisten, war das Muster ihrer rechten Kritiker einfach: Sie hätten den Staat überfordert und die Geldlogik unterschätzt.

Jedenfalls brachten sich Keynesianer um Einfluß und Ansehen. Seither haben sie jedem Pförtner zu erklären, warum sie nichts mehr mit Konjunktur- oder Einkommenspolitik im Sinn haben. Und warum sie Geld- und Vermögenspolitik achten wollen. Natürlich haben sie sich auch untereinander zerstritten und suchen jeder neuen oder neuentdeckten Richtung etwas abzugewinnen. Dazu zählt auch die Berliner Schule, die sich dem Monetär-Keynesianismus verpflichtet fühlt. Ihre Lehre: Anfang aller Dinge sei der Vermögensbesitzer, der sein Geld Unternehmern und Haushalten zur Verfügung stelle. Das unterstreicht auch die Vormacht der Vermögensmärkte. Würden sich Vermögensbesitzer und Unternehmer einig werden, könnten Investitionen auch realisiert werden. Dafür halte der Markt Überschüsse bereit.

Mit Blick auf Geldmenge und Arbeitslose kann das nicht bestritten werden. Allerdings verwandeln sich Arbeitslose dabei in eineBedingung für die Elastizität des Marktes. Knapp muß nur das Geld bleiben. Damit macht der Monetär-Keynesianismus den Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer zu einer blassen Erscheinung. Und ob ihr Begründer Professor Hajo Riese, der den Konferenz-Reigen eröffnen soll, Keynes den letzten Zahn ziehen will, wird am Wochenende zu erfahren sein. Auf jeden Fall kann Riese schon ein Argument auf seiner Seite wissen: Geld regiert die Welt.