Journalisten machen den Elch-Test

Die IG Medien und der Deutsche Journalisten Verband rufen zum Warnstreik bei Tageszeitungen auf

Eines muß man der IG Medien lassen: Sie ist mutig und hatte Journalistinnen und Journalisten zum Warnstreik aufgerufen: Ein tarifpolitischer "Elch-Test" mit umgekehrten Vorzeichen, der klären sollt, ob die schreibende Zunft aufrecht steht oder träge liegen bleibt, wenn es um die Durchsetzung eigener Interessen geht? Haben Journalisten überhaupt eigene Interessen? Bleibt der Donnerstag und vielleicht auch der Freitag zeitungsfrei? Ist die "Geduld der Redakteurinnen und Redakteure langsam am Ende", wie es die IG Medien in einer Erklärung Mitte der letzten Woche formuliert hat? In bisher drei Verhandlungsrunden für die gut 17 000 Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen stellte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) so ziemlich alles zur Disposition, was es im Gewerbe an Tarifwerk gibt. Sollte sich der BDZV durchsetzen, müßten Redakteure im Einzelfall bis zu 10,5 Prozent Gehaltskürzungen in Kauf nehmen.

Bisher war es in den Redaktionsstuben ziemlich still. Landauf, landab berichten gewerkschaftliche Aktivisten, daß die Tarifrunde den Leuten bisher "am Arsch vorbei" gegangen sei. Zum einen nagen Journalisten nicht unbedingt am Hungertuch, und zum anderen begreift sich den Berufsstand nicht unbedingt als "abhängig beschäftigt" - der Mythos von der "vierten Gewalt" wird gepflegt, man begreift sich als "demokratisches Regulativ", ist kreativ tätig und in erster Linie seinem journalistischen Gewissen verpflichtet. Und mit Arbeitszeiten - einer der Hauptstreitpunkte in dieser Tarifrunde - darf man Journalisten schon gar nicht kommen, ist man doch rund um die Uhr seinem Beruf verpflichtet.

Doch inzwischen ist selbst die Standesorganisation Deutscher Journalistenverband (DJV) zum Handeln entschlossen, und die "Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten" - wie sich der DJV gern nennt - zieht mit der Mediengewerkschaft an einem Strang. Am 20. und 21. November findet im Kempinski-Hotel in Berlin die vierte Tarifrunde statt. Im Vorfeld soll es nach dem Willen der beiden Organisationen zu massiven Warnstreikaktionen kommen.

Daß beide gemeinsam vorgehen, hat seinen guten Grund: In etwa ist man gleich stark, jeder für sich kann den Tarifkonflikt nicht gewinnen. Werden die Mitglieder für einen regulären Streik zur Urabstimmung gerufen, ist die Ausgangsposition für die IG Medien sogar eine bessere: Immerhin kann sie die Mitglieder, die im Bereich Technik beschäftigt sind, zum Solidaritätsstreik aufrufen, um das Erscheinen der Zeitungen zu verhindern.

Konkret geht es in der seit dem Frühjahr laufenden Tarifrunde um sieben Streitpunkte: Die Verleger wollen den Ausstieg aus der 35-Stunden-Woche, die Altersversorgung beschneiden, Vergütungen aus dem Urheberrecht streichen, die Jahresleistung (Weihnachtsgeld) auf 95 Prozent kürzen, bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Zuschläge für Sonntagsarbeit streichen. Die Gehaltsstruktur soll so verändert werden, daß es ab dem 11. Berufsjahr keine Staffelung nach oben mehr gibt, und für den Osten wird die Verlängerung der Öffnungsklauseln gefordert.

Alles in allem gilt es, ein Maßnahmenpaket abzuwehren, das nach Berechnungen des DJV durchschnittlich ein Minus von 370 000 Mark im journalistischen Berufsleben ausmacht. Die IG Medien hat ausgerechnet, daß eine 37jährige Journalistin im 10. Berufsjahr zukünftig auf 10,25 Prozent Gehalt pro Monat verzichten muß. Bei einem Jahresgehalt von 91 448 Mark immerhin eine Summe von 9 150 Mark oder 228 750 Mark bei noch 25 Jahren Erwerbstätigkeit.

Unterdessen wird aus Redaktionen berichtet, daß seit der Ankündigung des Warnstreikaufrufs etwas Bewegung in die Sache gekommen ist. Quer durch die Republik fanden in den letzten Tagen Betriebs- und Redaktionsversammlungen statt. Die Rede ist von "kämpferischen Mittagspausen" bis hin zu ganztägigen Arbeitsniederlegungen, die im Laufe der Woche stattfinden sollen. Ob allerdings das Erscheinen von Zeitungen verhindert wird, muß sich erst noch zeigen. Chefredakteure, Unorganisierte und leitende Redakteure werden wohl alles daransetzen, zumindest Notausgaben zu produzieren. Dank der technischen Entwicklung ist dies ohne große Probleme möglich. Erschwerend kommt hinzu, daß es für alle Nachrichtenagenturen Haustarifverträge gibt, so daß die Agenturen ihre Meldungen produzieren werden, mit denen die Notausgaben gefüllt werden können.

Im Prinzip rächt sich jetzt, daß Journalistinnen und Journalisten nie so richtig gefordert waren, sich für ihre Interessen einzusetzen. Über Jahrzehnte hinweg hat die Vorläuferorganisation der IG Medien - die IG Druck und Papier - für Drucker und Setzer komfortable Tarifverträge abgeschlossen und zum Teil auch erkämpft, die in der Regel für Angestellte und Redakteure mit den notwendigen Differenzierungen übernommen wurden. Die Verleger taten das Ihre und verwöhnten die Mitarbeiter mit außertariflichen Leistungen und anderen Streicheleinheiten. Weil es aber nun so schön in die Zeit paßt, "wollen die Verleger die Gunst der Stunde nutzen", ist in einem IG Medien-Flugblatt zu lesen, "und das Rad der Tarifgeschichte zurückdrehen". Der DJV-Verhandlungsführer Hubert Engerhoff berichtet: "Wir haben alles ausprobiert, haben unter Verzicht Chancen zur Einigung vorgelegt. Aber die Verleger behandeln journalistische Arbeit wie ein Stück Dreck."