Schwarze Liebe

Die Schwulen in der CDU organisieren sich ein bißchen

Um die Homophobie der Unionsparteien zu illustrieren, wird gern Franz Josef Strauß mit der Bemerkung zitiert, zehn Kalte Krieger seien ihm lieber als ein warmer Bruder. Daß das nicht unbedingt ein Widerspruch sein muß, hat Straußens Kabinettskollege Heinrich von Brentano vorgelebt. Von Brentano, elegante Tunte und Architekt der diplomatischen Isolierung der DDR, war Außenminister in der Regierung Adenauers, unter dessen Regentschaft frühere NS-Richter sowohl Kommunisten wie auch rund 50 000 Schwule in die Zuchthäuser zurückschickten. Homosexuelle wurden nach dem von den Nazis 1935 verschärften Paragraphen 175 verfolgt.

Immer wieder gab es Skandale um CDU-Größen, denen man wegen homosexueller Kontakte die Karriere zerstörte. So im Fall des Wehrbeauftragten Heye oder des Kölner Regierungspräsidenten Franz Grobben, der laut Spiegel am 8. Juni 1966 um 22.45 Uhr von acht Polizisten und einem Diensthund "in einer als Homosexuellen-Treffpunkt bekannten öffentlichen Toilettenanlage erkannt worden" war, "obwohl die versammelten Herren das Licht ausgeschaltet hatten".

Am hellichten Tage indes stürzte drei Jahrzehnte später der sächsische CDU-Innenminister Heinz Eggert, weil er, so Neues Deutschland, die "Hand am Hintern" junger Mitarbeiter hatte, während der MAD 1983 den ungeliebten General Günther Kießling noch mit konstruierten Vorwürfen denunzieren mußte, damit Hardthöhenchef Manfred Wörner den Militär in die Etappe befördern durfte.

Solche Skandale weisen die CDU nicht eben als Biotop für Schwule aus. Und doch gibt es sie auch dort zahlreich. Kritisch wird's nur, wenn die sexuellen Macken über den engeren Zirkel hinaus bekannt und zum Medienthema werden. Solange aber für gehobene Anlässe Damen verfügbar sind, darf man gern Ministerpräsident eines neuen oder Oppositionschef eines nördlichen Bundeslandes, Bundesminister für den Transrapid oder Staatssekretär bleiben.

Freilich hat der Hauch allgemeiner Liberalisierung auch die Union gestreift. Die latente Homophobie ist zwar geblieben, doch ist man sich keineswegs mehr einig im Grad der Ablehnung alles Gleichgeschlechtlichen. In Brandenburg oder Sachsen-Anhalt betreibt die CDU sogar leichte Anti-Diskriminierungspolitik. Hier hat sie aber Oppositionsstatus und eine andere Vorgeschichte als im Westen: Die Blockpartei war eng mit der evangelischen Kirche liiert, die wiederum in den Achtzigern die ersten lesbischen und schwulen Arbeitskreise der DDR beherbergte.

So wird auch verständlich, warum sich nach der "Wende" Schwule für die CDU engagierten und in Kommunalparlamente einzogen, etwa Mirko Adam und Steffen Meredig in Berlin-Friedrichshain. Ebenfalls nur im Osten - zuerst in Thüringen, dann bis vor wenigen Monaten in Brandenburg - konnte auch der frühere Pressechef der Jungen Union, Holger Doetsch, Pressesprecher der CDU-Landtagsfraktion werden. Doetsch, der sich damals noch verschämt "bisexuell" nannte, war es auch, der gemeinsam mit dem 20jährigen Krankenpfleger Rémon Morschett aus Dillingen für den 19. Februar 1993 in Bonn die Gründung einer JU-Schwulengruppe ankündigte. Gegen den

Paragraphen 175 und für die Homos in der Bundeswehr wollte man kämpfen und prominente Parteifreunde zum Coming out ermutigen. Doch JU-Bundesgeschäftsführer Axel Wallrabenstein erklärte das Treffen kurzerhand zur "Privatangelegenheit" und legte Doetsch den Maulkorb an.

Einstweilen nahmen Männer wie der frühere Europapolitische JU-Sprecher Lars Lüttich oder der CDUler Gero Furchheim regionale Führungsposten beim bürgerlichen Schwulenverband in Deutschland (SVD) ein oder wurden wie der "progressive Konservative" Karsten Limberg vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) AStA-Schwulenreferent an der Essener Universität. Furchheim zog nach einem Parteiverfahren um sein Schwulsein siegreich ins Rathaus von Meerbusch ein.

Von organisierten CDU-Homos erfuhr die Welt erst wieder im März 1997. In Duisburg hatte sich bei der örtlichen AIDS-Hilfe ein Stammtisch Schwuler Christdemokraten (SCD) um den Kölner Diplom-Volkswirt Ralf Lenger (30) und den "von der Linken enttäuschten" Studenten Sebastian Nitz (23) etabliert. Das schwulenpolitische Programm der SCD, so Nitz gegenüber der Zeitung rosa zone, werde "sicherlich dem der Grünen sehr ähneln". Wenig grün lehnt es jedoch Homo-Ehe wie Adoptionsrecht für Lesben und Schwule ab. Doch auch der Saarländer Morschett blieb nicht untätig. Mit der zumindest von der Saar-CDU offiziell anerkannten Schwulen Gruppe in der Union (SGU) gründete er im März 1997 in Kassel ein bundesweites Forum für rund 30 homophile Christdemokraten, ohne von der in NRW fest in den schwulenpolitischen Diskurs eingebundenen SCD zu wissen.

Daß die Protagonisten voneinander aus der Presse erfuhren, mündete schließlich am 15./16. November in ein Treffen zur Vorbereitung eines kleinen Bonner Vereinigungsparteitages, der für den März 1998 angesetzt wurde. Kein Zufall, daß man sich in der Kölner Geschäftsstelle des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD) traf: Generös hatte der Nicht-mehr-CDUler und SVD-Aktivist Lüttich "diese preiswerten Konferenzräume" mitten in der Kölner City vermittelt. Lüttich überbrachte auch die Grüße des SVD-Sprecherrats und lud zur Mitgliedschaft ein, an welcher "der SVD höchst interessiert" sei.

Zwanzig Männer im Alter von 17 bis 42 Jahren waren aus Saarland, NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz angereist und wiesen sich standesgemäß aus: als leitender Angestellter bei der Deutschen Bank, Jurist "eines Spitzenverbandes der deutschen Wirtschaft", Handwerksmeister, Vertreter des "Bundesverbandes Gay Manager", CDU-Bildungsreferent oder römisch-katholischer Parteifunktionär mit auffälligem Hang zu Deutschlandtagen der Jungen Union und sonntäglichen Hochämtern. Jeder kannte Gleichgesinnte in seinem Kreisverband - und sogar bei der CSU-Schwester -, die nur die Gründung einer solchen Gruppe abwarten würden, um dann ihr Coming out hinter sich zu bringen. Man müsse nur in der Union selbst ein tolerantes Klima schaffen und "klar machen, daß das einzige, was uns unterscheidet, das ist, was wir im Bett tun", so ein Teilnehmer.

Daß dieses naive Emanzipationsverständnis der Theorie der neuen Schwulenbewegung hinterherhinkt, fiel in einem Kreis, der abweichende Lebensformen über Höchstleistungen für die Partei legitimiert, keinem auf.

Daß für den konservativen Schwulen die Emanzipation zur Falle werden kann, bewies ein Funktionär vom CDU-Kreisverband Worms. Man dürfe sich "keinesfalls als schwul profilieren", damit verschrecke man die Partei. Das "derzeit brisanteste" und "bei der amtierenden Regierung gut aufgehobene Thema" seien nichteheliche Lebensgemeinschaften, und genau so solle man die Gruppe nennen. Und weg war er.

Generell scheint es mit dem schwulen Selbstbewußtsein der Konservativen nicht weit her, viele möchten vorerst anonym bleiben. Ob man sich am 98er Wahlkampf unter dem Namen "Anonyme Tucken" mit Infoständen beteiligen wird? Lukrativ wäre es allemal. Schon 1994 haben laut SVD-Erhebungen sieben Prozent der Schwulen CDU gewählt; das ließe sich, wie es hieß, leicht steigern. Etwa, indem man sich der Schwulen in Polizei und Bundeswehr annehme, die so deutliche CDU-Sympathien hegten wie die schwulen Manager und jene, die nur deshalb SPD gewählt hätten, weil die CDU ihre Probleme ignoriert habe.

Zunächst aber soll eine Grundsatzprogramms der "Schwulen Christdemokraten Deutschlands" erarbeitet werden, das einigen Wirbel in der Union auszulösen verspricht. Initiativen für nichteheliche Lebensgemeinschaften sah die CDU stets als Angriff auf Ehe und Familie, vom Adoptions- oder Sorgerecht für Homosexuelle ganz zu schweigen. In Sachen Bundeswehr will man eng mit dem Bundesarbeitskreis Schwuler Soldaten (BASS) kooperieren, bei der Diskriminierung am Arbeitsplatz konsequenterweise mit den schwulen Managern und der Notgemeinschaft schwuler Priester.

Ob Lenger, der liberale SCD-Kopf, sich viele Freunde machen wird mit Forderungen wie Anerkennung der Prostitution als Beruf oder Abschaffung des Ehegattensplittings, ist überaus fraglich. Lenger ist es auch, der die Schwulen-Verfolgung der fünfziger und sechziger Jahre aufgreifen will. Denn die CDU habe viel Porzellan zerschlagen: "Unter Adenauer wurde versäumt, sich in der Schwulenfrage von der NS-Ideologie zu verabschieden. Eine Aufarbeitung ist unbedingt nötig, denn viele von denen, die das damals mitverantwortet haben, sitzen heute in höchsten Parteiämtern."

Anfang Februar werden die SCD zudem ein Seminar zur NS-Schwulenverfolgung anbieten. Als Ort dafür wurde zielsicher die Berliner Gedenkstätte der Wannseekonferenz erkoren. Und wo, wenn nicht an Kohls Neuer Wache, könnten CDUler ihren Kranz für schwule NS-Opfer ablegen? Apropos: Das Bonner Konrad-Adenauer-Haus will von dem schwarz-rosa Treiben bis dato lieber nichts wissen. So meinte Pressesprecher Kiefer lediglich, es gebe keine entsprechenden Aussagen in den Parteidokumenten; im übrigen hätten sexuelle Vorlieben nichts mit politischen zu tun.

Das sieht der einstige Friedensbewegte Lenger ganz anders: "Gerade im Hinblick auf den Umgang mit Sexualität könnten wir Vorreiter in der Partei sein." Wenn er nicht vorher abgeworfen wird.