Verschärfte Krisenstimmung

Brisante Zahlen für den Osten: Mit der Zahl der Erwerbslosen wächst auch der Rassismus

Die aktuellen Arbeitslosenzahlen zum Jahresende: 4,32 Millionen Arbeitslose, das sind rund 380 000 Menschen mehr als im Vorjahresmonat. Die Erwerbslosenquote stieg damit auf 12,5 Prozent. Insbesondere die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die seit einem Jahr oder länger ohne Beschäftigung sind, hat sich um 300 000 auf 1,5 Millionen erhöht. Ein weiterer Indikator für die Verschärfung der Krise: Die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt ging um beinahe eine halbe Million auf 34,3 Millionen zurück.Verdeckt wird durch diese Entwicklung allerdings, daß es insbesondere im Osten eine brisante Zuspitzung gibt. Stieg die Arbeitslosenquote im Westen innerhalb eines Jahres nur unwesentlich auf 9,5 Prozent, so hat sich die Arbeitslosenquote im Osten von 15 auf 18,3 Prozent erhöht. Mit dem Auslaufen der Sonderabschreibungsmöglichkeiten für die Investitionsruinen in den fünf neuen Bundesländern zum Jahresende wird auch der letzte Rest des Baubooms verebben, der maßgeblichen Einfluß auf die Beschäftigungssituation hat. Produzierendes Gewerbe existiert ansonsten kaum, die meisten Jobs gibt es noch im Dienstleistungsbereich, in Möbelmärkten oder Frittenbuden.

Bereits im November, vor Auslaufen dieser Maßnahmen, hatte sich die Arbeitslosenzahl im Osten deutlich erhöht. Der Grund: Die Bundesanstalt für Arbeit hat 225 000 Stellen im zweiten Arbeitsmarkt, vorrangig in der beruflichen Bildung und bei ABM-Stellen, gestrichen. Ein weiterer Abbau ist vorgesehen.

Dabei erreicht die Investitionsquote je Arbeitsplatz im Osten durchschnittlich gerade einmal 55 Prozent der westdeutschen, einzig im Banken- und Versicherungsgewerbe können ähnliche Werte wie in Hamburg oder München erreicht werden. Das bedeutet: Bei einer Angleichung der Investitionsquote an das westdeutsche Niveau werden in den nächsten Jahren noch einmal Hunderttausende Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern verlorengehen. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ist in der Zwischenzeit jeder fünfte Erwerbsfähige arbeitslos. Nimmt man die Personen, die Weiterbildungs- und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen durchlaufen, hinzu, liegt die reale Arbeitslosigkeit ohne stille Reserve bereits bei über 25 Prozent. Besonders stark betroffen sind die Frauen, die durchschnittlich in den neuen Ländern eine Arbeitslosenrate von 23,5 (Männer: 16) Prozent aufweisen. Sie stellen einen Anteil von 64 Prozent aller Beschäftigungslosen, obgleich sie wesentlich qualifizierter sind als ihre westlichen Kolleginnen. In den neuen Ländern haben vier von fünf eine abgeschlossene Berufsausbildung, während dies im restlichen Teil der Republik nur auf rund die Hälfte zutrifft.

Im Westen trifft der verschärfte Druck auf dem Niedriglohnsektor Ausländer wesentlich härter als Deutsche. Ein Ergebnis des Strukturwandels auf dem Arbeitsmarkt, durch den genau die Arbeitsplätze bevorzugt wegrationalisiert wurden, für die einst die "Gastarbeiter" angeworben wurden. 20 Prozent der Ausländer sind mittlerweile ohne Arbeit. Die Chance, einen Job zu ergattern, hängt somit immer mehr von der Staatsangehörigkeit ab. Mit dieser identifizieren sich die arbeitslosen Deutschen folglich besonders im Osten immer mehr: Nach einer aktuellen Studie des Berliner unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Ifo und des Berlin-Brandenburgischen sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums meinen in der Zwischenzeit bereits 43 Prozent aller Erwerbslosen in den neuen Bundesländern, daß zu viele Ausländer eine Hauptursache für die Arbeitslosigkeit im Osten seien, neben der "zu schnellen Einführung von D-Mark und Marktwirtschaft" sowie der "Politik der gegenwärtigen Regierung". Anders sind dagegen die Zahlen, wenn es um die Ursachen der schlechten wirtschaftlichen Lagen in den alten Ländern geht: Hier sehen zwei Drittel der arbeitslosen Wessis die Regierungspolitik als Hauptursache, unter den befragten Ossis sind dies nur ein Drittel. Auch bei den Ursachen der Arbeitslosigkeit im Westen stellen die arbeitenden Ausländer für die befragten Ossis mit 35 Prozent Nennungen die Hauptursache der Arbeitslosigkeit dar.

Bezieht man die Akzeptanz arbeitsmarktpolitischer Überlegungen mit ein, so steht neben der Umwandlung von Überstunden und der Verkürzung der Lebensarbeitszeit der gebremste Zuzug von Aussiedlern mit 45 Prozent im Osten wie im Westen an vorderer Stelle. Im Westen fordern fast ein Drittel, keine Ausländer zu beschäftigen, im Osten sind dies 40 Prozent. Den Vorschlag, Ausländer genau wie Deutsche zu bezahlen, fanden dagegen im Osten wie im Westen nur ein Viertel der Befragten gut.

Auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind die Befragten bereit, zum großen Teil eine erhebliche Veränderung und Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Die erhöhte Belastungs-, Kompromiß- und Duldungsbereitschaft ist in den letzten Jahre kontinuierlich gestiegen. Die Hälfte aller Befragten ist mittlerweile bereit, auch für weniger Geld als zuvor zu arbeiten, bis zu drei Viertel nehmen ungünstigere Arbeitszeiten, weitere Wege und Qualifizierungsmaßnahmen selbst bei größerer familiärer Belastung in Kauf.

Die beiden Forschungsinstitute führen seit sieben Jahren repräsentative Befragungen unter Arbeitslosen durch. Der Glaube, Ausländer seien die Ursache der Arbeitslosigkeit geht nach der Studie einher mit einem Politisierungsprozeß. Nannten bis 1995 jeweils über die Hälfte aller Befragten keine Partei, von der sie annahmen, daß sie ihre Interessen vertrete, so ist diese Gruppe nun im Westen auf 36 und im Osten auf 44 Prozent geschrumpft - im Westen konnte insbesondere die SPD von dieser Entwicklung profitieren, im Osten waren zu etwa gleichen Teilen die SPD, die Gewerkschaften und die PDS Nutznießer. Die Republikaner werden im Westen von deutlich mehr Arbeitslosen als potentielle Interessenvertreter gesehen als im Osten: sechs Prozent gegen 1,6 Prozent. Je geringer die Parteienpräferenz ausfällt, desto häufiger taucht die Meinung auf, daß Ausländer Schuld an der hohen Arbeitslosigkeit hätten.