Arbeitslosen-Bingo

Spargelpflücken für drei Mark die Stunde: Kombi-Löhne und Beschäftigungs-GmbHs sollen neue Jobs schaffen

Das allgemeine Arbeitslosen-Bingo geht auch im Februar weiter. Fast fünf Millionen Menschen seien derzeit ohne Job, mußte Jagoda, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, vermelden. Der Präsident des Kieler Institut für Weltwirtschaft, Horst Siebert, schätzt, daß die Zahl bis Jahresende noch einmal um 800 000 steigen werde.

Die Lösungsmöglichkeiten der Politiker bleiben die alten. Alle Parteien und Gewerkschaften versprechen oder fordern schon seit langem "Vollbeschäftigung durch Wirtschaftswachstum" (CDU und FDP) oder die "Schaffung von 500 000 Arbeitsplätzen in einer Legislaturperiode" (SPD) oder zwei bis drei Millionen Arbeitsplätze (DGB). Übertroffen werden sie nur noch von der MLPD, die bis vor kurzem noch fünf Millionen Arbeitsplätze forderte ("Initiative Arbeitsplätze für Millionen"). Mit dem unsäglichen "Bündnis für Arbeit" kam als weitere unerfüllbare Forderung noch die Halbierung der Arbeitslosigkeit hinzu, von der allerdings sowohl Kohl als auch SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder schon wieder Abschied genommen haben.

Nun wird der neueste Koalitions-Vorschlag präsentiert: Die Kommunen sollen bis zu 200 000 Arbeitsplätze im Sozialhilfebereich schaffen - natürlich ohne daß die Bundesregierung einen Pfennig dazu beisteuert. Alle können dann Laub fegen, den Park harken, Hundescheiße wegmachen, Stahlwerke und Chemiefabriken oder verseuchte Böden (nicht nur) in der Ex-DDR sanieren. In X-Stadt werden wilde Müllkippen und Deponien aufgeräumt, in Y-Stadt Sportplätze und Grünanlagen schöner gemacht und Radwege angelegt. Wieder andere erschließen Grundstücke und machen sie den Investoren schmackhaft, betreiben Garten- und Landschaftsbau, recyclen Elektroschrott oder führen eine Kantine. Vom brandenburgischen Wald wird gemunkelt, jeder Baum habe bereits den Namen eines ABM-Beschäftigten erhalten. Und wer kennt sie nicht, die netten, Fahrgäste betreuenden Frauen und Männer mit dem Stadtplan an der S-Bahn-Station? Die Anzahl der Menschen in solchen Arbeitsverhältnissen beträgt mittlerweile bundesweit etwa 700 000.

Das Zauberwort, mit dem dies ermöglicht wird, heißt Beschäftigungsgesellschaften. Diese Art staatlich finanzierter Beschäftigung ist nicht so neu. "Anders leben, anders arbeiten" hieß es noch bei den Alternativprojekten der achtiger Jahre. Schon bald gab es unterschiedliche Formen staatlicher, kommunaler oder regionaler und gewerkschaftlich gestützter Beschäftigungs-GmbHs, die "behutsame Stadtentwicklung" in Berlin- Kreuzberg und anderen Kommunen wäre ohne solche Maßnahmen der Arbeitsförderung nicht denkbar gewesen. Während der Werftenkrise in z. B. Hamburg und anderen Küsten- und Werftstädten wurden ebenfalls Beschäftigungsgesellschaften gegründetet. Jüngstes Beispiel: die Bremer Vulkan-Werft.

Richtig expandierten Beschäftigungsgesellschaften jedoch erst in den Jahren nach 1990. In dieser Zeit wurden Hunderte von Arbeitsförderungs-, Beschäftigungs- und Strukturentwicklungs-GmbHs hauptsächlich im Osten gegründet, die ihr Kapital aus staatlichen oder gewerkschaftlichen Kassen oder gar aus den Abfindungen der Belegschaften erhielten. Darüber hinaus bekamen sie wie andere Unternehmen Bankkredite. Um ihre Ziele durchzusetzen, setzten alle auf die Instrumentarien der "aktiven Arbeitsmarktpolitik".

Diese staatlichen Mittel werden auf der Grundlage komplizierter Paragraphen des jeweils geltenden Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) oder des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vergeben. Die Arbeitsverhältnisse, die in den Beschäftigungsgesellschaften gebündelt werden, haben so wohlklingende Namen wie Lohnkostenzuschuß, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Arbeitsverhältnisse nach Paragraphen 249h oder 242s AFG oder Arbeitnehmerhilfe (wir erinnern uns: die deutschen Spargelpflücker). Nach dem BSHG werden häufig Verträge entsprechend den Paragraphen 18 bis 25 geschaffen. Im Klartext heißt das: Entweder Arbeit zu drei Mark (höchstens) die Stunde als Ergänzung zur Sozialhilfe, oder "Hilfe zur Arbeit", die tariflich entlohnt wird. Hier gelten aber fast immer die niedrigsten Tarife in der am schlechtesten bezahlten Branche.

Innerhalb der angebotenen Arbeitsverhältnisse haben in den letzten Jahren Verschiebungen hin zu Billiglohnjobs stattgefunden: Für immer mehr Arbeit wird immer weniger bezahlt. Die Arbeitsverhältnisse selbst werden somit immer wohlfeiler, sie verschieben sich von ABM hin zu "Arbeit statt Sozialhilfe", und von dieser hin zu "gemeinnütziger Arbeit" oder neuerdings zu 500-Mark-Praktika für Jugendliche. Oft ist "öffentliche Beschäftigung" auch der Deckmantel für Leiharbeit. So werden ganze Arbeitsbrigaden in Ostdeutschland an Wäschereien, Speditionen, Baufirmen und Dienstleistungsfirmen vermittelt und vom Staat oder der Sozialversicherung bezahlt.

Der Zugang zu diesen Arbeitsverhältnissen ist natürlich mitnichten freiwillig, sondern an Zwang gekoppelt. Bei Ablehnung droht die Streichung von Arbeitslosengeld und -hilfe oder der Sozialhilfe. Einen gewissen Bekanntheitsgrad in dieser Hinsicht hat die Stadt Leipzig errungen, die sich rühmte, die Statistik der Sozialhilfe-Empfänger durch solche "Arbeitsangebote" zu säubern. Andere Kommunen folgten diesem Vorbild.

Durch die seit dem 1. Januar 1998 geltenden neuen Arbeitsförderungsgesetze werden auch sogenannte Eingliederungszuschüsse an Unternehmen möglich. Wer Langzeitarbeitslose einstellt, erhält in den ersten Monaten staatliche Zuschüsse. Eine Erhöhung des Freibetrags bei der Sozialhilfe soll den Weg zum "Kombi-Lohn", der Kombination von Sozialhilfe und Arbeitslohn, frei machen. Hieß es früher: Miete einen Arbeitslosen, so lautet das Motto heute: Nimm einen Arbeitslosen und schick die Rechnung an den Staat. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ein durchaus beabsichtigter Nebeneffekt dieser Maßnahmen besteht darin, daß der Staat als Arbeitgeber Billigjobs anbietet und somit als öffentlicher Lohndrücker auftritt.

Ein Ausstieg aus der Wachstums- und Arbeitslogik, wie sie in dieser oder jener Form in Verbindung mit den Beschäftigungsgesellschaften von allen Parteien und auch Gewerkschaften vertreten wird, ist die Forderung nach Existenzgeld oder einer bedarfsorientierten Grundsicherung von 1 500 Mark plus Miete - das Geld soll ohne Koppelung an Beschäftigungsverhältnisse zur Existenzsicherung bezahlt werden. Diese Forderung ist - nicht nur durch die französische Arbeitslosenbewegung - in letzter Zeit durch Erwerbsloseninitiativen verstärkt in die Diskussion gekommen.

Während in Frankreich die gesetzliche Einführung der 35-Stunden-Woche auf der Tagesordnung steht, ist die Debatte in Deutschland um eine weitere Arbeitszeitverkürzung eher dürftig. Der letzte Zwickel-Vorstoß in diese Richtung stieß schon deswegen nicht auf Resonanz, weil die tarifvertraglich vereinbarte 35-Stunden-Woche (West) durch Arbeitgeber und Betriebsräte oft durch Überstunden unterlaufen wird. Eine weitere Arbeitszeitverkürzung auf 30, 25 oder 20 Stunden ist zwar gesellschaftspolitisch sinnvoll und notwendig, wird aber außer von politischen Sekten kaum mehr diskutiert.

Am traditionellen Arbeitsbegriff orientiert sind die Forderungen nach einem öffentlichen Beschäftigungssektor, die von Teilen der SPD, der PDS und eher linksgewerkschaftlicher Kreisen vertreten werden: Ohne diskriminierende Momente der Sozialgesetzgebung sollen ehrenamtlich verrichtete Jobs bezahlt, "Hilfe zur Arbeit", Lohnkostenzuschüsse oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf ein anderes Niveau überführt und neue Jobs geschaffen werden. Allein: Ohne den Druck von Erwerbslosen und prekär Beschäftigten wird sich auch hier nichts tun. Aber ob es in der Bundesrepublik zu ähnlichen Auseinandersetzungen wie in Frankreich kommen wird, ist eher zweifelhaft.