Sackgassen und Sonderwege

Kollegen, vorwärts zur Gewerkschaft neuen Typus!

Sieben Einzelgewerkschaften wollen sich bis 2001 in einem Dachverband zusammenschließen

Nein, man möchte noch nicht in die Öffentlichkeit gehen. Solange über "ungelegte Eier" geredet werde, wolle man über die Gespräche Stillschweigen wahren. Es geht um die Gründung einer Gewerkschaft für Beschäftigte in öffentlichen und privaten Dienstleistungsunternehmen. Sieben Gewerkschaften wollen sich bis zum Jahr 2001 zu einer Mega-Gewerkschaft zusammenschließen. Im Handelsblatt vom 10. Februar lasen Gewerkschaftsmitglieder, was ihnen die Vorstände noch nicht mitteilen wollten.

"Die Entwicklung hat Gründe. Zum Beispiel: Der industrielle Großbetrieb, in dem die Gewerkschaften groß und durchsetzungsfähig geworden sind, und der mit freigestellten Betriebsräten die gewerkschaftliche Arbeit prägt, ist auf dem Rückzug. An seine Stelle treten Klein- und Mittelbetriebe; viele davon sind Service-, Logistik- und sonstige Dienstleistungs-Unternehmen", begründet IG Medien-Chef Detlef Hensche das ehrgeizige Projekt. Noch vor einigen Wochen behauptete er, daß Fusionen auf Grenzen stießen: Mit wachsender Größe werde die Nähe zu den Mitgliedern zum Problem.

Auch soziologische Erkenntnisse sprechen gegen Großorganisationen, Parteien und Gewerkschaften bekommen dies am deutlichsten zu spüren. Besonders die Gewerkschaften werden nicht müde zu betonen, daß sie sich ändern müßten. Es mangelt nicht an entsprechenden Organisationsprogrammen, landauf, landab finden Workshops statt. Mit der Namensgebung "Workshop" scheint aber schon das Ende der Modernität erreicht; das Beharrungsvermögen der Apparate ist stabiler als das Fundament so mancher Denkmäler der Arbeiterbewegung. Derweil sinkt der Organisationsgrad auf den historischen Tiefstand von unter 30 Prozent.

Viele Menschen - hauptsächlich Jugendliche beiderlei Geschlechts und Frauen jeden Alters -, die politisch interessiert sind, wünschen sich eine partizipatorische Organisationskultur. Dem gegenüber steht die hierarchische Großorganisation Gewerkschaft. Was die Psychologin Barbara Stiegler in ihrer Studie "Das Geschlecht als Bremse" über die Erwartungen von Frauen an die Gewerkschaften sagt, trifft auch auf andere Gruppen zu: Sie wollen flache Hierarchien, kooperative Arbeitsformen, projektorientierte Arbeitsweisen, Transparenz, vernetztes Denken und stringente Arbeitsprozesse. Organisationen wie

Greenpeace, BUND, amnesty international oder andere Bürgerinitiativen scheinen solche Erwartungen umzusetzen.

Anstatt sich nun im anstehenden Erneuerungsprozeß über überschaubarere Formen Gedanken zu machen, wollen sieben Gewerkschaften bis zum Jahre 2001 eine "Dienstleistungsgewerkschaft" mit derzeit 4,12 Millionen Mitgliedern ins Leben rufen. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (ca. 500 000 Mitglieder) will zurück in den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Mit ÖTV, HBV, GEW, IG Medien, Post- und Eisenbahngewerkschaft soll "etwas ganz Neues" entstehen. Der Vorsitzende der Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, spricht sogar von einer "Gewerkschaft neuen Typus".

In der Mega-Gewerkschaft sollen sich Straßenbahn- und Zugführer, Druckerinnen, Briefträger, Müllwerkerinnen, Staatsanwälte und Richterinnen, Sparkassenangestellte, Orchestermusiker, Theaterhandwerker, Kameraleute, Gleisbauarbeiter, Friseure, Krankenschwestern, Verkäufer, Journalisten und Redakteurinnen, Toningenieure, Telefonisten, Künstler und Schriftsteller, Croupiers, EDV-Operateure und viele anderen wieder finden. Hier wächst also zusammen, was in der Tat nicht zusammen gehört. Beliebte Begründung für den Zusammenschluß: Die Wandlung der Arbeits- und Produktionsprozesse, von Konzernstrukturen und Beschäftigungsverhältnissen.

Das gewerkschaftliche Organisationsprinzip ist unbestritten überholt, die Formel "Ein Betrieb - Eine Gewerkschaft" obsolet. Noch orientieren sich die Gewerkschaften an den Strukturen der vierziger und fünfziger Jahre. Anstatt aber das Ganze vom Kopf auf die Füße zu stellen, werden noch abstraktere Gebilde gebastelt. Meistens sogar an den Mitgliedern vorbei, die angeblich gar nicht daran interessiert sind, wie der Verein heißt. Die einfachste Lösung, die direkte Mitgliedschaft im DGB, sei nicht durchsetzbar.

Eine gewisse Logik hatte Ende der achtziger Jahre die Gründung der IG Medien. Sie entstand aus der Kartellgewerkschaft Kunst und der IG Druck und Papier. Unter dem Dach der Gewerkschaft Kunst waren verschiedene Fachverbände vereint: Rundfunk-, Fernseh- und Filmschaffende, Bühnenangehörige, Artisten, Orchester- und Solomusiker, Schauspieler, Maler und Bildhauer, Musiklehrer und Angehörige anderer kreativer Berufe. In der IG Druck und Papier waren neben den "klassischen" Beschäftigten im Druck- und Druckvorstufenbereich auch der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) und die Deutsche Journalisten Union (dju) organisiert. Der Zusammenschluß zur einheitlichen Mediengewerkschaft hatte also Sinn und Verstand.

Spätere Gewerkschaftszusammenschlüsse ließen dies vermissen: Die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF) wurde 1993 von der IG Bau, Steine, Erden "insolvenzfusioniert"; das Gebilde bekam den Namen IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU). Im letzten Jahr schlossen sich die drei Gewerkschaften IG Chemie, IG Bergbau und Gewerkschaft Leder zur IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) zusammen. Die beiden Gewerkschaften Textil-Bekleidung und Holz & Kunststoff beschlossen den Anschluß an die IG Metall. Hartnäckig wird dementiert, daß die Gewerkschaft den Namen IG Mieder, Möbel, Metall bekommt.

Seit einigen Wochen treffen sich nun die Vorsitzenden Eva-Maria Stange (GEW), Margret Mönig-Raane (HBV), Herbert Mai (ÖTV), Rudi Schäfer (Eisenbahner), Kurt van Haaren (Post), Detlef Hensche (IG Medien) und Roland Issen (DAG), um unter Ausschluß der Öffentlichkeit ihre Altgewerkschaften abzuwickeln. Die DAG wird voraussichtlich schon im Herbst dieses Jahres ihre Selbstauflösung beschließen, die DGB-Gewerkschaften sollen 1999 diesem Beispiel folgen. Warum diese Eile?

Der DAG-Chef Issen erklärt das Tempo so: "Wir müssen den Zeitraum, in dem die Gründungsmitglieder als Konkurrenzorganisationen nebeneinander arbeiten, möglichst kurz halten. So soll verhindert werden, daß sie in den Betrieben in alte Gegnerrituale zurückfallen." Die beteiligten Gewerkschaften trauen sich gegenseitig nicht über den Weg und treten deshalb auf die Bremse. Mönig-Raane (HBV) spricht in diesem Zusammenhang von "kriegerischen Landnahmen".

Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Die Beschäftigten des Warenverteilzentrums der Firma Elba-Bürosysteme werden nach den gültigen Tarifverträgen der Papierverarbeitung bezahlt. Zuständige Gewerkschaft ist die IG Medien. Elba gründete die Firma Häring Logistik GmbH und wollte den günstigeren ÖTV-Tarif annehmen. Die ÖTV war dazu bereit und bot sich an, sowohl einen Tarifvertrag abzuschließen als auch die Mitglieder von der IG Medien zu übernehmen. Doch die Beschäftigten wollten keinen Tarif- und Organisationswechsel und setzten mit zwei Warnstreiks den IG Medien-Tarifvertrag durch.

Ob durch eine gemeinsame Gewerkschaft das unterschiedliche Tarifniveau durchbrochen wird, wird bezweifelt. Selbst im Tarifbereich des öffentlichen Personennahverkehrs der ÖTV gibt es ein Stadt-Land-Gefälle. Pinneberger Busfahrer bekommen im Schnitt beispielsweise 15 Prozent weniger Gehalt als ihre Hamburger Kollegen. Warum also die Fusionshektik? Hier scheint das Prinzip "Rette sich, wer kann" zu greifen. Eine durchdachte Organisationsreform findet nicht statt. Dafür soll bis Ende Februar eine "gemeinsame Plattform" vorliegen, über die dann "die Gremien" diskutieren dürfen.

Die Beteiligten betonen zwar, daß es keine aufnehmende und keine aufgehende Gewerkschaft geben wird. "Damit unterscheiden wir uns schon von den Konzentrationsprozessen, die es unter dem Dach von IG Chemie und IG Metall gegeben hat", sagt Issen im IG Medien-Forum. Man ist sich einig, ein völlig neues Gebäude zu errichten: "Die alten Gewerkschaften wird es dann nicht mehr geben." Niemand kann sich so richtig vorstellen, wie das neue Gebäude ausschaut. Sicher ist nur, daß die Bauzeit atemberaubend kurz sein wird. Das läßt wiederum nur einen Schluß zu: Bei diesem Tempo muß den sieben Gewerkschaften das Wasser bis zum Hals stehen.