Tricksen für Maastricht

Durch massive Belastungen der Arbeitnehmer und "kreative Buchhaltung" hat Deutschland die Kriterien für die Währungsunion doch noch erfüllt

Dem sozialdemokratisch orientierten Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin fehlt schon seit längerem der rechte Glaube an die offiziellen Zahlen der Bundesregierung über die Neuverschuldung des Bundes. Schon im Januar hatte es 3,3 Prozent Staatsdefizit prognostiziert, direkt vor der Niedersachsen-Wahl zweifelte es die offiziellen 2,7 Prozent Neuverschuldung erneut an.

Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Schäuble und Wissenschaftsminister Rüttgers (CDU) hatten das DIW daraufhin scharf kritisiert und mit der Streichung der Bundeszuschüsse für das Institut gedroht. In der vergangenen Woche beharrte das DIW aber wieder auf seiner These, daß die eigentliche Neuverschuldung über dem Maastricht-Kriterium von drei Prozent liege. Erst nach der Präsentation weiterer gesamtwirtschaftlicher Daten durch das Bundesamt für Statistik in Wiesbaden akzeptierte das Institut die offizielle Neuverschuldungshöhe von 2,7 Prozent für das Jahr 1997. An seiner Kritik, das Defizit sei nur durch Sondermaßnahmen unter die Drei-Prozent-Marke gedrückt worden, hält es aber fest. Die Finanzpolitik des Bundes sei nicht darauf angelegt, dauerhafte Stabilität zu gewährleisten, heißt es in einer Erklärung des DIW. Dies sei jedoch ein weiteres Kriterium für den Beitritt zur Währungsunion.

"Haushaltsmanöver" und Tricks werfen auch Wilhelm Nölting, der ehemalige Präsident der Landeszentralbank Hamburg, und drei Wirtschaftsexperten, die beim Verfassungsgericht eine Klage gegen die Einführung des Euro eingereicht haben, der Bundesregierung vor. Zahlungen an die EU und an die Bundesanstalt für Arbeit seien nach Meinung der Kritiker auf das nächste Jahr verschoben worden, um mit Hilfe einer "kreativen Buchhaltung" die Maastricht-Voraussetzungen zu erfüllen. So wurden manche Posten einfach aus dem Staatsdefizit herausgerechnet: Der Erblastentilgungsfonds, in den die Schulden der DDR und der Treuhand eingegangen sind, die Pflegeversicherung, die Kosten der Bahnprivatisierung und der öffentlichen Krankenhäuser, der Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie weiterer Privatisierungen.

Die Aufwendungen für diese Institutionen wurden vom Defizit abgezogen, aber im Brutto-Inlands-Produkt (BIP) tauchten ihre Beiträge zur gesamtwirtschaftlichen Leistung plötzlich wieder auf. Dadurch stimmt zwar die Rechnung zur Neuverschuldung, ihre Aussagekraft über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit tendiert jedoch gegen Null. Das Bundesamt für Statistik und die Bundesregierung begründeten diese Vorgehensweise damit, daß es sich hier um deutsche Sonderbedingungen handele. In anderen Ländern würden diese Finanzlasten nicht anfallen und könnten somit nicht in einen Vergleich eingehen.

Dagegen erlauben die veröffentlichten Daten einige Aussagen darüber, auf wessen Kosten die Euro-Kriterien doch noch erreicht wurden. Die Neuverschuldung des Staates belief sich 1997 auf 101,9 Milliarden Mark, während die Sozialversicherung einen Finanzierungsüberschuß von 4,7 Milliarden Mark erzielte. Diese "Staatseinnahmen", erreicht durch die überproportional gestiegenen Sozialbeiträge, trugen wesentlich zur Verminderung der Schuldenaufnahme bei - die Arbeitnehmer wurden überdurchschnittlich belastet. Die gesamten Steuereinnahmen lagen im Jahr 1997 dagegen nur um 0,4 Prozent über dem Vorjahresergebnis. Eine wesentliche Ursache dafür war der beinahe komplette Wegfall der Steuer auf höhere Einkommen von Selbständigen.

Bevor die Teilnehmer der Währungsunion Anfang Mai endgültig feststehen, werden die offiziellen Daten des Statistischen Bundesamtes noch einmal geprüft. Am 25. März beschäftigt sich die Bundesbank mit der Bilanz, anschließend wird sie von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Währungsinstitut untersucht. Politisch hergestellte Sonderbedingungen werden dort wohl auf weniger Gegenliebe stoßen als in Wiesbaden, setzte doch gerade der deutsche Finanzministers Waigel die anderen Länder unter permanenten Druck, ihre Staatsdefizite abzubauen und dabei keine Tricks zu versuchen.

Italien beispielsweise hat die Neuverschuldungsgrenze nur durch eine einmalige Sondersteuer erreichen können, Spanien und Portugal kündigten schon an, im nächsten Jahr die Staatsausgaben wieder zu erhöhen.

Die Spannungen zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien, Österreich und Luxemburg einerseits und Italien, Spanien, den Niederlanden, Finnland, Portugal sowie Irland auf der anderen Seite werden weiter zunehmen. Droht in den erstgenannten Ländern eine Deflationsspirale durch geringe Lohnzuwächse unter der Produktivitätssteigerung, so wächst die Ökonomie in den anderen Ländern so rasch, daß Inflationsgefahren aufkommen und die Leitzinsen erhöht werden müßten. Die mächtigeren Länder unter Führung Deutschlands werden dies wohl verhindern, denn höhere Zinsen bedeuten weniger Investitionen.

Das Resultat einer einheitlichen Währung mit gemeinsamer Zinspolitik wird daher sein, daß verschiedene Länder ihre Defizite in der Leistungsbilanz nicht mehr durch eine Abwertung ihrer Währungen korrigieren können, wie es derzeit die südostasiatischen Ländern versuchen. In der Konsequenz bedeutet dies, daß Länder wie Spanien oder Italien, in denen die Lohnstückkosten höher sind als in Deutschland, ab 1999 von Exporten überschwemmt werden.