Treuhand für Mitteleuropa

Von der EU-Ost-Erweiterung wird vor allem das Agro-Business profitieren

Die wirtschaftliche Ost-Erweiterung, so plant die EU-Kommission, steht für Polen bereits im Jahr 2000, für Tschechien und Ungarn zwei Jahre später an. Schon die Milliarden für die "Modernisierung der mitteleuropäischen Streitkräfte" - notwendig für den parallel stattfindenden Natobeitritt - werden die Länder nicht aus der Portokasse bezahlen können. Doch nicht nur für Rüstungsgüter wird die Bevölkerung der westorientierten Länder tief in die Tasche greifen müssen.

Spätestens, als Zehntausende im November 1989 von Ost- nach Westberlin strömten, erkannten die Europastrategen aus den Kommissionsetagen der EG die Folgen des Ostzerfalls. So wie die Ostberliner würden auch Mitteleuropäer Reise- und Konsumdrang verspüren. Warum auch nicht. "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr", lautete ein Slogan in Ostdeutschland. Die Konsequenz ihres Wunsches erkannten die wenigsten: Zwar wurde die DDR Teil der Europäischen Gemeinschaft, doch Wirtschaftszweige mit geringer Produktivität - vor allem die Landwirtschaft - wurden vernichtet und ihre Ex-Beschäftigten in die Sozialhilfe oder bestenfalls in die ABM-Schleife geschoben.

Polen, Tschechien und Ungarn stehen nun, acht Jahre nach der deutsch-deutschen Vereinigung, auf dem Anschlußplan. Wer aber weiß schon, wie die Mitteleuropäer vor dem Hintergrund der deutschen Vereinigung auf die Erweiterungspläne der EU-Kommission zu sprechen sind. Sicher ist nur, daß die Regierungen zustimmen und bei der Bevölkerung Westwaren angesagt sind. An die lange Integrationsperiode, die die ehemals Westeuropäische Gemeinschaft seit den Römischen Verträgen Mitte der fünfziger Jahre absolvierte, bis die Lebensverhältnisse ansatzweise Angleichung brachten, erinnert sich die Kommission wohl nicht.

Rund fünfzig Prozent des gesamten EU-Haushalts wird heute für die Lobbyismus-geübte Agrarwirtschaft Europas ausgegeben. Nochmals dreißig Prozent sind für die Strukturfonds fällig, rund 125 Milliarden Mark waren es 1995, die, ähnlich dem Länderfinanzausgleich in Deutschland, die Lebensverhältnisse in der EU angleichen sollen. Bei einer Integration Polens, Tschechiens und Ungarns würden zwei Drittel der gesamten Integrationsfördermittel in die Beitrittsstaaten fließen. Die EU-Lobbyisten aber tragen die Erweiterung der EU und damit eine Verlagerung der Transfers nach Mitteleuropa nur mit, wenn sie von dieser Entwicklung gleichfalls profitieren können - sei es durch den Aufkauf der mitteleuropäischen Agrarwirtschaft und somit durch die weitere Abschöpfung der Agrarfonds oder durch Direktinvestitionen, für die sie gleichfalls EU-Strukturfondsgelder einstreichen können. Das Agrobusiness wird also weiter EU-Gelder beziehen, die in süd- und osteuropäischen Agrarunternehmen Beschäftigten werden weiter unter Druck geraten.

Aber nicht nur den unternehmerischen Machtgewinn fördert die Kommission: "Die Erweiterung durch Länder Mittel- und Osteuropas wird das ökonomische und humane Potential der Union und ihr Gewicht und ihre Rolle in der Welt vergrößern", heißt es in der Agenda 2000, dem zentralen Strategiepapier der Kommission zur EU-Erweiterung. Kurz: Die Hegemonialrolle wird erweitert. Gleichzeitig werde "substantieller sektoraler und regionaler Anpassungsdruck aus der Erweiterung resultieren", der vor allem "den Arbeitsmarkt, bestimmte Industrien, besonders in beschäftigungsreichen und anderen traditionellen Sektoren betrifft", so die Agenda weiter. Der Blick auf das "Übungsmodell Ostdeutschland" mit 20 Millionen Menschen zeigt, wie der "Großversuch" mit 49 Millionen integrierten Polen, Tschechen und Ungarn aussehen wird: Die EU-Kommission wird nur wenige Branchen fördern und einige hochproduktive Wirtschaftsstandorte als Modernisierungserfolg der EU preisen, während sogenannte Arbeits- und Sozialämter die "unproduktiven" und für nicht mehr "qualifizierungsfähig" befundenen Bevölkerungsanteile ruhig halten.

Nicht zuletzt läßt sich mit den "arbeitswilligen Mitteleuropäern" trefflich Lohnpolitik machen, schließlich herrscht dann Reise-und Niederlassungsfreiheit. Aber vielleicht werden schließlich doch einige Jobs geschaffen: Bei der Treuhandanstalt/Abteilung Mitteleuropa - der vermutlich einflußreichsten Abwicklungsgesellschaft der post-bipolaren Welt.