EU, EU, und raus bist du!

Die osteuropäischen Kandidaten sind für die EU vor allem als Billiglohnländer und Rohstofflieferanten interessant

Die neue Supermacht wird 25 Staaten und 500 Millionen Bürger umfassen - mehr als jeder andere derzeitige Wirtschaftsblock. Die künftigen Konturen der EU zeichnen sich deutlich ab, seit sie Anfang April in Brüssel die Verhandlungen für ihre Ost-Erweiterung aufgenommen hat. Doch zunächst geht es um die Konditionen, die die zehn Länder sowie Zypern zu erfüllen haben, wollen sie Anfang des nächsten Jahrhunderts zur Union gehören.

Sechs Länder (Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien und der Republik Zypern) sind in der engeren Auswahl der zuständige EU-Kommission. Mit den anderen fünf (Rumänien, Bulgarien, Slowakei, Litauen und Lettland) laufen Vorgespräche. In vier Jahren sollen die ersten Beitritte möglich sein - wenn die Kandidaten bis dahin 80 000 Seiten an Regeln und Verwaltungsvorschriften als nationale Gesetze übernommen haben.

Die europäische Politik wird in den nächsten Monaten von der Auseinandersetzung um die Agenda 2000, den EU-Haushaltsplan für die Jahre 1999 bis 2006, bestimmt. Bis zum Frühjahr 1999 müssen die Entscheidungen gefallen sein, denn dann beginnt der Wahlkampf zum nächsten europäischen Parlament. Die deutsche Kulturlandschaft stehe vor dem Untergang, meinen die nationalen Protektionisten, die ebenso zahlreich in Frankreich, dem wichtigsten europäischen Agrarland, vertreten sind. Die Agenda 2000 müsse entweder grundlegend verändert oder ganz verhindert werden, sonst sei der einheimische Bauer in seiner Existenz bedroht, sagt der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber.

Die Konflikte drehen sich vor allem um die künftige Subventionspolitik. Der halbe EU-Haushalt wurde bisher dazu verwendet, um die Landwirtschaft von Portugal bis Brandenburg zu unterstützen - die Finanzierung der stark agrarisch geprägten Beitrittsländer würde jedoch dessen Rahmen sprengen. Im Agrarbereich sind daher für Zuschüsse neue Kriterien und für die Beitrittsländer lange Übergangsfristen vorgesehen.

Für die ärmsten Regionen soll es künftig Strukturhilfen nur in Form von direkten Lohnzuschüssen geben - statt wie bisher die abgelieferten Erträge pauschal zu subventionieren. Für die Bevölkerung bleibt damit nur eine am Existenzminimum orientierte Grundsicherung übrig, die auch in den Beitrittsländern für die Arbeitslosen und Marginalisierten gelten wird. Daß es dabei zuerst die bayerischen Bauern trifft, ist für sie ein schwacher Trost.

Die Agenda 2000 verlangt von den Beitrittsländern den Aufbau einer Marktwirtschaft und internationale Konkurrenzfähigkeit, bevor die Zuschüsse aus Brüssel bewilligt werden. Westeuropäische Unternehmen sollen einen leichteren Marktzugang erhalten und Betriebe übernehmen oder gründen können. Dafür ist das Rechtssystem, die Finanzpolitik und die Entwicklung des Finanzsektors der jeweiligen Länder an die EU anzugleichen. Die Kriterien werden am ehesten von Ungarn und Polen erfüllt, während die Tschechische Republik und Slowenien wohl noch einige Jahre länger brauchen werden.

Ob die Beitrittsländer allerdings jemals westeuropäisches Niveau erreichen, darf bezweifelt werden. Als ersten Beweis ihrer marktwirtschaftlichen Reife sollen sie die ehemaligen Staatsbetriebe privatisieren oder stillegen und ihre Märkte für EU-Importe öffnen. Das wird zu extremen Handelsdefiziten führen - je stärker die Öffnung, desto höher sind die Defizite. Die geplante Deindustrialisierungkur ähnelt der Entwicklung in der ehemaligen DDR. Die Filetstücke der Wirtschaft werden von westeuropäischen Konzernen aufgekauft. Für die unrentablen Betriebe sind die jeweiligen Regierungen zuständig, da kein nationales Kapital zur privaten Übernahme existiert.

Um die Folgen des Beitrittsprozesses abzumildern, ist ab dem Jahr 2000 eine "Heranführungs-Hilfe" vorgesehen. 1,5 Millionen Ecu pro Jahr sollen die Kandidaten dabei zu unterstützen, sich den Normen der Gemeinschaft in den Bereichen Verkehr und Umwelt anzunähern. Der Gesamtförderungsbetrag ist mit sieben Milliarden Ecu - 14 Milliarden Mark - bis 2002 je Land lächerlich gering. Der Löwenanteil der EU-Gelder bleibt im Westen: Selbst bei der Aufnahme von fünf Kandidaten werden von den 275 Milliarden Ecu, die bis 2006 im EU-Haushalts als Strukturfördermitteln eingeplant sind, weniger als ein Fünftel an die neuen Länder fließen. Im Agrarbereich sieht es ähnlich aus.

Die Konditionen kommen einer Erpressung der osteuropäischen Länder gleich: Relevante Zuschüsse gibt es erst dann, wenn die Märkte geöffnet sind. Bis dahin sind die osteuropäischen Betriebe allerdings bereits der Konkurrenz erlegen oder im Besitz von Westkonzernen. Falls die Überkapazitäten der westeuropäischen Unternehmen sie nicht gänzlich überflüssig machen.

Bis dahin haben die Länder noch einiges zu leisten. Die Umstrukturierung und Privatisierung sei bei weitem noch nicht weit genug fortgeschritten, klagen die Unternehmer. Die Löhne seien noch zu hoch, die Produktivität zu gering. Die Arbeitslosenraten in Tschechien (5,2 Prozent), Ungarn und Polen (jeweils rund zehn Prozent) seien viel zu niedrig, heißt es daher unisono in den Kommentaren von Handelsblatt, Economist und FAZ.

Das soll sich jetzt grundlegend ändern. Der Anteil der Landwirtschaft und der Industrie an der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung ist nach den Anforderungen der Agenda 2000 viel zu groß. Polen und Tschechien gelten gar als überindustrialisiert. Das Szenario ist bereits abzusehen: 70 Prozent der 350 000 Arbeitsplätze in der Stahlindustrie, die in den zehn Beitrittsländern noch existierten, sollen bis Anfang des nächsten Jahrhunderts wegfallen, erklärte die EU-Kommission letzte Woche.

Die billigeren Lohnkosten könnten mit der höheren Produktivität in Westeuropa nicht konkurrieren, heißt es in einer von ihr vorgelegten Studie weiter. Nur in den arbeitsintensivsten Branchen der personalen Dienstleistungen, im Agrarsektor und der Bauindustrie können die Beitrittsländer vielleicht noch mithalten. Zuschüsse für Sozialmaßnahmen soll es daher nur geben, wenn gleichzeitig Kapazitäten abgebaut werden.

Insbesondere deutsche Unternehmen profitieren von den Handelsüberschüssen mit dem Osten - günstiges und qualifizierte Arbeitskraft, billige Rohstoffe und neue Absatzmärkte locken. Der deutsche Außenhandel mit Ostmitteleuropa ist in den letzten drei Jahren bei den Exporten wie den Importen schneller gestiegen als der Handel mit der EU, er wuchs knapp viermal so schnell wie der deutsche Außenhandel insgesamt. Die deutschen Direktinvestitionen in Osteuropa übertreffen mittlerweile die aller anderen EU-Staaten, insbesondere in Polen und Tschechien zeichnet sich eine beherrschende Position des deutschen Kapitals nicht nur in einzelnen Branchen wie der Automobilproduktion, sondern für die ganze Wirtschaft ab. Osteuropa dient dem deutschen Kapital immer mehr als rentabler Anlageraum, der Ostasien und andere Krisenregionen des Weltmarktes ablöst. Der Lebensraum-Vorwurf des türkischen Nicht-EU-Qualifikanten Yilmaz an Deutschland ist durchaus berechtigt.

Die Aussichten für die Beitrittsländer sind da wesentlich ungünstiger: Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin werden sie in 20 Jahren - bei einem EU-Beitritt zwischen 2002 und 2005 - erst ein Pro-Kopf-Einkommen von 30 bis 70 Prozent des westeuropäischen Durchschnitts erreichen können. Die osteuropäischen Kandidaten sind für die EU als Billiglohnländer und Rohstofflieferanten interessant, nicht aber als gleichberechtigte Mitglieder.