Männer ohne Eigenschaften

Schröder als Manager neuen Typs: Politiker, die die Gesellschaft wie ein Unternehmen führen

Tony Blair hat es bereits geschafft, Gerhard Schröder will es nun in der SPD versuchen. Und in den USA sitzt Vizepräsident Al Gore in den Startlöchern. Wächst ein neuer Typus von Politiker heran? Soviel steht schon fest: An seiner liberalen Haltung in Wirtschaftsfragen darf er keinen Zweifel aufkommen lassen. Jedem Staatseingriff muß er gemeinschaftliche Verabredungen vorziehen. Nicht zuletzt hat er sich Gedanken zu machen, was eine Gesellschaft außer Geldverdienen noch zusammenhält. Jedenfalls legen das die Sozialwissenschaftler Anthony Giddens (London), Ulrich Beck (München) und Amitai Etzioni (Washington) ihren Klienten nahe; die Sozialdemokratie soll sich offenbar zur "ideellen Gesamtpartei der Gesellschaft" transformieren. Nach italienischem Vorbild empfiehlt es sich, bei künftigen Kabinettslisten Platz für Bankier und Unternehmer zu lassen. "Denn heute ruft das Verlangen nach einem 'Leader' nicht nach dem Krieger", schreibt die italienische Marxistin Rossana Rossanda, "sondern nach einem Manager, der die Gesellschaft wie ein Unternehmen führen soll." Der neue Autoritarismus sei durch marktwirtschaftliche Effizienz und Aktionärsdemokratie inspiriert.

Das gesellschaftliche Geschick soll, in diesen schwierigen Zeiten durchaus bürgerlichen Instinkten folgend, in die Hände von Kapital und Konkurrenz gelegt werden. Alles für Geist und Tatkraft des Unternehmers zu tun, versprechen auch die wirtschaftspolitischen Thesen von Gerhard Schröder. Das neoliberale Bekenntnis hat dem künftigen SPD Kanzlerkandidaten die nötige Aura für sein Modell "einer gleichermaßen produktiven wie sozial befriedeten Gesellschaft" verschafft. Das Land ist von Arbeitslosigkeit, Reformstau und Verschuldung geplagt; durch weniger "Lohnnebenkosten", "versicherungsfremde" Leistungen und Unternehmenssteuern soll nun alles besser werden. Wenn nur jede einzelwirtschaftliche Rechnung stimmt, kritisierte Oskar Negt kürzlich diese Formel, soll sich die Wohlfahrt für die ganze Gesellschaft von alleine einstellen. Prompt fängt sich die Bundesrepublik den "Lega-Norte-Virus" ein: Bayern und Baden-Württemberg kündigen die deutsche Umverteilungsgemeinschaft auf.

Wird sich dieses Land durch den Traum von einem produktiven wie sozial befriedeten Block beglücken lassen? In der bürgerlichen Frühgeschichte war es das Lager der industriellen Klassen, zu denen Saint Simon Industrielle und Bankiers zählte. Henry Ford und Walter Rathenau schwebte das Bündnis von Unternehmern, Facharbeitern und Staat vor. Aber schon in den dreißiger Jahren wollte der italienische Marxist Antonio Gramsci die Möglichkeit nicht ausschließen, daß die produktiven Kräfte gegenüber den bloß umverteilenden in die Minderheit geraten könnten.

Wie müßte der innovative und gerechte Block denn heute aussehen? Gegenüber den im amerikanischen Kongreß vertretenen Bundesstaaten und Interessenskoalitionen hat die Clinton-Administration Rechtsanwälte und Investmentbanker um sich geschart. Nicht Klassenkämpfe schreiben amerikanische Geschichte, sondern Ermittlungsverfahren und Gerichtsprozesse. Müßte Gerhard Schröder also am Hofe der Deutschen Bank den Chefökonomen Norbert Walter und den Chefberater Roland Berger für sich gewinnen? Tatsächlich wollen seine Thesen den "Faktor Arbeit" mit weniger Lohn, aber garantierter Mindestversorgung ruhigstellen. Dem künftigen Unternehmertum sollen freiberufliches "Können und Wissen der Menschen" sowie ein "verschlankter Staat" angedient werden.

Natürlich braucht die Volkswirtschaft auch neue Unternehmer. Schröders wirtschaftspolitischer Diskussionskreis denkt an den "Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" und den "Unternehmer als schöpferischen Zerstörer". Diesen Unternehmerbegriff, der auf den österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter zurückgeht, hat der Sozialwissenschaftler Heinz Bude der Zeitschrift Merkur einem neuerdings an Ökonomie interessiertem Bildungsbürgertum vorgestellt. Auch in Kapitalistenkreisen gilt es, die Spreu der "Etui-Menschen" vom Weizen der "energischen Charaktere" zu trennen.

Allein letztere hätten den "gewissen Blick", die überschüssige Kraft und die Bereitschaft, "mit Gegendruck in Form rechtlicher, politischer, organisatorischer oder kultureller Zwänge umzugehen". Dieser Fabrikant sei früher durch Familie, Militär und Bürokratie geprägt gewesen. Noch in den fünfziger Jahren habe eine "Mischung aus Detroit und dem alten Preußentum" geherrscht. Mit dieser Entwicklung ist auch die der Managementformen einhergegangen: Aus dem patriarchalischen Verhältnis erwuchs das militärische Stab-Linien-System. Und die modernen Produktionssysteme arbeiten an der Aufhebung des bisher zwischen Buchhalter und Lohnarbeiter getrennten Lohn- und Kostenbewußtseins.

Das System ergreift Besitz von Herz und Seele. In der modernen Wirtschaft ist der Dispositeur von Vermögen, der Regisseur von Wertschöpfungsketten und Moderator zwischen unterschiedlichen Akteuren gefragt. "Nicht 'Menschen'", glaubt Bude, "sondern 'Probleme' bestimmen seinen Blick auf die Geschäfte." So kommt es bei der Gentechnik nicht auf zeitverschwenderisches Abwägen an, sondern auf den "Flirt mit dem Unsicheren und Ungewissen". Nicht zu übergehen sei aber: "Der Unternehmer ist nicht auf Gefolgschaft angewiesen, sondern auf Kredit." Ob Industrieunternehmung, Handelskette oder Versicherungsgesellschaft - immer ist das Eigenkapital nur die Basis für turmhohen Kredit. Für Hajo Riese, Professor für Volkswirtschaft an der FU Berlin, geht die neuere Ökonomie noch einen ganzen Schritt weiter: Im Grunde sei das Subjekt der Gesellschaft der Vermögensbesitzer und der Unternehmer nur noch sein Gehilfe.

Zwar haben Schröders Thesen versprochen, aus dem unentwickelten Besitzer von Arbeitsvermögen einen entwickelten Vermögensbesitzer zu machen: "Wir werden die Vermögensbildung bei unselbständig Beschäftigten mit Nachdruck fördern." Das würde auch den Sozialabbau erleichtern, und Alter, Gesundheit und Ausbildung könnten wieder zur Privatsache werden. Aber ansonsten umgehen die Thesen den Tatbestand finanzkapitalistischer Vorherrschaft - die sich jeden Haushalt, jedes Unternehmen und jede Behörde bereits angeeignet hat. Aus allen Konzernspitzen werden Finanzholdings gemacht, jedes Subjekt wird als shareholder entdeckt. Wäre es also nicht konsequenter, wenn die Thesen gänzlich auf den spekulativen Geist und die spekulative Tatkraft bauen würden?

Schröder würde zwar alle Maßnahmen der Vermögensbildung und Kapitalmobilisierung aufzählen, bemerkt Joachim Bischoff. "Aber über die Schwierigkeiten der Kontrolle des Geld- und Finanzkapitals wird kein Wort verloren." Für den Sozialismus-Redakteur ist der Zeitpunkt absehbar, wo die "neue SPD" der stakeholder-Gesellschaft entsteht.

Im Kapitalismus komme dem Zustand des modernen Kreditwesens, schreibt Marx im "Kapital", entscheidende Bedeutung zu, weil es die spekulativen Affären immer mit seiner Fähigkeit kompensieren müsse, "den Mann ohne Vermögen, aber mit Energie, Solidität, Fähigkeit und Geschäftskenntnis" Kapital zu geben. Dadurch könne das Kapital seine Basis erweitern und neue Kräfte rekrutieren. Dank "neuer sozialer Bewegungen" hat die Bundesrepublik ihr politisches Personal auffrischen können. Auch für die Unternehmenskultur kann auf eine derartige Frischzellenkur nicht verzichtet werden. "Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klassen in sich aufzunehmen", resümiert Marx, der wieder die Frauen vergißt, "desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft."