Sicherung durchgebrannt

Die Unternehmer und Schröders designierter Arbeitsminister Riester bereiten sich schon auf ein Bündnis für Arbeit nach der Bundestagswahl vor

Ein Lieblingsrezept im Wahlkampf von Gerhard Schröder heißt "Bündnis für Arbeit". Die künftigen Bündnispartner stellen sich jetzt schon auf die Kanzlerrunden unter dem Niedersachsen ein: In einem letzte Woche vorgelegten Papier fordert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) von einer neuen Regierung, die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung auf "Basissicherungen" zu reduzieren. Die private Vorsorge soll Vorrang haben, Leistungen der Krankenversicherung hingegen möchten die Unternehmer auf das "medizinisch Notwendige" reduzieren.

BDA-Präsident Dieter Hundt will dafür zunächst die Beitragsbemessungsgrenze auf dem heutigen Stand von 8 400 Mark monatlich (West) einfrieren. Bisher wurde diese Grenze jährlich entsprechend der Lohnentwicklung angepaßt. Damit entwickele sich die Rente schrittweise zu einer Basissicherung, erklärte der Unternehmer-Chef. Schließlich nähmen auch die Einnahmen langsamer zu, wenn die Beitragsbemessungsgrenze nicht mehr steige. Mit seinem "Reformkonzept" möchte Hundt die Beiträge auf unter 19 Prozent senken - derzeit liegt der Beitragssatz der Rentenversicherung bei 20,3 Prozent.

Die beitragsfreie Anrechnung von Ausbildungszeiten wollen die Arbeitgeber ebenfalls streichen. Und wenn es die demographische Entwicklung erfordere, soll auch die bisherige Altersgrenze von 65 nicht mehr gelten. "Wir stehen vor der Wahl, für eine gegebene Rente länger zu arbeiten oder für eine gegebene Lebensarbeits- und Beitragszeit eine geringere Rente zu erhalten", spricht der BDA-Boß schon mal für alle.

Im Grunde möchte Hundt die Sozialbeiträge auf unter 38 Prozent senken. Er bezog das BDA-Konzept ausdrücklich auf die kommende Bundestagswahl und das von SPD und Gewerkschaften angestrebte neue Bündnis für Arbeit. Das Bündnis sei zwar keine schlechte Idee, "aber betriebliche Vereinbarungen sind dem vorzuziehen", erklärte er. Allerdings dürften die Sozialkürzungen der Regierung Kohl auf keinen Fall rückgängig gemacht werden - insbesondere lehnen die Unternehmer die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes ab. Ebenfalls keine Gnade beim BDA findet die vom designierten SPD-Arbeitsminister und stellvertretenden IG-Metall- Chef Walter Riester vorgeschlagene "milliardenschwere, bedarfsorientierte Mindestrente nach dänischem Modell".

Vor allem aber fordert Hundt, daß die Eigenvorsorge grundsätzlich Vorrang vor kollektiver Absicherung erhalten soll. Arbeitslosen- und Sozialhilfe könnten zusammengelegt, die Leistungen gesenkt und so auch geringbezahlte Arbeit wieder attraktiv machen. Entsprechend liest sich auch der Rest des BDA-Konzepts: Ausbau des Niedriglohnsektors im Dienstleistungsbereich, Einführung eines Kombi-Lohn-Modells, bei dem der Verdienst durch staatliche Zuschüsse aufgestockt wird, Streichung der Unterstützung, wenn Billigjobs abgelehnt werden, Erhaltung der versicherungsfreien 620-Mark-Jobs.

"Die Verwirklichung dieser Vorschläge würde die Sozialleistungen auf breiter Front unter Sozialhilfeniveau senken", kommentierte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer die Vorschläge der Arbeitgeber. Das Einfrieren der Beitragsbemessungsgrenze würde den Betriebe keine Entlastung bringen, meint auch Arbeitsminister Blüm. Nach einer neuen Berechnung des Bundesarbeitsministeriums sind die Klagen der Unternehmer und des Staates über ständig steigende Kosten der Sozialversicherung sowieso obsolet: Der Anteil des Staates und der Unternehmen an der Finanzierung des Sozialbudgets ging von 1960 bis heute kontinuierlich zurück; nur der Anteil der privaten Haushalte stieg um rund die Hälfte auf derzeit rund 31,6 Prozent. Die Unternehmen tragen statt einem Drittel nur noch 28 Prozent bei, der Anteil des Staates reduzierte sich von 45 auf gut 40 Prozent.

Das darf Blüm aber nicht zu laut sagen, störte es doch seine eigenen Reformvorhaben erheblich. Die derzeit tagende Enquetekommission "Demographischer Wandel" des Bundestages soll ihren Bericht nach dem Willen der Regierung nicht vor der Wahl veröffentlichen. In ihrem Konzept ist nach einem Bericht des Spiegel eine Besteuerung der Renten, eine Ausdehnung der Lebensarbeitszeit und die Einführung kapitalgedeckter Elemente wie Lebensversicherungen oder Betriebsrenten vorgesehen.

Gerhard Schröder schloß sich der Stoßrichtung der Unternehmer grundsätzlich an: für die Jugendlichen von heute könne es nur noch eine "beitragsfinanzierte Grundsicherung" bei der Rente geben. Damit setzte er sich von der Forderung nach einer "steuerfinanzierten Mindestrente" ab, die sein designierter Arbeits-und Sozialminister Walter Riester gefordert hatte. Riester wollte Renteneinkommen unter dem Existenzminimum staatlich bezuschussen und so den armen Alten den Gang aufs Sozialamt ersparen. Der Kanzlerkandidat will nun offensichtlich einen Kompromiß mit den Arbeitgebern aushandeln, der darauf hinausläuft, die normale beitragsbezogene Rente zu minimieren. Die staatliche Steuer- und Sozialpolitik gehört nun nach Schröders Intervention zu den disponiblen und verhandelbaren Gegenständen eines Bündnisses für Arbeit unter Führung der SPD.

Kompromißbereit zeigen sich die SPD-Führung und ihr potentieller Arbeitsminister bei einem weiteren zentralen Punkt eines neuen Bündnisses für Arbeit. Ginge es nach dem Willen des DGB und des IG-Metall-Chefs Zwickel, würde eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich die Gewerkschafts-Forderung sein. Auf dem Arbeitszeitkongreß des DGB vor einer Woche schaltete Riester in seinem Abschlußvortrag jedoch einen Gang zurück und sprach nur noch von einer generellen Arbeitszeitverkürzung um zehn Prozent.

Dafür bot er längere, flexiblere Wochenarbeitszeiten an. Flexibilisierung der Arbeit als Angebot an das Kapital: In der Ausweitung der Teilzeitarbeit und ihrer sozialen Absicherung im Rentensystem liegt nach Riester das größte Jobpotential nach dem Vorbild der Niederlande und Dänemarks. Ein neues Bündnis für Arbeit soll mit dem Hauptziel antreten, Billigjobs von Sozialversicherungsabgaben zu befreien. Riester signalisiert, daß die Unternehmer noch mehr herausholen könnten, wenn sie sich nur mit SPD und Gewerkschaft an einen Tisch setzen und ein paar Arbeitsplätze versprechen. Die darf dann allerdings der Staat finanzieren.