Konkurse für Reiche

Wenn im Januar die neue Insolvenzordnung in Kraft tritt, können auch überschuldete Privatleute Konkurs anmelden - theoretisch

Ohne die Nachbarin hätte Christine S. vor zwei Jahren aufgegeben. "Zuletzt hatte ich alles, was im Briefkasten lag, unbesehen in den Mülleimer gestopft", sagt die 33jährige. Werbeprospekte, Briefe, vor allem aber Rechnungen und Mahnungen. "Und wahrscheinlich wäre da irgendwann der Räumungsbescheid dabei gewesen - und ich hätte das gar nicht mitgekriegt." Nachdem ihr Mann gleich zu Beginn ihrer Schwangerschaft abgetaucht war und sie mit dem gemeinsamen Bankkredit für den neuen Audi, aber ohne das Auto zurückgelassen hatte, war sie auch noch ihren Job losgeworden. "Da habe ich mich erst einmal in Selbstmitleid zurückgezogen", sagt sie. Sie habe einfach nicht glauben können, daß ihr das passiert. Der Bann brach erst, als die Nachbarin eingriff und sie zu ihrer Schwägerin in die Schuldenberatung der Caritas schickte. "Als ich da merkte, es sind nicht viel mehr als 10 000 Mark, habe ich mir vor Erleichterung fast in die Hose gemacht."

Trotzdem: Nach fast zwei Jahre arbeitet S. jetzt in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose. 1 400 Mark hat sie im Monat zum Leben, fast 400 Mark davon gehen an die Gläubiger, das meiste an die Bank. Aber obwohl sie mehr als 6 000 Mark abgestottert hat, erhöhte sich ihr Schuldenberg mittlerweile auf rund 12 000 Mark. Wegen der Zinsen.

"Da komme ich wohl nicht mehr von los", ist ein Standardsatz, den jeder Gerichtsvollzieher mehrmals täglich zu hören bekommt. Mindestens 30 Jahre dauert es, bis die Forderungen von Gläubigern verjähren. Und wenn einer zwischenzeitlich ein Vollstreckungsverfahren einleitet, beginnt die Frist wieder von vorn. Gleichzeitig wächst die Zahl derjenigen, die ihre Zahlungsverpflichtungen in absehbarer Zeit nicht begleichen können und nicht einmal über genug Mittel verfügen, um ihren Lebensunterhalt zu decken. Jeder zwanzigste Haushalt ist überschuldet. Und oft ist die einzige Chance eine Schenkung oder ein Lottogewinn.

Christine S. hat keins von beiden zu erwarten: "Ich vergeude mein bißchen Geld doch nicht mit Spielen." Sie hofft aber auf die neue Insolvenzordnung, die am 1. Januar 1999 endlich in Kraft treten und auch privaten Schuldnern eine Art Konkurs ermöglichen soll - mit Restschuldbefreiung wie bei Unternehmen. "Warum sollen Leute, die sich so viel Mühe geben, nicht die Chance bekommen, noch einmal neu anzufangen?"

Das hatte 1985 auch eine Expertenkommission für Insolvenzrecht gefragt, die vom damaligen sozialdemokratischen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel beauftragt worden war, das Konkurs- und Vergleichsrecht zu überarbeiten. Anlaß zur Generalüberholung war vor allem die Erkenntnis, daß beinahe drei Viertel aller Insolvenzen in der Wirtschaft gar nicht ordentlich abgewickelt werden konnten, weil nicht genug Masse vorlag, um überhaupt ein Konkursverfahren zu eröffnen. Bei weiteren zehn Prozent wurde das Verfahren wieder eingestellt. Bei Privatschuldnern stellte sich das Problem ähnlich: Viele Gläubiger gaben sich mit Kleckerbeträgen zufrieden, weil niemand garantieren konnte, daß der Überschuldete irgendwann wieder Geld verdienen würde.

So enthielt der nächste Entwurf im Jahr 1988 die Einführung einer Restschuldbefreiung auch für sogenannte natürliche Personen, was heftige Diskussionen auslöste. Die Inkasso-Firma Creditreform erklärte, nun sei "die Sozialpolitik in das Insolvenzrecht eingebrochen". Sozial- und Verbraucherverbände monierten dagegen, daß der Passus zu abstrakt daherkomme und "wenig mit dem realen Leben zu tun" habe. Sie kritisierten, daß eine siebenjährige "Wohlverhaltensperiode" als Voraussetzung für die Befreiung vorgesehen war. In dieser Zeit muß der Überschuldete den Teil seines Einkommens, der über den Sozialhilfesatz hinausgeht, abtreten, Arbeit suchen und annehmen, egal, wie berufsfremd oder räumlich entfernt sie ist.

Ihr Gegenentwurf, der von einer Fünfjahresfrist, flexibleren Möglichkeiten bei der Entschuldung und einem einfacheren Verfahrenszugang ausging, fand aber im Entwurf von 1992, der dann an den Bundesrat weitergeleitet wurde, so gut wie keine Berücksichtigung.

Das lag auch daran, daß die Länder nun auf ganz neue Probleme aufmerksam machten: Wenn tatsächlich eine relevant höhere Zahl von Konkursverfahren eröffnet werden sollten, reichen die vorhandenen Konkursgerichte nicht aus, hieß es. Neueinstellungen von Richtern würden aber die Haushalte sprengen. Im Vermittlungsausschuß einigte man sich 1994 schließlich darauf, das Gesetz erst zum 1. Januar 1999 in Kraft treten zu lassen und den Ländern so mehr Zeit zu verschaffen.

"An den Bedingungen hat sich seitdem nicht viel geändert", sagt Cora Molloy von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen. Die Zahl der Richter reicht noch längst nicht aus. Auch für die Schuldner - egal, ob es sich um Unternehmen oder private handelt - bedeutet das Nachteile. Da künftig nicht mehr jedes Amtsgericht Insolvenzfälle bearbeiten kann, sondern nur noch dann, wenn es am Ort auch ein Landgericht gibt, werden sie lange Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen.

Ohnehin scheint es, als sei das "einfache Insolvenzverfahren", das nun bei privater Zahlungsunfähigkeit angestrebt werden kann, nicht unbedingt für wirklich verzweifelte Schuldner gemacht. Bis sie tatsächlich hoffen können, von der Restschuld befreit zu werden, müssen sie erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen - und das vergebliche Bemühen genau dokumentieren. Ein kleiner Fehler, ein Versäumnis kann alles zunichte machen. Zunächst hält sich das Gericht raus, Schuldner und - alle - Gläubiger müssen versuchen, eine gütliche Einigung zu finden. Das wird dadurch erschwert, daß der Gläubiger wenig Anreiz hat, sich darauf einzulassen. Sein einziger Vorteil wäre, daß er möglicherweise schneller an einen Teil seines Geldes kommt und keine Gerichtskosten entstehen. Nur: Um überhaupt etwas anbieten zu können, müßte der Überschuldete kurzfristig Ressourcen mobilisieren können. Und er muß "planvoll" vorgehen, muß die vorrangigen Gläubiger, das sind die mit Lohnpfändungen, zuerst bedienen. Dabei kann der Entschuldungsplan im Handumdrehen über den Haufen geworfen werden, wenn nur ein Gläubiger ausschert und eine Zwangsvollstreckung beantragt - ein Moratorium gibt es nicht.

Erst wenn das außergerichtliche Verfahren scheitert, kann das Gericht angerufen werden. Dazu müssen aber Einkünfte, Schulden und Vermögen detailliert offengelegt - und ein verbesserter Bereinigungsplan erarbeitet werden. Dann kann das Gericht den Plan in Kraft setzen, auch ohne daß alle Gläubiger zustimmen - nur: Wenn einer widerspricht, ist wiederum der Schuldner in der Pflicht zu beweisen, daß er keine Nachteile hat.

Wenn das alles funktioniert, kann auch der Konkurs beantragt werden, ohne den es keine Befreiung von der Restschuld gibt. Und auch hier gibt es wieder eine Hürde: Das Verfahren kann nur eingeleitet werden, wenn die Masse mindestens dessen Kosten abdeckt. Rein praktisch heißt das: Der Schuldner muß Rücklage für Verfahrenskosten bilden, die nach Einschätzung von Experten bei rund 2 000 Mark liegen dürften, rund 1 200 Mark für Anfrage und Durchführung, 800 für Zustellung. Denn eine Insolvenzkostenhilfe analog zur Prozeßkostenhilfe ist bislang nicht geplant. Nur wenn alles klappt, verteilt ein Treuhänder anschließend das pfändbare Einkommen an die Gläubiger. Und dann beginnt die Bangezeit: Denn jeder, der noch Geld zu bekommen hat, kann gegen die Restschuldenbefreiung klagen. Und wenn der Schuldner bis zu drei Jahren vor der Antragstellung falsche Angaben gemacht hat, um etwa einen Kredit zu kriegen, muß er sich wegen Betrugverdachts verantworten.

Ganz entscheidend ist die Rolle des Treuhänders, der den Schuldner auch während der sogenannte Wohlverhaltensperiode überwacht - und dafür auch bezahlt werden muß. Wenn ihm aus der Masse weniger bleibt als die Mindestvergütung, die bei 200 Mark oder zehn Prozent der Schulden plus einem Stundenlohn von 25 Mark, kann er die Befreiung verweigern. Einzige Chance: Der Schuldner bezahlt ihn aus dem nichtpfändbaren Rest seines Einkommens und muß dann eben mit weniger als dem Sozialhilfesatz auskommen.