Alles bleibt anders

Was Erwerbslose von der Arbeits- und Sozialpolitik der Bündnisgrünen zu erwarten haben

Höhere Benzinpreise und Einschränkung bei den Flugreisen - mit ihren Forderungen zur Energiepolitik haben die Bündnisgrünen unliebsame Popularität erhalten. Doch über die Vorschläge der Grünen zur Arbeits- und Sozialpolitik ist bisher nur wenig zu vernehmen. Dabei hat sich deren Haushaltsexperte Oswald Metzger erst im Juni mit drastischen Vorschlägen zu Wort gemeldet. Was haben Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger von den Bündnisgrünen zu erwarten? Da wäre zunächst deren Grundsicherungsmodell: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollen zusammenfallen, dafür gibt es dann pauschal 800 Mark plus Miete für Einzelpersonen, 70 Prozent davon (plus Mietanteil) für jedes weitere Haushaltsmitglied, egal ob Partner/in oder Kind. So lautet der Beschluß der Bundesversammlung vom letzten November. Damit wären die Bündnisgrünen wieder bei einem Modell angelangt, das in dieser Form auch schon 1990 propagiert werden sollte, dann aber im Wahlkampf unterging.

Die genannte Summe ist zwar höher, als heute an Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) "angeboten" wird, aber niedriger, als es z.B. von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfe-Initiativen (BAG-SHI) gefordert wird. Und es gibt auch noch andere Probleme: Ein Mehrbedarf, zum Beispiel im Alter oder besonderer Pflegebedürftigkeit (denn dies wird keineswegs von der Pflegeversicherung abgedeckt), sollte zunächst bis auf einen Zuschlag von 80 Mark nicht mehr zuerkannt werden. Erst nach einer intensiven Diskussion wurde dies fallengelassen und die "Hilfe in besonderen Lebenslagen" beibehalten. Es ist auch nicht einzusehen, warum die zweite Person im Haushalt nach grünem Modell nur 560 Mark inklusive Kleidergeld und Möbelerstattung bekommen soll. Und wer wird wohl von Amts wegen der Haushaltsvorstand sein und die volle Grundsicherung bekommen? "Der Gesamtbetrag steht allen Haushaltsmitgliedern zu gleichen Teilen zu: Die patriarchale Haushaltsvorstandsregelung des Sozialhilferechts (...) entfällt", behaupten die Bündnisgrünen. Nicht nur von Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen wird dieses Modell wenig euphorisch beurteilt. Da aber auch die grüne Grundsicherung nicht von heute auf morgen zu bekommen ist, werden Modelle zur Vermittlung von Arbeit für SozialhilfeempfängerInnen auch durch deren StadträtInnen initiiert und mitgetragen. Ein aktuelles Beispiel für Berlin ist zur Zeit in Wilmersdorf zu beobachten, wo die aus den Niederlanden stammende Firma Maatwerk im Auftrag der grünen Sozialstadträtin in den nächsten Jahren 250 Arbeitsplätze für SozialhilfeempfängerInnen durch Vermittlung in verschiedene Betriebe schaffen will.

Grundlage für dieses Projekt sind die aus dem Jahre 1997 stammenden Änderungen des Sozialhilfegesetzes. Demnach können Firmen, aber auch z.B. gemeinnützige Organisationen, bei der Einstellung von SozialhilfeempfängerInnen Lohnkostenzuschüsse erhalten. Im schlimmsten Falle heißt es dann: "Bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt", und die Sozialhilfe wird reduziert. "Ich persönlich bin der Meinung, daß der Staat einem Sozialhilfeempfänger eine Arbeit verordnen darf. Wenn er diese ablehnt, dann werden seine Leistungen eben gekürzt", äußerte kürzlich Oswald Metzger, Finanzexperte der Bündnisgrünen, in einem Interview im Berliner Tagesspiegel. Wer nicht (lohn)arbeitet, soll nicht essen.

Und für diejenigen, die dann immer noch keine Arbeit gefunden haben, lautet die Devise: Aufwertung der ehrenamtlichen Arbeit und "Bürgerarbeit". Solche Tätigkeiten fordert auch der Risiko-Soziologe Ulrich Beck in seinem Gutachten für die Freistaaten Bayern und Sachsen. Altenpflege, Behindertenbetreuung, Grünflächenpflege, Hausaufgabenhilfe, der Anzahl der Aufgaben ist keine Grenze gesetzt. Merkwürdigerweise fällt niemandem mehr auf, daß diese Arbeiten früher bezahlt wurden und erst in letzter Zeit wieder den "unerledigten gesellschaftlichen Aufgaben" zugerechnet werden.

Vermutlich wird nicht einmal die freie Wahl der ehrenamtlichen Arbeit uneingeschränkt möglich sein. Im Gegensatz zum deutschen Modell ist aus mehreren Gemeinden in den Niederlanden bekannt, daß SozialhilfeempfängerInnen von staatlicher Vermittlung in verschiedene Jobs oder in ehrenamtliche Arbeit, die ihnen auch dort droht, freigesprochen werden, wenn sie z.B. in Erwerbsloseninitiativen arbeiten. In Deutschland gilt dagegen das Modell, Menschen aus mißliebigen in brave Initiativen umzusetzen, unabhängig davon, wer gerade im Sozialbereich das Sagen hat.

Nach allem, was bis jetzt von den Parteien bekannt ist, dürfte die Aufwertung ehrenamtlicher Arbeit eher moralisch als materiell erfolgen - durch eventuelle Anerkennung von Ehrenamtsjahren bei der Rente oder auch nur eine Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Arbeit - dafür ist wieder kein Geld da.

Um neue Jobs zu schaffen, orientieren sich die Grünen an einem weiteren zentralen Punkt der niederländischen Arbeitsmarktpolitik. Optionale Arbeitszeitgestaltung heißt das Stichwort nicht nur beim Arbeitgeberverband, sondern auch bei den Bündnisgrünen. Sie "sehen in der Entkopplung von individuellen Arbeits- und Betriebszeiten eine Chance für die Anpassung von Arbeitszeiten an die Zeitbedürfnisse der Beschäftigten". Und der Unternehmer, ließe sich hinzufügen. Doch nehmen wir die Grünen beim Wort: Zwischen dem herkömmlichen Teilzeitjob und dem Vollzeitjob sollen sich Arbeiter und Angestellte für vielerlei Arbeitszeitmodelle entscheiden können.

Gleichzeitig sind auch bei ihnen Vorschläge weit verbreitet, daß Menschen in mittleren und oberen Einkommensschichten auf zehn Prozent ihrer Arbeitszeit verzichten und zehn Prozent Lohnverzicht üben. Untere Einkommen enden nach heutigen Maßstäben und Steuertarifen aber schon bei etwa 2 400 Mark netto. Das mag für den/die eine/n viel sein, für alleinerziehende oder gemeinsam erziehende Mütter oder Väter ist es aber zu wenig. Viele arbeitende Menschen würden gerne Arbeitszeit abgeben, aber zugleich auf Lohn verzichten? Und dies liegt weniger an immer neuen Konsumwünschen, sondern an den mittlerweile immens gestiegenen Kosten z.B. für lebensnotwendige Dinge wie Wohnung, Strom, Gas, Nahverkehr etc. Die Lösung: Subventionierung von Niedriglöhnen durch Mittel aus der Sozialhilfe bzw. Grundsicherung, Arbeitszeitverkürzung durch Mittel der Arbeitsförderung, wie es auch schon in der grünen Programmatik vorgesehen ist. Dies heißt dann auch Kombilohn.

Und was würde von den aktuellen Erwerbslosenprotesten Eingang in die Politik dieser Partei finden? Eine Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, d.h. ein Wegfall der Meldepflicht, Wegfall der Kürzungen insbesondere bei der Arbeitslosenhilfe, der disziplinierenden Trainingsmaßnahmen usw., ist von den Grünen solange nicht zu erwarten, wie das jetzige Gesetz noch gebraucht wird, besonders in der möglichen Koalition mit der SPD. Höchstens eine Änderung der Zumutbarkeitsregelung wird erwogen.

Doch außer der PDS hat diese Änderung bisher keine Partei im Programm. Es ist eher zu vermuten, daß diese Probleme nach der Wahl hinter der Parole "Arbeit schaffen jetzt", hinter ein neues Bündnis für Arbeit zurücktreten. So spricht sich Joseph Fischer schon jetzt für einen "New Deal", einen "neuen Gesellschaftsvertrag" und ein neues "Bündnis für Arbeit" aus. Hier decken sich die Vorstellungen mit denen von Gerhard Schröder. Und auch ein Arbeitsminister Walter Riester wird wohl von den Bündnisgrünen problemlos mitgetragen werden können.