Die Macht der Oligarchen

In Rußland erfaßt die Bankenkrise nun auch die Finanzimperien der neuen Reichen

Das Auszählen beginnt, und Wladimir Winogradow mußte als erster dran glauben. Vergangene Woche nahm der Chef der Inkombank seinen Hut. Nun stellen sich viele Russen die Frage, welchem der sogenannten Oligarchen es als nächstem an den Kragen geht, und kaum einer verspürt dabei einen Grund zur Trauer.

Nach drei Monaten Wirtschaftskrise fühlen sich in Rußland auch die ehemals Reichsten der Reichen nicht mehr sicher. Während mal wieder eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Moskau weilt, um über neue Finanzspritzen für die Föderation zu beraten, und zeitgleich eine Delegation der russischen Regierung in London versucht, die westlichen Schuldner zu besänftigen, ist das einstige Imperium Winogradows zusammengebrochen.

Bis auf den dritten Rang in der Liste der größten russischen Kreditanstalten hatte es die Inkombank geschafft. Jetzt kam der Absturz. Das zeigt deutlich, welche Geschäftspraktiken im postsozialistischen Rußland üblich sind: Nach Berichten der Moskauer Tageszeitung Kommersant Daily ermittelt Boris Dobrushkin, Chef der städtischen Steuerbehörde, gegen das Unternehmen. Die Inkombank schuldet dem Finanzamt nicht nur acht Milliarden Rubel, sondern soll Geld, das eigentlich für die Begleichung der Steuerschulden vorgesehen war, für weitere Spekulationen am Anleihenmarkt genutzt haben.

Auch die Zukunft anderer Großbanken sieht düster aus. Etwa sechs Milliarden Dollar sollen russische Geldhäuser bei Devisentermingeschäften verloren haben. Kleine Fische, verglichen mit den insgesamt mehr als 150 Milliarden Dollar, die die Russische Föderation ihren Kreditgebern schuldet. Ein Großteil dieses Geldes hatten die Russen von Staaten und vor allem vom IWF geliehen; die Regierung kann daher kaum etwas gegen den Willen des Fonds entscheiden. So kündigte vergangenes Wochenende Ministerpräsident Primakow kurz nach Veröffentlichung seines "Anti-Krisen-Programms" an, daß es noch zu "Modifizierungen" kommen könne - der IWF hatte zuvor die staatlichen Maßnahmen kritisiert. Das Programm sieht unter anderem Preiskontrollen für bestimmte Grundnahrungsmittel und Medikamente, Steuersenkungen sowie eine "minimale Ausweitung der Geldmenge" vor.

Doch von den internationalen Organisationen kann das Land aus politischen Gründen eher Nachsicht erwarten.Nicht so bei den geplatzten Geschäften mit Privatbanken: Entweder sie bekommen ihr Geld zurück, oder russische Banken erhalten keinen Pfennig von den privaten Kreditgebern mehr.

Die wichtigsten der großen russischen Bankhäuser werden noch immer von einer Handvoll Geschäftsleute kontrolliert, die zum größten Teil durch die berüchtigten "Shares for Loans"-Geschäfte an ihre gewaltigen Besitztümer geraten waren. Dabei nahm der Staat Kredite bei privaten Geldgebern auf und bot ihnen als Sicherheit dafür Anteile öffentlicher Unternehmen. Sobald der Staat seine Kredite nicht mehr bedienen konnte, kassierten die Gläubiger alles ein, was Rußlands Schatzkästchen zu bieten hatte - vor allem Rohstofflieferanten, die auf sichere Devisengeschäfte mit dem Ausland hoffen durften. So tauchten schon bald Namen wie Beresowskij in der Liste der 500 Reichsten der Welt des US-Magazins Forbes auf.

Andererseits investierten die neuen Superreichen ihr Geld in Branchen, die ihnen auf lange Sicht Macht und Einfluß garantieren sollten: Banken und Medien. Kaum eine Holding, die nicht über ein Kreditinstitut und eine Tageszeitung, einen Radio- oder TV-Sender oder alles gleichzeitig verfügt. So war es den neuen Potentaten möglich, ihren Einfluß in der Politik massiv zu verstärken.

Als etwa bei den Präsidentschaftswahlen 1996 ein Sieg des Kommunisten Gennadij Sjuganow nicht ausgeschlossen schien, griffen die "businessmeni" Boris Jelzin mit Geld, Druckspalten und Sendezeit unter die Arme. Mit dem Ergebnis, daß seitdem Beresowskij, einer der sogenannten Oligarchen, als einflußreichster Berater des Präsidenten gilt.

So soll er auch beim Beschluß der Regierung, ein 90tägiges Schuldenmoratorium zu verhängen, entscheidend eingegriffen haben. Denn ohne Moratorium wären die russischen Banken sofort nach der Rubelabwertung zahlungsunfähig gewesen. Doch am 17. November läuft die Frist endgültig ab, und noch immer können die Kreditinstitute ihre Schulden nicht bedienen. Aus diesem Grund sitzt nun ein Konsortium westlicher Geldhäuser unter Führung der Deutschen Bank in London der russischen Delegation mit Vizefinanzminister Michail Kasjanow gegenüber. Sollten die Verhandlungen kein Ergebnis bringen, müssen die Institute mit einer Flut von Gerichtsverfahren rechnen und damit, daß ihre Konten bei ausländischen Banken eingefroren werden. Das würde für sie den Bankrott bedeuten.

Doch daß die Macht der "Oligarchen" noch nicht gebrochen ist, läßt die letzte Amtshandlung Präsident Jelzins vor seinem Abflug ins Sanatorium vermuten: Obwohl er kurz zuvor verkünden ließ, sich in Zukunft aus der Wirtschaftspolitik rauszuhalten, legte er noch schnell sein Veto gegen ein neues Konkursgesetz für Banken ein. Es hätte die Rechte der Anleger und Sparer gegenüber den Besitzern stärken sollen.