Viel Sturm in Köln

Getrennt diskutieren, gemeinsam marschieren? In Köln wurden die Aktivitäten gegen EU- und Weltwirtschaftsgipfel 1999 vorgeplant

Auch die radikale Linke hat manchmal die Qual der Wahl: "Geht man zum Plenum der linken Spinner oder zu den Arbeitslosen, die für die europäische 35-Stunden-Woche kämpfen?" Denn gleich zwei - nach Ansicht der jeweiligen Veranstalter linksradikale - Bündnistreffen wurden Ende Oktober in den beiden Hochschulen Kölns veranstaltet.

Beide beschäftigten sich auch noch mit demselben Thema, nämlich der Organisation von Gegenaktivitäten zum in der Domstadt geplanten "Doppelgipfel": Dem EU-Gipfel am 4. und 5. Juni nächsten Jahres sowie dem zwei Wochen später stattfindenden "Weltwirtschaftsgipfel" (WWG) der G 7-Staaten. Also keine leichte Entscheidung, weswegen einige Teilnehmer eifrig zwischen der Kölner Uni und der Sporthochschule hin und her pendelten.Aber nur die "Reclaim-Europe"-Konferenz konnte sich jung-grüner Beteiligung rühmen.

Zur Konkurrenzveranstaltung des Linksradikalen Anti-EU / WWG-Plenums waren gut fünfzig Personen in die Kölner Uni geströmt. Angereist aus dem ganzen Bundesgebiet sowie Österreich und Polen waren größtenteils internationalistische, antifaschistische, antiimperialistische und Gefangenen-Soli-Gruppen. Ebenfalls vertreten: die Progressive Labour Party, die Assoziation marxistischer Studenten, die Radikale Linke Köln, Spitzenkader der Ökologischen Linken (ÖkoLi) und Bewohner eines Dresdener Hüttendorfes. Weitaus mehr Gruppierungen und Personen, als zu den bisherigen Treffen gekommen waren. Und ein weitaus heterogeneres Spektrum, wie sich zeigen sollte.

Eingeladen hatte das Linksradikale Anti-EU/WWG-Plenum Köln, ein von Jutta Ditfurths ÖkoLi und anderen angeregter Zusammenschluß unterschiedlichster Linker. Dieses Plenum hatte in seinem Anti-Gipfel-Info kein gutes Haar an vermeintlich inkonsequenten Linken gelassen. Das Kölner Antoniter-Kirchen-Bündnis, Veranstalter von "Reclaim Europe", kritisiere lediglich "die Phänomene und einzelne Auswirkungen der imperialistischen Herrschaft und will konstruktive Verbesserungsvorschläge machen".

Und die Euromarsch-Initiative, die das Antoniter-Bündnis mitträgt, wolle "nur mehr Einfluß der metropolitanen reformistischen Arbeiterorganisationen bei der Verteilung und Verwaltung des aus der 'Dritten Welt' und den Armutsregionen der EU geplünderten Profits", so das Anti-Gipfel-Info. Für die "neue Zeitung für Köln" ist daher klar, wie man sich gegenüber der Konkurrenz zu verhalten hat: "Kein Kölscher Klüngel, sondern Abgrenzung!"

Das vom Anti EU/WWG-Plenum geschmähte Spektrum tagte derweil unter dem Motto "Reclaim Europe" in der Sporthochschule, um über "einen Gipfel von unten" zu diskutieren, wie die Organisatorin Angela Klein erklärte. Immerhin erhielt man mehr Zuspruch als die Konkurrenz: Der Einladung des Euromarsches und des "freien zusammenschlusses von studentInnenschaften" waren über 100 Personen aus mehreren europäischen Ländern gefolgt.

Schließlich könne "die soziale Frage nur auf der Basis absoluter Gleichberechtigung aller Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, Herkunft und Religion gelöst" werden, meinte die Trotzkistin Klein gegenüber Jungle World. Zentrales Ziel sei "eine soziale Grundsicherung, die sich nach dem Bedarf richten muß. Auf deutsche Verhältnisse übertragen heißt das: 1 500 Mark plus Warmmiete."

Dabei will man mit allen Gruppen zusammenarbeiten, die "Protest gegen die bestehende EU und ihre Politik äußern und organisieren", um so den "außerparlamentarischen Druck auf die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten" zu erhöhen. Gleichzeitig waren sich die Teilnehmer aber einig, daß "die EU ein imperialistisches und kolonialistisches Machtsystem ist", wie Klein erläuterte. Und diesen Konsens tragen auch junge Grüne mit? Da mußte die Euromarsch-Bundeskoordinatorin zwar erst einen Teilnehmer vom grün-alternativen Jugendbündnis fragen, der aber bekräftigte: "Klar, die EU in der heutigen Form schon!"

Das Linksradikale Kölner Plenum fordert dagegen, "das Fortbestehen kapitalistischer Ausbeutung anzugreifen und für eine antistaatliche Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Abschaffung patriarchal-kapitalitischer Herrschaft einzutreten". Da sind konkrete Forderungen nur Krampf im zugespitzten Klassenkampf. So verwirft Christoph Preuschoff das Projekt einer sozialen Grundsicherung als "reformistisch": "Davon kann man nicht leben, davon kann man höchstens vegetieren!" Das ÖkoLi-Spektrum hat schließlich weiterreichende Ziele: "Wir greifen die G 7 und die EU als supranationale Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen an - so wie beim WWG 1992 in München oder beim letzten EU-Gipfel in Essen 1994", heißt es im Anti-Gipfel-Info.

Diese Zielsetzung stieß aber nicht bei allen TeilnehmerInnen des linksradikalen Bündnistreffens auf ungeteilte Zustimmung. Man dürfe, so ein Vertreter der Progressive Labour Party, nicht "alleine stehen" und sich, wie zuvor in München und Essen, einkesseln lassen.

Gestritten wurde auch darüber, ob man primär gegen den EU- oder den Weltwirtschaftsgipfel vorgehen solle. Dieter Asselhoven, der gleichzeitig der ÖkoLi und dem Plenum angehört, plädierte dafür, den Schwerpunkt auf die EU-Kritik zu legen. "Die G 7 sind ein Relikt aus dem Kalten Krieg", jetzt würden sich regionale Wirtschaftsblöcke wie die EU formieren, in der die "BRD eine dominierende Rolle spielen will". Ein anderes gewichtiges Argument: Die AA/BO könne nur zu einem der beiden Termine einen europaweiten Antifa-Block zustandebringen.

Neben der ÖkoLi, die sich - wie Basismitglied Ute Monalti versicherte - ihre Meinung zum Teil "spontan auf der Hinfahrt" gebildet hatte, plädierte lediglich die VVN-Jugend Bochum für einen EU-Schwerpunkt, um "dem deutschen Imperialismus" etwas entgegenzusetzen.

Für die antiimperialistische Gruppe Libertad ist das aber "grob fahrlässig", man müsse EU wie WWG gleichmaßen im Auge behalten. Tendenziell für einen WWG-Schwerpunkt plädierte das Anti-MAI-Bündnis Berlin, nicht zuletzt, da man sich bei einer EU-Diskussion "verzetteln" könne. Für die ÖkoLi-Bundessprecherin Andrea Capitan war das eher enttäuschend: Beim letzten Treffen war man schon weiter gewesen. Aber da gab ja auch nicht so viele Teilnehmer.

"Besser als beim Treffen in der Sporthochschule ist es hier allemal", urteilte eine Pendlerin. Denn es werde wenigstens diskutiert. Beispielsweise, ob es jemals einen explizit antinationalistischen Befreiungskampf im Trikont gegeben habe. "Mir fällt keiner ein", bekannte Manfred Zieran. Vergleichsweise positiv sei die zapatistische EZLN, die zwar "nicht antinationalistisch, aber immerhin nicht so nationalistisch wie die Eta" sei. Bei aller scharfen Kritik unter anderem an antisemitischen Ideologie-Elementen wollte der Lebensgefährte von Jutta Ditfurth aber auch der PKK nicht vollständig die Solidarität entziehen.

Die Euromarschiererin Angela Klein hoffte in der Sporthochschule auf eine Zusammenarbeit der beiden Bündnisse. Schließlich sei man "inhaltlich in einer Reihe von Fragen gar nicht so weit entfernt voneinander". Und die Linksradikalen hätten in einem gemeinsamen Bündnis "alle Möglichkeiten, ihre Forderungen darzustellen".