Billiger geht's nicht

Gewerkschaftsfrauen sind in Sachen 620 Mark-Jobs über die rot-grünen Jungs entzürnt

Prima, wird sich jetzt so mancher Unternehmer im Osten der Republik sagen, wenn die Leute schon 100 Mark mehr bekommen, können sie auch mehr arbeiten. Ab 1. April 1998 wird der "Geringfügigkeitssatz" von derzeit 520 auf das Westniveau von 620 Mark angeglichen. Die sogenannten "Normalverdiener" werden angesichts einer Lohnsteigerung von fast 20 Prozent erblassen. Die "rot-grünen Jungs" (Frankfurter Rundschau) haben bis tief in die Nacht des vergangenen Freitags gegrübelt und dann dem tagelangen Getöse um die Billig-Jobs ein Ende bereitet.

Nur die "Mädels" in den Gewerkschaften sind nicht zufrieden. Unisono wird "Nachbessern" gefordert. Für Marita Stein vom Vorstand der Postgewerkschaft ist die Neuregelung nichts anderes als "Ausgrenzung geringfügig Beschäftigter aus dem Tarifrecht". Das rot-grüne Modell diene "vor allem der Sanierung der Sozialkassen", moniert Franziska Wiethold von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV).

Inga Kulms von der IG Medien meint, statt Billiglöhne "staatlich zu sanktionieren", solle die Bundesregierung lieber "ein Signal für die Neuverteilung der Arbeit" geben. Den 620 Mark-Jobs wurden lediglich "rot-grüne Accessoires" umgehängt, sagt Frauke Dittmann von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) und giftet weiter, das sei keine Reform, sondern die "Fortsetzung staatlich subventionierter Schwarzarbeit mit anderen Mitteln".

Selbst Ursula Engelen-Kefer, Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) springt ihren Amstsschwestern bei und vermißt Maßnahmen, die das Interesse der Arbeitgeber an der Zerstückelung von Vollzeit- in sozialversicherungsfreie Teilzeitarbeitsplätze hemmen. Derweil ist der Rest-DGB mit der Regierung zufrieden und freut sich auf das (Männer-)Bündnis für Arbeit.

Die Frauen bringt in Rage, daß die Regierung von ihrem ursprünglichen Plan - die Billigjobs durch Absenken des versicherungsfreien Betrages unattraktiv machen - abgegangen ist. Ginge es nach dem Wunsch der Gewerkschaftsfrauen, soll jede verdiente Mark versicherungspflichtig sein. Die Begründung ist einleuchtend: Von den rund sechs Millionen Billigjobstellen sind 80 Prozent mit Frauen besetzt und die haben ein Anrecht auf eigenständige Existenzsicherung auch im Alter.

Die Gewerkschaftsfrauen fordern echte Teilzeitstellen, tariflich abgesichert, und wollen sich nicht in irgendwelche "Nebenjobs" abdrängen lassen. Die Unternehmer sagen, um flexibel auf Kunden- und Produktionsspitzen reagieren zu können, sind die Billigjobs unverzichtbar. Ursprünglich wurde die Regelung vor etlichen Jahren als Ausnahmeregelung geschaffen, um Hausfrauen, Schüler und Rentnern einen geringen Zuverdienst zu ermöglichen. Im Einzelhandel, dem Hotel- und Gaststättengewerbe und in der Gebäudereinigung sind die Jobs zur Regel geworden.

Die SPD machte sich zunächst die Forderung der Gewerkschaften zu eigen und versprach Abhilfe. Bei den Bündnisgrünen stand man dem Thema skeptisch gegenüber. So berichtet Annelie Buntenbach, arbeitsmarktpolitische Fachfrau der Fraktion, daß sie die Koalitionäre noch während den Verhandlungen in das Thema einarbeiten mußte. Und die Berliner Zeitung wußte zu berichten, daß sich viele mittelständische Alternativbetriebe der Billigobs bedienten und daher die Telefone und Faxgeräte bei der Partei heißlaufen ließen.

Marieluise Beck war gar der Meinung, man dürfe den Unternehmern bei den anstehenden Gesprächen zum Bündnis für Arbeit nicht "vor den Koffer hauen", und wollte die Materie zur Verhandlungsmasse machen.

Jetzt profitieren die Bündnisgrünen zumindest indirekt von der Neuregelung. Nun müssen die Arbeitgeber für die Kranken- und Rentenversicherung abdrücken. Darüber freut sich zum einen Arbeitsminister Walter Riester, der auch für die Rentenkasse zuständig ist und die Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Die hat nun bei der Gegenfinanzierung ihres Gesetzentwurfes zur Gesetzlichen Krankenversicherung einige Probleme weniger.