Geschlossene Gesellschaft

Bei ihrem Gipfeltreffen setzten die Apec-Staaten auf Protektionismus statt Freihandel - und auf "asiatische Werte"

Wie unter einer Lupe waren die Auswirkungen der asiatischen Wirtschaftskrise vergangene Woche in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur zu studieren. Während die 21 Staats- und Regierungschefs der Pazifik-Anrainer-Staaten auf ihrem jährlichen Apec-Treffen (Asian Pacific Economic Cooperation) keine Antworten wußten auf die drängenden Wirtschaftsprobleme, setzte Malaysias Premierminister Mahathir Mohamad, Gastgeber der Konferenz, auf eine Renaissance der "asiatischen Werte".

Das diesjährige Apec-Treffen war nur ein schwacher Abklatsch des ehrgeizigen Forums, das sich einst den Abbau von Zoll- und Tarifschranken in der asiatisch-pazifischen Region auf die Fahnen geschrieben hatte. 1993 beim Treffen in Seattle möbelte US-Präsident William Clinton die 1989 in Australien gegründete, bis dahin unergiebige Beamtenversammlung auf und verwandelte sie in ein hochrangiges Treffen pazifischer Staatschefs. Mit der Apec sollte in Zeiten konstant wachsender Wirtschaftsraten ein konkurrierender Wirtschaftsraum zur entstehenden Europäischen Union geschaffen werden, der mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung und 47 Prozent ihres Handels umfassen würde.

Die Wirtschaftskrise offenbarte nun die enormen Gegensätze innerhalb des Handelsbündnisses. Die ehemaligen südostasiatischen "Tiger"-Staaten verfolgen mittlerweile ganz andere Pläne als eine Liberalisierung des Handels und Finanzverkehrs. Sie setzen auf eine Abschottung der heimischen Märkte und ließen damit das Apec-Treffen zu einer Farce geraten.

So war auf dem Treffen keine Rede mehr von einer vollständigen Freihandelszone bis zum Jahr 2010 für die industrialisierten und bis 2020 für die weniger entwickelten Staaten. Der geplante Abbau von Handelsschranken in neun Wirtschaftssektoren ist u.a. am Widerstand Japans gescheitert, das seine heimischen Holz- und Fischereimärkte beschützen will. Clinton, der nach dem Gipfel für einen Kurzbesuch nach Tokio kam, zeigte sich wegen dem Scheitern des Treffens besorgt. Sollte Japan seine Märkte nicht stärker öffnen, könnte dies in den USA protektionistische Gegenmaßnahmen und einen regelrechten "Handelskrieg" auslösen.

Vorreiter und Profiteur dieser Entwicklung ist Malaysias Premierminister Mahathir Mohamad, auch wenn er wegen seinem diktatorischer Führungsstil auf dem Treffen keine offene Unterstützung erhielt. Während seiner nunmehr 17 Jahre dauernden Herrschaft erlebte das Land einen steilen Aufstieg - bis zum großen Börsencrash im vergangenen Jahr. Das malaysische Wirtschaftswachstum fiel von 7,3 Prozent auf fast minus fünf Prozent zurück. Zwischen Mahathir und seinem Finanzminister und Stellvertreter, Ibrahim Anwar, schwelte seitdem ein monatelanger Konflikt um den richtigen Kurs aus der Wirtschaftskrise.

Im Dezember letzten Jahres erhöhte die Regierung, damals noch unter dem Einfluß von Anwar, im Einklang mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Zinsen. Mahathir erklärte hingegen - mit einem deutlichen antisemitischen Unterton - das Land zum Opfer ausländischer Währungsspekulanten und verlangte eine strikte Abschottung der Binnenökonomie.

Im Juni gab Anwar dem protektionistischen Kurs Mahathirs nach. Die Zinsen wurden wieder gesenkt, die Staatsausgaben erhöht, eine strenge Devisenkontrolle eingeführt. Ausländisches Kapital darf nur noch langfristig im Land angelegt werden - Malaysia hatte sich damit vorerst vom internationalen Finanzverkehr abgekoppelt. Der Machtkampf endete vorläufig Anfang September mit der Entlassung und Verhaftung Anwars, der wegen Korruption und Homosexualität angeklagt wurde. Ihm drohen jetzt bis zu 20 Jahre im Gefängnis.

Die innenpolitischen Ereignisse sorgten auch auf der Apec-Konferenz für Furore. Der US-amerikanische Vizepräsident Al Gore ließ das Treffen bereits am Vorabend zu einer peinlichen Veranstaltung werden, als er sich in einer knappen Rede für Anwar einsetzte und wirtschaftlichen Aufschwung mit "amerikanischen Werten" wie Freiheit und Demokratie verknüpfte: "Bürger, die demokratische Reformen in Gang bringen, werden ihren Ländern zum Wohlstand verhelfen - da Investoren ihr Geld und ihr Vertrauen in die Demokratie legen." Welche demokratischen Freiheiten Gore hier meint, ist klar: Liberalisierung des Handels und Öffnung des malaysischen Marktes für internationales und amerikanisches Kapital.

Die Reaktionen auf die Rede von Al Gore zeigten jedoch auch noch einen anderen Effekt: Die Ablehnung seiner Bemerkungen ging quer durch die politische Szene; selbst die Anhänger Anwars distanzierten sich von dem US-Vizepräsidenten. Die Empörung gegen ausländische Einmischung in asiatische Angelegenheiten ist stärker als die Solidarität mit dem neoliberalen Rivalen des Premiers.

Mahathir baute den zunehmenden Patriotismus geschickt in seine Ideologie des Asiatischen Weges ein: Ohne die als "westlich" gebrandmarkte Beteiligung breiter Schichten der Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen sollen sich die südostasiatischen Staaten zu Wohlstand und Reichtum entwickeln. Trotz immer wieder aufflackernder Proteste ist nicht sicher, daß Mahathir bald den Weg seiner Kollegen Suharto in Indonesien oder Marcos auf den Philippinen gehen könnte. Die Erinnerung an die Jahre großer Wachstumsraten unter seiner Herrschaft ist noch präsent in Malaysia.

Für die westlichen Politiker und Medien ist indes völlig klar, wer für das Scheitern des Apec-Gipfels verantwortlich ist. Der malaysische Premier, jahrelang von Politikern, Investoren und Kapitalanlegern umworben, gilt nach seinem protektionistischen Umschwenken nun als einer der letzten brutalen Diktatoren Südostasiens.